Die öffentliche Pflege von Wissenschaft und Kunst.
lenistischen Staaten; denn der Uebergang aus der Stadtrepublik in das Weltreich konnte nur gelingen, wenn die Eigenthüm¬ lichkeiten der einzelnen Völker mehr und mehr in griechische Bildung aufgingen. Daher die Menge neuer Bildungsanstalten, die mit Athen wetteiferten, bis an die Küste von Gallien. Unter den Antoninen regte sich wieder ein philhellenischer Zug von besonderer Stärke. Man wollte das Vaterland der ge¬ meinsamen Bildung ehren, man wollte Athens philosophische Geltung nicht der freien Pietät überlassen, sondern mit kaiser¬ lichem Siegel bestätigen und verbürgen. Es wurden also für die verschiedenen Sekten der attischen Philosophie in Athen von Staatswegen Lehrstühle errichtet, "Throne", wie sie genannt wurden, mit kaiserlicher Freigebigkeit ausgestattet, mit kaiserlichen Schulvorstehern besetzt, welche theils zu wissen¬ schaftlicher Arbeit, theils zu mündlichem Vortrage vorzugs¬ weise bestimmt waren. Dem edlen Marc Aurel wurde diese Stiftung als besonderes Verdienst angerechnet, als eine aller Welt erzeigte Wohlthat. In der That war es aber eine Pflanzung auf dürrem Boden. Man konnte nichts als das Alte wiederholen, daher mußte auch dies in hohlem Dogma¬ tismus erstarren und verknöchern; es war, also kein Verlust für die Welt, als die künstlich geschaffenen Schulen durch kaiserliches Machtgebot auch wieder aufgehoben wurden.
Was lehren uns diese Rückblicke in das Alterthum?
Sie zeigen uns, wie verkehrt es sei, den Staat für die Gebiete des geistigen Lebens verantwortlich zu machen, wo volle Selbständigkeit die Grundbedingung des Gedeihens ist. Welche weltliche Macht kann die Grundlagen schaffen, aus denen allein wahre Kunst hervor blüht, die harmonische Stim¬ mung des Volks, die begeisterte Freude am Schönen, die An¬ hänglichkeit an der Ueberlieferung, die des Ausdrucks bedürf¬ tige Dankbarkeit für den Segen der Gottheit! Welche äußere Macht kann den Zug der Erkenntniß im Volke wecken und erhalten? Wo Wissenschaft und Kunst sich am glücklichsten entfaltet haben, ist von Staatswegen am wenigsten geschehen. Aeußere Einflüsse, auch die begünstigenden, haben Uebelstände
Die öffentliche Pflege von Wiſſenſchaft und Kunſt.
leniſtiſchen Staaten; denn der Uebergang aus der Stadtrepublik in das Weltreich konnte nur gelingen, wenn die Eigenthüm¬ lichkeiten der einzelnen Völker mehr und mehr in griechiſche Bildung aufgingen. Daher die Menge neuer Bildungsanſtalten, die mit Athen wetteiferten, bis an die Küſte von Gallien. Unter den Antoninen regte ſich wieder ein philhelleniſcher Zug von beſonderer Stärke. Man wollte das Vaterland der ge¬ meinſamen Bildung ehren, man wollte Athens philoſophiſche Geltung nicht der freien Pietät überlaſſen, ſondern mit kaiſer¬ lichem Siegel beſtätigen und verbürgen. Es wurden alſo für die verſchiedenen Sekten der attiſchen Philoſophie in Athen von Staatswegen Lehrſtühle errichtet, »Throne«, wie ſie genannt wurden, mit kaiſerlicher Freigebigkeit ausgeſtattet, mit kaiſerlichen Schulvorſtehern beſetzt, welche theils zu wiſſen¬ ſchaftlicher Arbeit, theils zu mündlichem Vortrage vorzugs¬ weiſe beſtimmt waren. Dem edlen Marc Aurel wurde dieſe Stiftung als beſonderes Verdienſt angerechnet, als eine aller Welt erzeigte Wohlthat. In der That war es aber eine Pflanzung auf dürrem Boden. Man konnte nichts als das Alte wiederholen, daher mußte auch dies in hohlem Dogma¬ tismus erſtarren und verknöchern; es war, alſo kein Verluſt für die Welt, als die künſtlich geſchaffenen Schulen durch kaiſerliches Machtgebot auch wieder aufgehoben wurden.
