Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.XII. Betrachtung. wie ich dich auf Erden verherrlichet habe.*) Jasein heldenmüthiges Vertrauen verließ ihn auch da nicht, als ihn ein Richter nach dem andern verur- theilte; und als Pilatus ihm merken ließ, er habe Macht, ihn los zu lassen und zu verurtheilen, so sprach er mit festem Vertrauen: du hättest keine Macht über mich, wenn sie dir nicht wäre von oben herab gegeben.**) Als er schon am Kreuz hieng, als seine Feinde mit schadenfrohem Hohngelächter über seine Wunder und über sein Vertrauen zu Gott, spotteten: Andern hat er geholfen, und kann ihm selber nicht helfen: Er hat Gott vertraut, der erlöse ihn,***) d. h. Er hat immer von seinem Ver- trauen auf Gott gesprochen, und sich für einen Lieb- ling der Gottheit ausgegeben; nun wird sichs zeigen, ob sein Vertrauen gegründet war, ob Gott ein so großes Wohlgefallen an ihm hatte, als er sich ein- bildete: Selbst da verließ ihn sein Vertrauen nicht, da war Gott noch immer sein Gott. Auch die Befriedigung seiner Bedürfnisse suchte er nicht auf eine ungewöhnliche Art, und verrichtete nie um sein selbst willen ein Wunder. Als daher jener Versu- cher verlangte, er sollte die vor ihm liegenden Stei- ne in Brod verwandeln; so that er es nicht, sondern fertigte ihn mit der Antwort ab: der Mensch lebet nicht vom Brod allein, sondern von einem jeglichen Wort, *) Joh. 17, 5. **) Joh. 19, 11. ***) Matth. 27, 43. E 5
XII. Betrachtung. wie ich dich auf Erden verherrlichet habe.*) Jaſein heldenmüthiges Vertrauen verließ ihn auch da nicht, als ihn ein Richter nach dem andern verur- theilte; und als Pilatus ihm merken ließ, er habe Macht, ihn los zu laſſen und zu verurtheilen, ſo ſprach er mit feſtem Vertrauen: du hätteſt keine Macht über mich, wenn ſie dir nicht wäre von oben herab gegeben.**) Als er ſchon am Kreuz hieng, als ſeine Feinde mit ſchadenfrohem Hohngelächter über ſeine Wunder und über ſein Vertrauen zu Gott, ſpotteten: Andern hat er geholfen, und kann ihm ſelber nicht helfen: Er hat Gott vertraut, der erlöſe ihn,***) d. h. Er hat immer von ſeinem Ver- trauen auf Gott geſprochen, und ſich für einen Lieb- ling der Gottheit ausgegeben; nun wird ſichs zeigen, ob ſein Vertrauen gegründet war, ob Gott ein ſo großes Wohlgefallen an ihm hatte, als er ſich ein- bildete: Selbſt da verließ ihn ſein Vertrauen nicht, da war Gott noch immer ſein Gott. Auch die Befriedigung ſeiner Bedürfniſſe ſuchte er nicht auf eine ungewöhnliche Art, und verrichtete nie um ſein ſelbſt willen ein Wunder. Als daher jener Verſu- cher verlangte, er ſollte die vor ihm liegenden Stei- ne in Brod verwandeln; ſo that er es nicht, ſondern fertigte ihn mit der Antwort ab: der Menſch lebet nicht vom Brod allein, ſondern von einem jeglichen Wort, *) Joh. 17, 5. **) Joh. 19, 11. ***) Matth. 27, 43. E 5
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XII. Betrachtung.
wie ich dich auf Erden verherrlichet habe. *) Ja
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nicht, als ihn ein Richter nach dem andern verur-
theilte; und als Pilatus ihm merken ließ, er habe
Macht, ihn los zu laſſen und zu verurtheilen, ſo
ſprach er mit feſtem Vertrauen: du hätteſt keine
Macht über mich, wenn ſie dir nicht wäre von oben
herab gegeben. **) Als er ſchon am Kreuz hieng,
als ſeine Feinde mit ſchadenfrohem Hohngelächter
über ſeine Wunder und über ſein Vertrauen zu
Gott, ſpotteten: Andern hat er geholfen, und kann
ihm ſelber nicht helfen: Er hat Gott vertraut, der
erlöſe ihn, ***) d. h. Er hat immer von ſeinem Ver-
trauen auf Gott geſprochen, und ſich für einen Lieb-
ling der Gottheit ausgegeben; nun wird ſichs zeigen,
ob ſein Vertrauen gegründet war, ob Gott ein ſo
großes Wohlgefallen an ihm hatte, als er ſich ein-
bildete: Selbſt da verließ ihn ſein Vertrauen nicht,
da war Gott noch immer ſein Gott. Auch die
Befriedigung ſeiner Bedürfniſſe ſuchte er nicht auf
eine ungewöhnliche Art, und verrichtete nie um ſein
ſelbſt willen ein Wunder. Als daher jener Verſu-
cher verlangte, er ſollte die vor ihm liegenden Stei-
ne in Brod verwandeln; ſo that er es nicht, ſondern
fertigte ihn mit der Antwort ab: der Menſch lebet
nicht vom Brod allein, ſondern von einem jeglichen
Wort,
*) Joh. 17, 5.
**) Joh. 19, 11.
***) Matth. 27, 43.
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