Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite

XXIV. Betrachtung.
sondern gewann ihre Herzen mit einer Güte im Aus-
druck und durch Bequemung nach ihrer Fassungs-
kraft. Als z. B. die Sadducäer ihm ihre Zweifel
wegen der künftigen Auferstehung vorlegten, so ant-
wortete er mit schonender Nachsicht:*) ihr irret,
und wisset die Schrift nicht, noch die Kraft Gottes;

das heißt, ihr verstehet den wahren Sinn der heiligen
Schrift nicht, wenn sie von der Auferstehung und
vom ewigen Leben handelt; ihr habt keine rechte Er-
kenntniß von Gottes Allmacht, ihr glaubt, was ihr
nicht begreifen könnt, sey unmöglich, das könne Gott
auch nicht thun; ihr glaubet, die Seele könne ohne
den Körper nicht fortdauern. Und sogleich wählte
er für die Auferstehung und für die Unsterblichkeit
der Seele einen solchen Beweis, der bey seinen Geg-
nern das meiste vermochte, und sie mit ihren spitzfin-
digen Einwürfen zum Stilleschweigen brachte. Jn-
dem er sprach: habt ihr nicht gelesen von Gott, da
er spricht: ich bin der Gott Abraham, Jsaak und
Jacob. Gott aber ist nicht ein Gott der Todten,
sondern der Lebendigen;
das heißt: Gott kann nicht
ein Wohlthäter der Todten, sondern nur der Leben-
digen seyn; woraus denn sehr natürlich folgt, daß
die Seelen jener Patriarchen jetzt noch leben, und der
Wohlthaten Gottes fähig und empfänglich seyn müs-
sen. Wie viel Mühe gab er sich nicht, den Juden

begreif-
*) Matth. 22, 29.

XXIV. Betrachtung.
ſondern gewann ihre Herzen mit einer Güte im Aus-
druck und durch Bequemung nach ihrer Faſſungs-
kraft. Als z. B. die Sadducäer ihm ihre Zweifel
wegen der künftigen Auferſtehung vorlegten, ſo ant-
wortete er mit ſchonender Nachſicht:*) ihr irret,
und wiſſet die Schrift nicht, noch die Kraft Gottes;

das heißt, ihr verſtehet den wahren Sinn der heiligen
Schrift nicht, wenn ſie von der Auferſtehung und
vom ewigen Leben handelt; ihr habt keine rechte Er-
kenntniß von Gottes Allmacht, ihr glaubt, was ihr
nicht begreifen könnt, ſey unmöglich, das könne Gott
auch nicht thun; ihr glaubet, die Seele könne ohne
den Körper nicht fortdauern. Und ſogleich wählte
er für die Auferſtehung und für die Unſterblichkeit
der Seele einen ſolchen Beweis, der bey ſeinen Geg-
nern das meiſte vermochte, und ſie mit ihren ſpitzfin-
digen Einwürfen zum Stilleſchweigen brachte. Jn-
dem er ſprach: habt ihr nicht geleſen von Gott, da
er ſpricht: ich bin der Gott Abraham, Jſaak und
Jacob. Gott aber iſt nicht ein Gott der Todten,
ſondern der Lebendigen;
das heißt: Gott kann nicht
ein Wohlthäter der Todten, ſondern nur der Leben-
digen ſeyn; woraus denn ſehr natürlich folgt, daß
die Seelen jener Patriarchen jetzt noch leben, und der
Wohlthaten Gottes fähig und empfänglich ſeyn müſ-
ſen. Wie viel Mühe gab er ſich nicht, den Juden