Was lehren uns dieſe Rückblicke in das Alterthum?
Sie zeigen uns, wie verkehrt es ſei, den Staat für die Gebiete des geiſtigen Lebens verantwortlich zu machen, wo volle Selbſtändigkeit die Grundbedingung des Gedeihens iſt. Welche weltliche Macht kann die Grundlagen ſchaffen, aus denen allein wahre Kunſt hervor blüht, die harmoniſche Stim¬ mung des Volks, die begeiſterte Freude am Schönen, die An¬ hänglichkeit an der Ueberlieferung, die des Ausdrucks bedürf¬ tige Dankbarkeit für den Segen der Gottheit! Welche äußere Macht kann den Zug der Erkenntniß im Volke wecken und erhalten? Wo Wiſſenſchaft und Kunſt ſich am glücklichſten entfaltet haben, iſt von Staatswegen am wenigſten geſchehen. Aeußere Einflüſſe, auch die begünſtigenden, haben Uebelſtände
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Die öffentliche Pflege von Wiſſenſchaft und Kunſt.
leniſtiſchen Staaten; denn der Uebergang aus der Stadtrepublik
in das Weltreich konnte nur gelingen, wenn die Eigenthüm¬
lichkeiten der einzelnen Völker mehr und mehr in griechiſche
Bildung aufgingen. Daher die Menge neuer Bildungsanſtalten,
die mit Athen wetteiferten, bis an die Küſte von Gallien.
Unter den Antoninen regte ſich wieder ein philhelleniſcher Zug
von beſonderer Stärke. Man wollte das Vaterland der ge¬
meinſamen Bildung ehren, man wollte Athens philoſophiſche
Geltung nicht der freien Pietät überlaſſen, ſondern mit kaiſer¬
lichem Siegel beſtätigen und verbürgen. Es wurden alſo für
die verſchiedenen Sekten der attiſchen Philoſophie in Athen
von Staatswegen Lehrſtühle errichtet, »Throne«, wie ſie
genannt wurden, mit kaiſerlicher Freigebigkeit ausgeſtattet,
mit kaiſerlichen Schulvorſtehern beſetzt, welche theils zu wiſſen¬
ſchaftlicher Arbeit, theils zu mündlichem Vortrage vorzugs¬
weiſe beſtimmt waren. Dem edlen Marc Aurel wurde dieſe
Stiftung als beſonderes Verdienſt angerechnet, als eine aller
Welt erzeigte Wohlthat. In der That war es aber eine
Pflanzung auf dürrem Boden. Man konnte nichts als das
Alte wiederholen, daher mußte auch dies in hohlem Dogma¬
tismus erſtarren und verknöchern; es war, alſo kein Verluſt
für die Welt, als die künſtlich geſchaffenen Schulen durch
kaiſerliches Machtgebot auch wieder aufgehoben wurden.
Was lehren uns dieſe Rückblicke in das Alterthum?
Sie zeigen uns, wie verkehrt es ſei, den Staat für die
Gebiete des geiſtigen Lebens verantwortlich zu machen, wo
volle Selbſtändigkeit die Grundbedingung des Gedeihens iſt.
Welche weltliche Macht kann die Grundlagen ſchaffen, aus
denen allein wahre Kunſt hervor blüht, die harmoniſche Stim¬
mung des Volks, die begeiſterte Freude am Schönen, die An¬
hänglichkeit an der Ueberlieferung, die des Ausdrucks bedürf¬
tige Dankbarkeit für den Segen der Gottheit! Welche äußere
Macht kann den Zug der Erkenntniß im Volke wecken und
erhalten? Wo Wiſſenſchaft und Kunſt ſich am glücklichſten
entfaltet haben, iſt von Staatswegen am wenigſten geſchehen.
Aeußere Einflüſſe, auch die begünſtigenden, haben Uebelſtände
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/141>, abgerufen am 20.02.2025.
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