Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.IX. Betrachtung. Gedanke darf nicht erst durch außerordentliche Zu-fälle und Feyerlichkeiten in dir erweckt werden, nein, dieser Gedanke muß von selbst in dir entstehen, so wie sich Liebe überhaupt nicht erzwingen läßt. Denn alles um und neben dir, alles, was du besitzest und genießest, wünschest und hofst, alles fordert dich zum beständigen Andenken an Gott auf. So wie das Bild eines treuen Freundes dir immer gegen- wärtig bleibt, wenn er gleich weit von dir entfernt lebt; so wie dich an den alles erinnert, was ihm an- gehört, eben so darf auch das Andenken an Gott nie in deiner Seele verlöschen, denn sonst würde auch zugleich die Liebe zu ihm in deinem Herzen erkalten. Und da die heilige Schrift selbst sagt: das ist die Liebe zu Gott, daß wir seine Gebote halten,*) so mußt du auch deine Liebe, wie Jesus, durch willige Folgsamkeit an den Tag legen. Es muß dich gar keine Mühe kosten, alles zu meiden, was Gott miß- fällt, es muß dir gar nicht sauer werden, seinen heil- samen Geboten zu gehorchen. Liebst du Gott recht herzlich, so wirst du seinen Beyfall höher schätzen, als die Gunst der Menschen; du wirst nie deine Pflicht verletzen, und nie wider dein Gewissen han- deln, wenn du gleich dadurch großen Vortheil ge- winnen, und eine Zeitlang in Ehre und Ansehn le- ben könntest. Glaube also ja nicht, daß das schon wahre *) 1. Joh. 5, 3. D 3
IX. Betrachtung. Gedanke darf nicht erſt durch außerordentliche Zu-fälle und Feyerlichkeiten in dir erweckt werden, nein, dieſer Gedanke muß von ſelbſt in dir entſtehen, ſo wie ſich Liebe überhaupt nicht erzwingen läßt. Denn alles um und neben dir, alles, was du beſitzeſt und genießeſt, wünſcheſt und hofſt, alles fordert dich zum beſtändigen Andenken an Gott auf. So wie das Bild eines treuen Freundes dir immer gegen- wärtig bleibt, wenn er gleich weit von dir entfernt lebt; ſo wie dich an den alles erinnert, was ihm an- gehört, eben ſo darf auch das Andenken an Gott nie in deiner Seele verlöſchen, denn ſonſt würde auch zugleich die Liebe zu ihm in deinem Herzen erkalten. Und da die heilige Schrift ſelbſt ſagt: das iſt die Liebe zu Gott, daß wir ſeine Gebote halten,*) ſo mußt du auch deine Liebe, wie Jeſus, durch willige Folgſamkeit an den Tag legen. Es muß dich gar keine Mühe koſten, alles zu meiden, was Gott miß- fällt, es muß dir gar nicht ſauer werden, ſeinen heil- ſamen Geboten zu gehorchen. Liebſt du Gott recht herzlich, ſo wirſt du ſeinen Beyfall höher ſchätzen, als die Gunſt der Menſchen; du wirſt nie deine Pflicht verletzen, und nie wider dein Gewiſſen han- deln, wenn du gleich dadurch großen Vortheil ge- winnen, und eine Zeitlang in Ehre und Anſehn le- ben könnteſt. Glaube alſo ja nicht, daß das ſchon wahre *) 1. Joh. 5, 3. D 3
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IX. Betrachtung.
Gedanke darf nicht erſt durch außerordentliche Zu-
fälle und Feyerlichkeiten in dir erweckt werden, nein,
dieſer Gedanke muß von ſelbſt in dir entſtehen, ſo
wie ſich Liebe überhaupt nicht erzwingen läßt. Denn
alles um und neben dir, alles, was du beſitzeſt und
genießeſt, wünſcheſt und hofſt, alles fordert dich
zum beſtändigen Andenken an Gott auf. So wie
das Bild eines treuen Freundes dir immer gegen-
wärtig bleibt, wenn er gleich weit von dir entfernt
lebt; ſo wie dich an den alles erinnert, was ihm an-
gehört, eben ſo darf auch das Andenken an Gott nie
in deiner Seele verlöſchen, denn ſonſt würde auch
zugleich die Liebe zu ihm in deinem Herzen erkalten.
Und da die heilige Schrift ſelbſt ſagt: das iſt die
Liebe zu Gott, daß wir ſeine Gebote halten, *) ſo
mußt du auch deine Liebe, wie Jeſus, durch willige
Folgſamkeit an den Tag legen. Es muß dich gar
keine Mühe koſten, alles zu meiden, was Gott miß-
fällt, es muß dir gar nicht ſauer werden, ſeinen heil-
ſamen Geboten zu gehorchen. Liebſt du Gott recht
herzlich, ſo wirſt du ſeinen Beyfall höher ſchätzen,
als die Gunſt der Menſchen; du wirſt nie deine
Pflicht verletzen, und nie wider dein Gewiſſen han-
deln, wenn du gleich dadurch großen Vortheil ge-
winnen, und eine Zeitlang in Ehre und Anſehn le-
ben könnteſt. Glaube alſo ja nicht, daß das ſchon
wahre
*) 1. Joh. 5, 3.
D 3
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