begreif-
*) Matth. 22, 29.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0181" n="155"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">XXIV.</hi> Betrachtung.</fw><lb/>
&#x017F;ondern gewann ihre Herzen mit einer Güte im Aus-<lb/>
druck und durch Bequemung nach ihrer Fa&#x017F;&#x017F;ungs-<lb/>
kraft. Als z. B. die Sadducäer ihm ihre Zweifel<lb/>
wegen der künftigen Aufer&#x017F;tehung vorlegten, &#x017F;o ant-<lb/>
wortete er mit &#x017F;chonender Nach&#x017F;icht:<note place="foot" n="*)">Matth. 22, 29.</note> <hi rendition="#fr">ihr irret,<lb/>
und wi&#x017F;&#x017F;et die Schrift nicht, noch die Kraft Gottes;</hi><lb/>
das heißt, ihr ver&#x017F;tehet den wahren Sinn der heiligen<lb/>
Schrift nicht, wenn &#x017F;ie von der Aufer&#x017F;tehung und<lb/>
vom ewigen Leben handelt; ihr habt keine rechte Er-<lb/>
kenntniß von Gottes Allmacht, ihr glaubt, was ihr<lb/>
nicht begreifen könnt, &#x017F;ey unmöglich, das könne Gott<lb/>
auch nicht thun; ihr glaubet, die Seele könne ohne<lb/>
den Körper nicht fortdauern. Und &#x017F;ogleich wählte<lb/>
er für die Aufer&#x017F;tehung und für die Un&#x017F;terblichkeit<lb/>
der Seele einen &#x017F;olchen Beweis, der bey &#x017F;einen Geg-<lb/>
nern das mei&#x017F;te vermochte, und &#x017F;ie mit ihren &#x017F;pitzfin-<lb/>
digen Einwürfen zum Stille&#x017F;chweigen brachte. Jn-<lb/>
dem er &#x017F;prach: habt ihr nicht gele&#x017F;en von Gott, da<lb/>
er &#x017F;pricht: <hi rendition="#fr">ich bin der Gott Abraham, J&#x017F;aak und<lb/>
Jacob. Gott aber i&#x017F;t nicht ein Gott der Todten,<lb/>
&#x017F;ondern der Lebendigen;</hi> das heißt: Gott kann nicht<lb/>
ein Wohlthäter der Todten, &#x017F;ondern nur der Leben-<lb/>
digen &#x017F;eyn; woraus denn &#x017F;ehr natürlich folgt, daß<lb/>
die Seelen jener Patriarchen jetzt noch leben, und der<lb/>
Wohlthaten Gottes fähig und empfänglich &#x017F;eyn mü&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en. Wie viel Mühe gab er &#x017F;ich nicht, den Juden<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">begreif-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[155/0181] XXIV. Betrachtung. ſondern gewann ihre Herzen mit einer Güte im Aus- druck und durch Bequemung nach ihrer Faſſungs- kraft. Als z. B. die Sadducäer ihm ihre Zweifel wegen der künftigen Auferſtehung vorlegten, ſo ant- wortete er mit ſchonender Nachſicht: *) ihr irret, und wiſſet die Schrift nicht, noch die Kraft Gottes; das heißt, ihr verſtehet den wahren Sinn der heiligen Schrift nicht, wenn ſie von der Auferſtehung und vom ewigen Leben handelt; ihr habt keine rechte Er- kenntniß von Gottes Allmacht, ihr glaubt, was ihr nicht begreifen könnt, ſey unmöglich, das könne Gott auch nicht thun; ihr glaubet, die Seele könne ohne den Körper nicht fortdauern. Und ſogleich wählte er für die Auferſtehung und für die Unſterblichkeit der Seele einen ſolchen Beweis, der bey ſeinen Geg- nern das meiſte vermochte, und ſie mit ihren ſpitzfin- digen Einwürfen zum Stilleſchweigen brachte. Jn- dem er ſprach: habt ihr nicht geleſen von Gott, da er ſpricht: ich bin der Gott Abraham, Jſaak und Jacob. Gott aber iſt nicht ein Gott der Todten, ſondern der Lebendigen; das heißt: Gott kann nicht ein Wohlthäter der Todten, ſondern nur der Leben- digen ſeyn; woraus denn ſehr natürlich folgt, daß die Seelen jener Patriarchen jetzt noch leben, und der Wohlthaten Gottes fähig und empfänglich ſeyn müſ- ſen. Wie viel Mühe gab er ſich nicht, den Juden begreif- *) Matth. 22, 29.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/181
Zitationshilfe: Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/181>, abgerufen am 21.11.2024.