Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.XIII. Betrachtung. das Werk unvollendet lassen, das ich übernommenhabe? Geduldig ließ er sich von einer Schaar Mör- der greifen, von einem ungerechten Richter zum an- dern führen; er ließ sich aufs grausamste verspotten und behandeln, und mitten unter allen diesen Auf- tritten hörte man nicht ein unwilliges Wort von ihm, er duldete alle die nahmenlosen Leiden mit un- veränderlicher Gelassenheit, und überließ sich völlig Gott, stellte ihm alles anheim. Ach wie schwach, wie gar nichts ist doch unsre le F
XIII. Betrachtung. das Werk unvollendet laſſen, das ich übernommenhabe? Geduldig ließ er ſich von einer Schaar Mör- der greifen, von einem ungerechten Richter zum an- dern führen; er ließ ſich aufs grauſamſte verſpotten und behandeln, und mitten unter allen dieſen Auf- tritten hörte man nicht ein unwilliges Wort von ihm, er duldete alle die nahmenloſen Leiden mit un- veränderlicher Gelaſſenheit, und überließ ſich völlig Gott, ſtellte ihm alles anheim. Ach wie ſchwach, wie gar nichts iſt doch unſre le F
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XIII. Betrachtung.
das Werk unvollendet laſſen, das ich übernommen
habe? Geduldig ließ er ſich von einer Schaar Mör-
der greifen, von einem ungerechten Richter zum an-
dern führen; er ließ ſich aufs grauſamſte verſpotten
und behandeln, und mitten unter allen dieſen Auf-
tritten hörte man nicht ein unwilliges Wort von
ihm, er duldete alle die nahmenloſen Leiden mit un-
veränderlicher Gelaſſenheit, und überließ ſich völlig
Gott, ſtellte ihm alles anheim.
Ach wie ſchwach, wie gar nichts iſt doch unſre
Tugend, wenn wir ſie mit der erhabenen Tugend
desjenigen vergleichen, der für uns alle Muſter und
Vorbild ſeyn ſoll? Ja, o Gott! wir müſſen es mit
Beſchämung und Demüthigung bekennen wie ſchwer
es uns oft ankömmt, wenn wir uns ganz deinen Füh-
rungen überlaſſen ſollen; wie unzufrieden wir mit
dir ſind, wenn du uns die Erfüllung unſrer eigenſin-
nigen Wünſche verſagſt. Thoren ſind wir, wenn
wir ſo oft deine Werke und Wege tadeln, da wir ſie
doch nicht ganz kennen und verſtehen, da wir nur im-
mer bey dem Gegenwärtigen und bey dem, was in
die Augen fällt, ſtehen bleiben. Thoren ſind wir,
wenn wir ſo oft unzufrieden ſind über die ſcheinbaren
Unordnungen in der Welt und über die Verwicke-
lung menſchlicher Schickſale; da doch nicht der Zu-
fall, ſondern ein allmächtiger und allweiſer Gott es
iſt, der alle Begebenheiten der Welt, alle Schickſa-
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