Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite

XXX. Betrachtung.
Weise machen könntest. Denn das sind schändliche
Menschen, die an andern durch ihre Schwatzhaftig-
keit zu Verräthern werden, die durch ihre Untreue
andere von dem Platze wegdrängen, den sie selbst ger-
ne behaupten möchten, oder die, welche, um die
Gunst der Großen zu erschleichen, die Wahrheit feil
machen. Würdest du also durch das Geständniß
der Wahrheit großen Schaden anrichten, und heili-
ge, wichtige Pflichten verletzen; so verschweige sie
mit Vorsichtigkeit, und du darfst nicht fürchten,
daß man dich der Falschheit beschuldigen werde. Denn
wenn das Aufrichtigkeit wäre, wenn jemand alles
sagt, was er weis, so müßten die größten Schwätzer
die aufrichtigsten Personen seyn. Daß sie aber das
nicht sind, sieht man schon daraus, weil solche lieb-
lose Schwätzer selbst von denen heimlich verachtet
werden, die sie doch sonst so willig anhören, und
gleichsam im Solde haben. Meide übrigens mit
größter Sorgfalt, o Christ, die Gelegenheit, wo
du in die Lage kommst, deine eigentlichen Gesin-
nungen zurück zu halten! Lerne die Menschen recht
kennen, mit welchen du umgehst und zu thun hast, und
du wirst bald finden, daß sie sich nicht alle gleich sind.
Mit seinen Schülern und mit denen, die seinen Um-
gang und Unterricht suchten, konnte Jesus offenher-
zig sprechen, aber nicht so mit seinen Feinden, die auf al-
le seine Worte lauerten; nicht so mit dem großen Hau-

fen,

XXX. Betrachtung.
Weiſe machen könnteſt. Denn das ſind ſchändliche
Menſchen, die an andern durch ihre Schwatzhaftig-
keit zu Verräthern werden, die durch ihre Untreue
andere von dem Platze wegdrängen, den ſie ſelbſt ger-
ne behaupten möchten, oder die, welche, um die
Gunſt der Großen zu erſchleichen, die Wahrheit feil
machen. Würdeſt du alſo durch das Geſtändniß
der Wahrheit großen Schaden anrichten, und heili-
ge, wichtige Pflichten verletzen; ſo verſchweige ſie
mit Vorſichtigkeit, und du darfſt nicht fürchten,
daß man dich der Falſchheit beſchuldigen werde. Denn
wenn das Aufrichtigkeit wäre, wenn jemand alles
ſagt, was er weis, ſo müßten die größten Schwätzer
die aufrichtigſten Perſonen ſeyn. Daß ſie aber das
nicht ſind, ſieht man ſchon daraus, weil ſolche lieb-
loſe Schwätzer ſelbſt von denen heimlich verachtet
werden, die ſie doch ſonſt ſo willig anhören, und
gleichſam im Solde haben. Meide übrigens mit
größter Sorgfalt, o Chriſt, die Gelegenheit, wo
du in die Lage kommſt, deine eigentlichen Geſin-
nungen zurück zu halten! Lerne die Menſchen recht
kennen, mit welchen du umgehſt und zu thun haſt, und
du wirſt bald finden, daß ſie ſich nicht alle gleich ſind.
Mit ſeinen Schülern und mit denen, die ſeinen Um-
gang und Unterricht ſuchten, konnte Jeſus offenher-
zig ſprechen, aber nicht ſo mit ſeinen Feinden, die auf al-
le ſeine Worte lauerten; nicht ſo mit dem großen Hau-

