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Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.

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XXXI. Betrachtung.
keit, zwischen Strenge und Sanftmuth treffen; oh-
ne sie kann ich den Reizungen und Versuchungen zum
Bösen nicht ausweichen, und also auch die Unschuld
meines Herzens nicht sorgfältig genug bewahren;
ohne sie würde es jedem Verführer leicht werden,
mich zum Bösen zu verleiten, ja ich würde in tausend
Verlegenheiten kommen, und mir oft bittere nagen-
de Reue durch Unvorsichtigkeit zuziehen. Gerne
will ich also darauf bedacht seyn, mich zu der so nö-
thigen christlichen Klugheit zu gewöhnen. Aufmerk-
sam will ich seyn auf alles, was um und neben mir
vorgeht; sorgfältig will ich die Charaktere und die
Herzen der Menschen kennen lernen, mit denen ich
umgehen muß, damit ich nicht durch unzeitiges Zu-
trauen und durch unvorsichtige Leichtgläubigkeit hin-
tergangen werde. Nie will ich mich zu sehr zerstreu-
en; nie mich von heftigen Leidenschaften beherrschen
lassen. Nie will ich im Affeckt handeln und Entschlies-
sungen fassen, denn sonst würde ich manches nicht
richtig beurtheilen, und manches nicht vernünftig an-
ordnen; ich würde mich sehr oft zu meinem größten
Nachtheil in vielen Dingen übereilen, die ich in der
Folge nie wieder gut machen könnte. Unaufhörlich
will ich mir einen Schatz von brauchbaren Erfahrun-
gen sammeln, und jede Gelegenheit wahrnehmen,
wo ich am leichtesten und geschwindesten etwas aus-
richten kann; aber nichts will ich aufschieben, was

für

XXXI. Betrachtung.
keit, zwiſchen Strenge und Sanftmuth treffen; oh-
ne ſie kann ich den Reizungen und Verſuchungen zum
Böſen nicht ausweichen, und alſo auch die Unſchuld
meines Herzens nicht ſorgfältig genug bewahren;
ohne ſie würde es jedem Verführer leicht werden,
mich zum Böſen zu verleiten, ja ich würde in tauſend
Verlegenheiten kommen, und mir oft bittere nagen-
de Reue durch Unvorſichtigkeit zuziehen. Gerne
will ich alſo darauf bedacht ſeyn, mich zu der ſo nö-
thigen chriſtlichen Klugheit zu gewöhnen. Aufmerk-
ſam will ich ſeyn auf alles, was um und neben mir
vorgeht; ſorgfältig will ich die Charaktere und die
Herzen der Menſchen kennen lernen, mit denen ich
umgehen muß, damit ich nicht durch unzeitiges Zu-
trauen und durch unvorſichtige Leichtgläubigkeit hin-
tergangen werde. Nie will ich mich zu ſehr zerſtreu-
en; nie mich von heftigen Leidenſchaften beherrſchen
laſſen. Nie will ich im Affeckt handeln und Entſchlieſ-
ſungen faſſen, denn ſonſt würde ich manches nicht
richtig beurtheilen, und manches nicht vernünftig an-
ordnen; ich würde mich ſehr oft zu meinem größten
Nachtheil in vielen Dingen übereilen, die ich in der
Folge nie wieder gut machen könnte. Unaufhörlich
will ich mir einen Schatz von brauchbaren Erfahrun-
gen ſammeln, und jede Gelegenheit wahrnehmen,
wo ich am leichteſten und geſchwindeſten etwas aus-
richten kann; aber nichts will ich aufſchieben, was

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[205/0231] XXXI. Betrachtung. keit, zwiſchen Strenge und Sanftmuth treffen; oh- ne ſie kann ich den Reizungen und Verſuchungen zum Böſen nicht ausweichen, und alſo auch die Unſchuld meines Herzens nicht ſorgfältig genug bewahren; ohne ſie würde es jedem Verführer leicht werden, mich zum Böſen zu verleiten, ja ich würde in tauſend Verlegenheiten kommen, und mir oft bittere nagen- de Reue durch Unvorſichtigkeit zuziehen. Gerne will ich alſo darauf bedacht ſeyn, mich zu der ſo nö- thigen chriſtlichen Klugheit zu gewöhnen. Aufmerk- ſam will ich ſeyn auf alles, was um und neben mir vorgeht; ſorgfältig will ich die Charaktere und die Herzen der Menſchen kennen lernen, mit denen ich umgehen muß, damit ich nicht durch unzeitiges Zu- trauen und durch unvorſichtige Leichtgläubigkeit hin- tergangen werde. Nie will ich mich zu ſehr zerſtreu- en; nie mich von heftigen Leidenſchaften beherrſchen laſſen. Nie will ich im Affeckt handeln und Entſchlieſ- ſungen faſſen, denn ſonſt würde ich manches nicht richtig beurtheilen, und manches nicht vernünftig an- ordnen; ich würde mich ſehr oft zu meinem größten Nachtheil in vielen Dingen übereilen, die ich in der Folge nie wieder gut machen könnte. Unaufhörlich will ich mir einen Schatz von brauchbaren Erfahrun- gen ſammeln, und jede Gelegenheit wahrnehmen, wo ich am leichteſten und geſchwindeſten etwas aus- richten kann; aber nichts will ich aufſchieben, was für

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Zitationshilfe: Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/231>, abgerufen am 21.11.2024.