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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.

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Kunstsammlungen, ihre Geschichte und ihre Bestimmung.
wolle, sondern das Erbe europäischer Geschichte in die neue
Welt herüber nehme. So sammelte Alexander selbst in Pella,
so wurden Makedonien, Epirus und Thracien hellenisirt. Bei
der syrischen Prachtstadt Antiocheia wurde ein Heiligthum des
Apollo, "Daphne," gegründet; die schönste Quelle des Hains
hieß wie die delphische Quelle Kastalia; man ließ ein genaues
Nachbild des Zeuskolosses in Olympia aufrichten; ebenso von
der Göttin des Parthenon. Anderes wurde im Original er¬
worben, und dazu war Sikyon der geeignetste Platz, der
Hauptmarkt des Kunsthandels. Aratos besorgte den Ptole¬
mäern Gemälde, und nicht bloß Werke der Malerei, deren
Blüthe in die Zeit nach Alexander hinabreicht, wurden an¬
gekauft. Auch für die Vorstufen der Kunstentwickelung zeigte
man Interesse, wie die Chariten des Bupalos beweisen, eines
der ältesten Werke griechischer Plastik, das man in den Ge¬
mächern des Königs Attalos aufbewahrte. Am meisten ge¬
schah in Alexandreia. Hier war man, wenn man hellenischen
Kunstgenuß wollte, ganz auf das Sammeln angewiesen, weil
man sich bei allen neuen Kunstwerken an die in Aegypten
einheimische Kunst anschloß. Hier hatte man zur Zeit der
ptolemäischen Seemacht am meisten Mittel, Kunstwerke aus
allen umliegenden Küstenländern herbeizuschaffen, und war in
Benutzung dieser Mittel am wenigsten gewissenhaft.

Der statuenreiche Hain von Daphne, die Paläste der Per¬
gamener und Ptolemäer, die Residenz des Königs Pyrrhos
in Ambrakia -- das sind diejenigen Plätze, wo wir die ersten
gemachten Museen nachweisen können, und die Anhäufung von
Kunstschätzen gehörte so sehr zu der Tradition des hellenistischen
Königthums, daß auch jener wilde Fürst, welcher mit der ganzen
Leidenschaft des Hasses alle Kräfte des Orients gegen Rom
aufbot, Mithridates Eupator, sich mit dem Glanze einer An¬
tikensammlung umgab. Zweitausend Onyxgefäße sah man in
seiner Kunstkammer auf dem Bergschlosse Talaura.

Die Fürsten Asiens und Aegyptens mußten ihre Resi¬
denzen mit griechischer Kunst ausstatten, um dieselben mitten
im Barbarenlande als Tochterstädte von Hellas zu legitimiren

Kunſtſammlungen, ihre Geſchichte und ihre Beſtimmung.
wolle, ſondern das Erbe europäiſcher Geſchichte in die neue
Welt herüber nehme. So ſammelte Alexander ſelbſt in Pella,
ſo wurden Makedonien, Epirus und Thracien helleniſirt. Bei
der ſyriſchen Prachtſtadt Antiocheia wurde ein Heiligthum des
Apollo, »Daphne,« gegründet; die ſchönſte Quelle des Hains
hieß wie die delphiſche Quelle Kaſtalia; man ließ ein genaues
Nachbild des Zeuskoloſſes in Olympia aufrichten; ebenſo von
der Göttin des Parthenon. Anderes wurde im Original er¬
worben, und dazu war Sikyon der geeignetſte Platz, der
Hauptmarkt des Kunſthandels. Aratos beſorgte den Ptole¬
mäern Gemälde, und nicht bloß Werke der Malerei, deren
Blüthe in die Zeit nach Alexander hinabreicht, wurden an¬
gekauft. Auch für die Vorſtufen der Kunſtentwickelung zeigte
man Intereſſe, wie die Chariten des Bupalos beweiſen, eines
der älteſten Werke griechiſcher Plaſtik, das man in den Ge¬
mächern des Königs Attalos aufbewahrte. Am meiſten ge¬
ſchah in Alexandreia. Hier war man, wenn man helleniſchen
Kunſtgenuß wollte, ganz auf das Sammeln angewieſen, weil
man ſich bei allen neuen Kunſtwerken an die in Aegypten
einheimiſche Kunſt anſchloß. Hier hatte man zur Zeit der
ptolemäiſchen Seemacht am meiſten Mittel, Kunſtwerke aus
allen umliegenden Küſtenländern herbeizuſchaffen, und war in
Benutzung dieſer Mittel am wenigſten gewiſſenhaft.