fen,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0226" n="200"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">XXX.</hi> Betrachtung.</fw><lb/>
Wei&#x017F;e machen könnte&#x017F;t. Denn das &#x017F;ind &#x017F;chändliche<lb/>
Men&#x017F;chen, die an andern durch ihre Schwatzhaftig-<lb/>
keit zu Verräthern werden, die durch ihre Untreue<lb/>
andere von dem Platze wegdrängen, den &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t ger-<lb/>
ne behaupten möchten, oder die, welche, um die<lb/>
Gun&#x017F;t der Großen zu er&#x017F;chleichen, die Wahrheit feil<lb/>
machen. Würde&#x017F;t du al&#x017F;o durch das Ge&#x017F;tändniß<lb/>
der Wahrheit großen Schaden anrichten, und heili-<lb/>
ge, wichtige Pflichten verletzen; &#x017F;o ver&#x017F;chweige &#x017F;ie<lb/>
mit Vor&#x017F;ichtigkeit, und du darf&#x017F;t nicht fürchten,<lb/>
daß man dich der Fal&#x017F;chheit be&#x017F;chuldigen werde. Denn<lb/>
wenn das Aufrichtigkeit wäre, wenn jemand alles<lb/>
&#x017F;agt, was er weis, &#x017F;o müßten die größten Schwätzer<lb/>
die aufrichtig&#x017F;ten Per&#x017F;onen &#x017F;eyn. Daß &#x017F;ie aber das<lb/>
nicht &#x017F;ind, &#x017F;ieht man &#x017F;chon daraus, weil &#x017F;olche lieb-<lb/>
lo&#x017F;e Schwätzer &#x017F;elb&#x017F;t von denen heimlich verachtet<lb/>
werden, die &#x017F;ie doch &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;o willig anhören, und<lb/>
gleich&#x017F;am im Solde haben. Meide übrigens mit<lb/>
größter Sorgfalt, o Chri&#x017F;t, die Gelegenheit, wo<lb/>
du in die Lage komm&#x017F;t, deine eigentlichen Ge&#x017F;in-<lb/>
nungen zurück zu halten! Lerne die Men&#x017F;chen recht<lb/>
kennen, mit welchen du umgeh&#x017F;t und zu thun ha&#x017F;t, und<lb/>
du wir&#x017F;t bald finden, daß &#x017F;ie &#x017F;ich nicht alle gleich &#x017F;ind.<lb/>
Mit &#x017F;einen Schülern und mit denen, die &#x017F;einen Um-<lb/>
gang und Unterricht &#x017F;uchten, konnte Je&#x017F;us offenher-<lb/>
zig &#x017F;prechen, aber nicht &#x017F;o mit &#x017F;einen Feinden, die auf al-<lb/>
le &#x017F;eine Worte lauerten; nicht &#x017F;o mit dem großen Hau-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">fen,</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[200/0226] XXX. Betrachtung. Weiſe machen könnteſt. Denn das ſind ſchändliche Menſchen, die an andern durch ihre Schwatzhaftig- keit zu Verräthern werden, die durch ihre Untreue andere von dem Platze wegdrängen, den ſie ſelbſt ger- ne behaupten möchten, oder die, welche, um die Gunſt der Großen zu erſchleichen, die Wahrheit feil machen. Würdeſt du alſo durch das Geſtändniß der Wahrheit großen Schaden anrichten, und heili- ge, wichtige Pflichten verletzen; ſo verſchweige ſie mit Vorſichtigkeit, und du darfſt nicht fürchten, daß man dich der Falſchheit beſchuldigen werde. Denn wenn das Aufrichtigkeit wäre, wenn jemand alles ſagt, was er weis, ſo müßten die größten Schwätzer die aufrichtigſten Perſonen ſeyn. Daß ſie aber das nicht ſind, ſieht man ſchon daraus, weil ſolche lieb- loſe Schwätzer ſelbſt von denen heimlich verachtet werden, die ſie doch ſonſt ſo willig anhören, und gleichſam im Solde haben. Meide übrigens mit größter Sorgfalt, o Chriſt, die Gelegenheit, wo du in die Lage kommſt, deine eigentlichen Geſin- nungen zurück zu halten! Lerne die Menſchen recht kennen, mit welchen du umgehſt und zu thun haſt, und du wirſt bald finden, daß ſie ſich nicht alle gleich ſind. Mit ſeinen Schülern und mit denen, die ſeinen Um- gang und Unterricht ſuchten, konnte Jeſus offenher- zig ſprechen, aber nicht ſo mit ſeinen Feinden, die auf al- le ſeine Worte lauerten; nicht ſo mit dem großen Hau- fen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/226
Zitationshilfe: Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/226>, abgerufen am 24.11.2024.