Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.XXXI. Betrachtung. samen Berge.*) Und welche göttliche Klugheit leuch-tete aus seinen Antworten hervor, die er gewöhnlich auf die verfänglichen Fragen gab, die ihm von Schrift- gelehrten und Pharisäern blos deswegen vorgelegt wurden, um ihn zu überraschen, um ihm Fallstricke zu legen. Wie weise betrug er sich, wenn man ihm solche Fälle zur Entscheidung vorlegte, die schwer zu beantworten waren, und wo man nur Gelegenheit such- te, ihn entweder bey dem Volke oder bey dem römi- schen Landpfleger verdächtig zu machen! Ueberall wußte er sich so zu benehmen, daß ihm seine Feinde nicht nur nichts anhaben konnten, sondern noch über- dieses beschämt wurden. Auch für mich ist Klugheit nöthig, wenn ich die- keit, *) Joh. 6, 15. **) Luc. 16, 1-9.
XXXI. Betrachtung. ſamen Berge.*) Und welche göttliche Klugheit leuch-tete aus ſeinen Antworten hervor, die er gewöhnlich auf die verfänglichen Fragen gab, die ihm von Schrift- gelehrten und Phariſäern blos deswegen vorgelegt wurden, um ihn zu überraſchen, um ihm Fallſtricke zu legen. Wie weiſe betrug er ſich, wenn man ihm ſolche Fälle zur Entſcheidung vorlegte, die ſchwer zu beantworten waren, und wo man nur Gelegenheit ſuch- te, ihn entweder bey dem Volke oder bey dem römi- ſchen Landpfleger verdächtig zu machen! Ueberall wußte er ſich ſo zu benehmen, daß ihm ſeine Feinde nicht nur nichts anhaben konnten, ſondern noch über- dieſes beſchämt wurden. Auch für mich iſt Klugheit nöthig, wenn ich die- keit, *) Joh. 6, 15. **) Luc. 16, 1-9.
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XXXI. Betrachtung.
ſamen Berge. *) Und welche göttliche Klugheit leuch-
tete aus ſeinen Antworten hervor, die er gewöhnlich
auf die verfänglichen Fragen gab, die ihm von Schrift-
gelehrten und Phariſäern blos deswegen vorgelegt
wurden, um ihn zu überraſchen, um ihm Fallſtricke
zu legen. Wie weiſe betrug er ſich, wenn man ihm
ſolche Fälle zur Entſcheidung vorlegte, die ſchwer zu
beantworten waren, und wo man nur Gelegenheit ſuch-
te, ihn entweder bey dem Volke oder bey dem römi-
ſchen Landpfleger verdächtig zu machen! Ueberall
wußte er ſich ſo zu benehmen, daß ihm ſeine Feinde
nicht nur nichts anhaben konnten, ſondern noch über-
dieſes beſchämt wurden.
Auch für mich iſt Klugheit nöthig, wenn ich die-
Pflichten des Chriſtenthums ganz erfüllen will; zu-
mal da Jeſus ſelbſt diejenigen tadelte, die mit der
Frömmigkeit nicht zugleich wahre Klugheit verbin-
den wollten, weswegen er auch das Gleichniß vom
ungerechten, aber dabey klugen Haushalter erzählte. **)
Ohne Klugheit kann ich nicht richtig beurtheilen, was
in allen Fällen und unter allen Umſtänden meine
Pflicht iſt; ohne ſie kann ich die vielen Hinderniſſe
und Schwierigkeiten nicht beſiegen, die mit der Aus-
übung des Guten verbunden ſind; ohne ſie kann ich
nie die rechte Mittelſtraße zwiſchen Ernſt und Freund-
lichkeit, zwiſchen Standhaftigkeit und Nachgiebig-
keit,
*) Joh. 6, 15.
**) Luc. 16, 1-9.
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