Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.XXI. Betrachtung. und Trost. Jhm floß jeder Tag unter Gutesthunhin; er liebte nicht blos mit Worten, sondern mit der That und mit der Wahrheit. Ueber ihn konnte niemand mit Recht klagen, jeder, der sich ihm näher- te, fand ihn willig und bereit, theilnehmend und ge- fällig, und er wünschte nichts so sehr, als daß alle, die um ihn waren, frohe, zufriedene und selige Men- schen werden möchten. Jhm that es wehe, wenn er die geringste Kränkung mit ansehen mußte. Und die- ser große Freund der Menschen, der so gerne wohl- that, der nicht für sich, sondern für andre lebte und arbeitete, war bey den unzählbaren Erweisungen sei- ner Menschenliebe von allem Eigennutz, von aller Ruhmsucht ganz entfernt. Er suchte nicht zu glän- zen; er strebte nicht nach Ehre und Beyfall, nicht nach Ueberfluß und Bequemlichkeit, denn er hatte oft nicht ein Plätzchen, wo er sein Haupt hinlegen konn- te. Er verleugnete alles, was Vortheil und Ge- winn hieß, mit einer Seelengröße, die von keinem Menschen erreicht werden kann. Seine Menschen- liebe siegte über alle Schmach und Schmerzen; sie siegte über die Schrecken des Todes, und erreichte dadurch den höchsten Gipfel der Vollkommenheit. Denn Niemand hat größere Liebe, denn die, daß er sein Leben läßt für seine Freunde.*) Aber Christus ist für uns gestorben, da wir noch Sünder, da wir noch seine Feinde waren.**) Wol- *) Joh. 15, 13. **) Röm. 5, 8.
XXI. Betrachtung. und Troſt. Jhm floß jeder Tag unter Gutesthunhin; er liebte nicht blos mit Worten, ſondern mit der That und mit der Wahrheit. Ueber ihn konnte niemand mit Recht klagen, jeder, der ſich ihm näher- te, fand ihn willig und bereit, theilnehmend und ge- fällig, und er wünſchte nichts ſo ſehr, als daß alle, die um ihn waren, frohe, zufriedene und ſelige Men- ſchen werden möchten. Jhm that es wehe, wenn er die geringſte Kränkung mit anſehen mußte. Und die- ſer große Freund der Menſchen, der ſo gerne wohl- that, der nicht für ſich, ſondern für andre lebte und arbeitete, war bey den unzählbaren Erweiſungen ſei- ner Menſchenliebe von allem Eigennutz, von aller Ruhmſucht ganz entfernt. Er ſuchte nicht zu glän- zen; er ſtrebte nicht nach Ehre und Beyfall, nicht nach Ueberfluß und Bequemlichkeit, denn er hatte oft nicht ein Plätzchen, wo er ſein Haupt hinlegen konn- te. Er verleugnete alles, was Vortheil und Ge- winn hieß, mit einer Seelengröße, die von keinem Menſchen erreicht werden kann. Seine Menſchen- liebe ſiegte über alle Schmach und Schmerzen; ſie ſiegte über die Schrecken des Todes, und erreichte dadurch den höchſten Gipfel der Vollkommenheit. Denn Niemand hat größere Liebe, denn die, daß er ſein Leben läßt für ſeine Freunde.*) Aber Chriſtus iſt für uns geſtorben, da wir noch Sünder, da wir noch ſeine Feinde waren.**) Wol- *) Joh. 15, 13. **) Röm. 5, 8.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0160" n="134"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">XXI.</hi> Betrachtung.</fw><lb/> und Troſt. Jhm floß jeder Tag unter Gutesthun<lb/> hin; er liebte nicht blos mit Worten, ſondern <hi rendition="#fr">mit<lb/> der That und mit der Wahrheit.