Der ſtatuenreiche Hain von Daphne, die Paläſte der Per¬
gamener und Ptolemäer, die Reſidenz des Königs Pyrrhos
in Ambrakia — das ſind diejenigen Plätze, wo wir die erſten
gemachten Muſeen nachweiſen können, und die Anhäufung von
Kunſtſchätzen gehörte ſo ſehr zu der Tradition des helleniſtiſchen
Königthums, daß auch jener wilde Fürſt, welcher mit der ganzen
Leidenſchaft des Haſſes alle Kräfte des Orients gegen Rom
aufbot, Mithridates Eupator, ſich mit dem Glanze einer An¬
tikenſammlung umgab. Zweitauſend Onyxgefäße ſah man in
ſeiner Kunſtkammer auf dem Bergſchloſſe Talaura.

Die Fürſten Aſiens und Aegyptens mußten ihre Reſi¬
denzen mit griechiſcher Kunſt ausſtatten, um dieſelben mitten
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[100/0116] Kunſtſammlungen, ihre Geſchichte und ihre Beſtimmung. wolle, ſondern das Erbe europäiſcher Geſchichte in die neue Welt herüber nehme. So ſammelte Alexander ſelbſt in Pella, ſo wurden Makedonien, Epirus und Thracien helleniſirt. Bei der ſyriſchen Prachtſtadt Antiocheia wurde ein Heiligthum des Apollo, »Daphne,« gegründet; die ſchönſte Quelle des Hains hieß wie die delphiſche Quelle Kaſtalia; man ließ ein genaues Nachbild des Zeuskoloſſes in Olympia aufrichten; ebenſo von der Göttin des Parthenon. Anderes wurde im Original er¬ worben, und dazu war Sikyon der geeignetſte Platz, der Hauptmarkt des Kunſthandels. Aratos beſorgte den Ptole¬ mäern Gemälde, und nicht bloß Werke der Malerei, deren Blüthe in die Zeit nach Alexander hinabreicht, wurden an¬ gekauft. Auch für die Vorſtufen der Kunſtentwickelung zeigte man Intereſſe, wie die Chariten des Bupalos beweiſen, eines der älteſten Werke griechiſcher Plaſtik, das man in den Ge¬ mächern des Königs Attalos aufbewahrte. Am meiſten ge¬ ſchah in Alexandreia. Hier war man, wenn man helleniſchen Kunſtgenuß wollte, ganz auf das Sammeln angewieſen, weil man ſich bei allen neuen Kunſtwerken an die in Aegypten einheimiſche Kunſt anſchloß. Hier hatte man zur Zeit der ptolemäiſchen Seemacht am meiſten Mittel, Kunſtwerke aus allen umliegenden Küſtenländern herbeizuſchaffen, und war in Benutzung dieſer Mittel am wenigſten gewiſſenhaft. Der ſtatuenreiche Hain von Daphne, die Paläſte der Per¬ gamener und Ptolemäer, die Reſidenz des Königs Pyrrhos in Ambrakia — das ſind diejenigen Plätze, wo wir die erſten gemachten Muſeen nachweiſen können, und die Anhäufung von Kunſtſchätzen gehörte ſo ſehr zu der Tradition des helleniſtiſchen Königthums, daß auch jener wilde Fürſt, welcher mit der ganzen Leidenſchaft des Haſſes alle Kräfte des Orients gegen Rom aufbot, Mithridates Eupator, ſich mit dem Glanze einer An¬ tikenſammlung umgab. Zweitauſend Onyxgefäße ſah man in ſeiner Kunſtkammer auf dem Bergſchloſſe Talaura. Die Fürſten Aſiens und Aegyptens mußten ihre Reſi¬ denzen mit griechiſcher Kunſt ausſtatten, um dieſelben mitten im Barbarenlande als Tochterſtädte von Hellas zu legitimiren

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Zitationshilfe: Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/116>, abgerufen am 17.05.2024.