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Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.

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XXV. Betrachtung.
umgienge. Allein Jesus gieng mit Sündern und
lasterhaften Personen nicht deswegen um, als wenn
er etwa an ihren Lastern ein Wohlgefallen gehabt
und ihre Ungerechtigkeiten gebilliget hätte, sondern
um nähere Gelegenheit zu haben, an ihrer Besserung
zu arbeiten. Denn der große Zweck aller seiner Be-
mühungen war, zu suchen und selig zu machen alles
was verlohren war.
Daher er sich denn auch roher
lasterhafter Personen annahm, um an ihrer Sinnes-
änderung zu arbeiten. Als daher einstmals die Pha-
risäer seine Schüler zur Rede setzten, warum ißt eu-
er Meister mit den Zöllnern und Sündern?
warum
sorgt er so schlecht für seine und eure Ehre? als sie
dadurch den Jüngern seine Aufführung verdächtig,
und sie von ihm abwendig machen wollten, so ver-
theidigte sich Jesus, indem er sprach: die Starken
bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken.
*)
Damit wollte er so viel sagen: Tugendhafte, die es
sind oder die sich dafür halten, diese bedürfen entwe-
der der Sinnesänderung nicht, oder sie würden es
übel nehmen, wenn man davon reden wollte, und
bey denen würde ich nicht viel ausrichten: aber im
Umgange mit Lasterhaften, wenn nur nicht alle Hof-
nung der Besserung an ihnen verlohren ist, kann ich
nützlich seyn, ich kann sie vielleicht bessern, aus rohen
gewissenlosen, gute tugendhafte Menschen machen.
Jch bin kommen, die Sünder zur Buße zu ruffen,

nicht
*) Matth. 9, 12. 13.

XXV. Betrachtung.
umgienge. Allein Jeſus gieng mit Sündern und
laſterhaften Perſonen nicht deswegen um, als wenn
er etwa an ihren Laſtern ein Wohlgefallen gehabt
und ihre Ungerechtigkeiten gebilliget hätte, ſondern
um nähere Gelegenheit zu haben, an ihrer Beſſerung
zu arbeiten. Denn der große Zweck aller ſeiner Be-
mühungen war, zu ſuchen und ſelig zu machen alles
was verlohren war.
Daher er ſich denn auch roher
laſterhafter Perſonen annahm, um an ihrer Sinnes-
änderung zu arbeiten. Als daher einſtmals die Pha-
riſäer ſeine Schüler zur Rede ſetzten, warum ißt eu-
er Meiſter mit den Zöllnern und Sündern?
warum
ſorgt er ſo ſchlecht für ſeine und eure Ehre? als ſie
dadurch den Jüngern ſeine Aufführung verdächtig,
und ſie von ihm abwendig machen wollten, ſo ver-
theidigte ſich Jeſus, indem er ſprach: die Starken
bedürfen des Arztes nicht, ſondern die Kranken.
*)
Damit wollte er ſo viel ſagen: Tugendhafte, die es
ſind oder die ſich dafür halten, dieſe bedürfen entwe-
der der Sinnesänderung nicht, oder ſie würden es
übel nehmen, wenn man davon reden wollte, und
bey denen würde ich nicht viel ausrichten: aber im
Umgange mit Laſterhaften, wenn nur nicht alle Hof-
nung der Beſſerung an ihnen verlohren iſt, kann ich
nützlich ſeyn, ich kann ſie vielleicht beſſern, aus rohen
gewiſſenloſen, gute tugendhafte Menſchen machen.
Jch bin kommen, die Sünder zur Buße zu ruffen,

nicht
*) Matth. 9, 12. 13.
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[162/0188] XXV. Betrachtung. umgienge. Allein Jeſus gieng mit Sündern und laſterhaften Perſonen nicht deswegen um, als wenn er etwa an ihren Laſtern ein Wohlgefallen gehabt und ihre Ungerechtigkeiten gebilliget hätte, ſondern um nähere Gelegenheit zu haben, an ihrer Beſſerung zu arbeiten. Denn der große Zweck aller ſeiner Be- mühungen war, zu ſuchen und ſelig zu machen alles was verlohren war. Daher er ſich denn auch roher laſterhafter Perſonen annahm, um an ihrer Sinnes- änderung zu arbeiten. Als daher einſtmals die Pha- riſäer ſeine Schüler zur Rede ſetzten, warum ißt eu- er Meiſter mit den Zöllnern und Sündern? warum ſorgt er ſo ſchlecht für ſeine und eure Ehre? als ſie dadurch den Jüngern ſeine Aufführung verdächtig, und ſie von ihm abwendig machen wollten, ſo ver- theidigte ſich Jeſus, indem er ſprach: die Starken bedürfen des Arztes nicht, ſondern die Kranken. *) Damit wollte er ſo viel ſagen: Tugendhafte, die es ſind oder die ſich dafür halten, dieſe bedürfen entwe- der der Sinnesänderung nicht, oder ſie würden es übel nehmen, wenn man davon reden wollte, und bey denen würde ich nicht viel ausrichten: aber im Umgange mit Laſterhaften, wenn nur nicht alle Hof- nung der Beſſerung an ihnen verlohren iſt, kann ich nützlich ſeyn, ich kann ſie vielleicht beſſern, aus rohen gewiſſenloſen, gute tugendhafte Menſchen machen. Jch bin kommen, die Sünder zur Buße zu ruffen, nicht *) Matth. 9, 12. 13.

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Zitationshilfe: Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/188>, abgerufen am 21.11.2024.