</hi> Ueber ihn konnte<lb/> niemand mit Recht klagen, jeder, der ſich ihm näher-<lb/> te, fand ihn willig und bereit, theilnehmend und ge-<lb/> fällig, und er wünſchte nichts ſo ſehr, als daß alle,<lb/> die um ihn waren, frohe, zufriedene und ſelige Men-<lb/> ſchen werden möchten. Jhm that es wehe, wenn er<lb/> die geringſte Kränkung mit anſehen mußte. Und die-<lb/> ſer große Freund der Menſchen, der ſo gerne wohl-<lb/> that, der nicht für ſich, ſondern für andre lebte und<lb/> arbeitete, war bey den unzählbaren Erweiſungen ſei-<lb/> ner Menſchenliebe von allem <hi rendition="#fr">Eigennutz,</hi> von aller<lb/><hi rendition="#fr">Ruhmſucht</hi> ganz entfernt. Er ſuchte nicht zu glän-<lb/> zen; er ſtrebte nicht nach Ehre und Beyfall, nicht<lb/> nach Ueberfluß und Bequemlichkeit, denn er hatte oft<lb/> nicht ein Plätzchen, wo er ſein Haupt hinlegen konn-<lb/> te. Er verleugnete alles, was Vortheil und Ge-<lb/> winn hieß, mit einer Seelengröße, die von keinem<lb/> Menſchen erreicht werden kann. Seine Menſchen-<lb/> liebe ſiegte über alle Schmach und Schmerzen; ſie<lb/> ſiegte über die Schrecken des Todes, und erreichte<lb/> dadurch den höchſten Gipfel der Vollkommenheit.<lb/><hi rendition="#fr">Denn Niemand hat größere Liebe, denn die, daß er<lb/> ſein Leben läßt für ſeine Freunde.</hi><note place="foot" n="*)">Joh. 15, 13.</note> Aber <hi rendition="#fr">Chriſtus<lb/> iſt für uns geſtorben, da wir noch Sünder,</hi> da wir<lb/> noch ſeine Feinde <hi rendition="#fr">waren.</hi><note place="foot" n="**)">Röm. 5, 8.</note></p><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Wol-</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [134/0160]
XXI. Betrachtung.
und Troſt. Jhm floß jeder Tag unter Gutesthun
hin; er liebte nicht blos mit Worten, ſondern mit
der That und mit der Wahrheit. Ueber ihn konnte
niemand mit Recht klagen, jeder, der ſich ihm näher-
te, fand ihn willig und bereit, theilnehmend und ge-
fällig, und er wünſchte nichts ſo ſehr, als daß alle,
die um ihn waren, frohe, zufriedene und ſelige Men-
ſchen werden möchten. Jhm that es wehe, wenn er
die geringſte Kränkung mit anſehen mußte. Und die-
ſer große Freund der Menſchen, der ſo gerne wohl-
that, der nicht für ſich, ſondern für andre lebte und
arbeitete, war bey den unzählbaren Erweiſungen ſei-
ner Menſchenliebe von allem Eigennutz, von aller
Ruhmſucht ganz entfernt. Er ſuchte nicht zu glän-
zen; er ſtrebte nicht nach Ehre und Beyfall, nicht
nach Ueberfluß und Bequemlichkeit, denn er hatte oft
nicht ein Plätzchen, wo er ſein Haupt hinlegen konn-
te. Er verleugnete alles, was Vortheil und Ge-
winn hieß, mit einer Seelengröße, die von keinem
Menſchen erreicht werden kann. Seine Menſchen-
liebe ſiegte über alle Schmach und Schmerzen; ſie
ſiegte über die Schrecken des Todes, und erreichte
dadurch den höchſten Gipfel der Vollkommenheit.
Denn Niemand hat größere Liebe, denn die, daß er
ſein Leben läßt für ſeine Freunde. *) Aber Chriſtus
iſt für uns geſtorben, da wir noch Sünder, da wir
noch ſeine Feinde waren. **)
Wol-
*) Joh. 15, 13.
**) Röm. 5, 8.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang:
Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern:
Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |