Die öffentliche Pflege von Wissenschaft und Kunst.
hervorgerufen, oder es ist bei dem besten Willen und den reichsten Mitteln nichts erreicht.
Wer kennt die antoninischen Professoren von Athen, wäh¬ rend die alten Weisen, die, vom Staate gänzlich unbeachtet, mit ihren Freunden unter den Platanen der Akademie und des Lykeion wandelten, noch heute unser Aller Lehrer und Meister sind! Das damalige Athen war die Schule der Welt. Seit¬ dem man ein officielles Erziehungshaus aus Athen gemacht hat, ist es nur eine historische Merkwürdigkeit.
Soll sich der Staat also vollkommen gleichgültig verhalten, wenn er auch so gut wie die Staaten des Alterthums seine Stärke in der Bildung der Bürger sieht, soll er unthätig zu¬ schauen und ein Gebiet meiden, dessen Boden so schlüpfrig ist? Das wäre eine gewaltsame Trennung zusammenhängender Lebenskreise, das wäre ein Grundsatz, der auch in den voran¬ gehenden Betrachtungen keine ausreichende Begründung findet. Wir werden vielmehr einen anderen Schluß ziehn, welchem ich eine doppelte Fassung geben möchte.
Erstens ist seit der Zeit Alexander's jedes Culturvolk ein hellenistisches, in sofern es den unabweislichen Beruf hat, das, was die Griechen gedacht und gedichtet haben, zu seinem Eigen¬ thum zu machen und weiter zu bilden. Die griechische Cultur ist bei uns so wenig zu Hause, wie in den Ländern der Dia¬ dochen und deshalb kann sie nicht so, wie es im Mutterlande geschah, sich selbst überlassen bleiben. Vielmehr müssen nach dem ruhmwürdigen Vorgange der Ptolemäer, Pergamener und Rhodier auch unsere Staaten ihre Ehre darin suchen, Wissenschaft und Kunst als eine Grundlage ihres eignen Be¬ standes auf alle Weise zu pflegen und dort, wo die Kräfte Einzelner nicht ausreichen, mit öffentlichen Mitteln freigebig einzutreten. Diesem Sinne verdanken wir die großen Samm¬ lungen zur Geschichte des menschlichen Wissens und die immer vollkommnere Ausrüstung aller der Anstalten, in welchen die Kenntniß des Weltalls rastlos gefördert oder die Möglichkeit gegeben wird, der Natur auf allen Gebieten ihres Schaffens
Die öffentliche Pflege von Wiſſenſchaft und Kunſt.
hervorgerufen, oder es iſt bei dem beſten Willen und den reichſten Mitteln nichts erreicht.
Wer kennt die antoniniſchen Profeſſoren von Athen, wäh¬ rend die alten Weiſen, die, vom Staate gänzlich unbeachtet, mit ihren Freunden unter den Platanen der Akademie und des Lykeion wandelten, noch heute unſer Aller Lehrer und Meiſter ſind! Das damalige Athen war die Schule der Welt. Seit¬ dem man ein officielles Erziehungshaus aus Athen gemacht hat, iſt es nur eine hiſtoriſche Merkwürdigkeit.
Soll ſich der Staat alſo vollkommen gleichgültig verhalten, wenn er auch ſo gut wie die Staaten des Alterthums ſeine Stärke in der Bildung der Bürger ſieht, ſoll er unthätig zu¬ ſchauen und ein Gebiet meiden, deſſen Boden ſo ſchlüpfrig iſt? Das wäre eine gewaltſame Trennung zuſammenhängender Lebenskreiſe, das wäre ein Grundſatz, der auch in den voran¬ gehenden Betrachtungen keine ausreichende Begründung findet. Wir werden vielmehr einen anderen Schluß ziehn, welchem ich eine doppelte Faſſung geben möchte.
Erſtens iſt ſeit der Zeit Alexander's jedes Culturvolk ein helleniſtiſches, in ſofern es den unabweislichen Beruf hat, das, was die Griechen gedacht und gedichtet haben, zu ſeinem Eigen¬ thum zu machen und weiter zu bilden. Die griechiſche Cultur iſt bei uns ſo wenig zu Hauſe, wie in den Ländern der Dia¬ dochen und deshalb kann ſie nicht ſo, wie es im Mutterlande geſchah, ſich ſelbſt überlaſſen bleiben. Vielmehr müſſen nach dem ruhmwürdigen Vorgange der Ptolemäer, Pergamener und Rhodier auch unſere Staaten ihre Ehre darin ſuchen, Wiſſenſchaft und Kunſt als eine Grundlage ihres eignen Be¬ ſtandes auf alle Weiſe zu pflegen und dort, wo die Kräfte Einzelner nicht ausreichen, mit öffentlichen Mitteln freigebig einzutreten. Dieſem Sinne verdanken wir die großen Samm¬ lungen zur Geſchichte des menſchlichen Wiſſens und die immer vollkommnere Ausrüſtung aller der Anſtalten, in welchen die Kenntniß des Weltalls raſtlos gefördert oder die Möglichkeit gegeben wird, der Natur auf allen Gebieten ihres Schaffens
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0142"n="126"/><fwplace="top"type="header">Die öffentliche Pflege von Wiſſenſchaft und Kunſt.<lb/></fw>hervorgerufen, oder es iſt bei dem beſten Willen und den<lb/>
reichſten Mitteln nichts erreicht.</p><lb/><p>Wer kennt die antoniniſchen Profeſſoren von Athen, wäh¬<lb/>
rend die alten Weiſen, die, vom Staate gänzlich unbeachtet,<lb/>
mit ihren Freunden unter den Platanen der Akademie und des<lb/>
Lykeion wandelten, noch heute unſer Aller Lehrer und Meiſter<lb/>ſind! Das damalige Athen war die Schule der Welt. Seit¬<lb/>
dem man ein officielles Erziehungshaus aus Athen gemacht<lb/>
hat, iſt es nur eine hiſtoriſche Merkwürdigkeit.</p><lb/><p>Soll ſich der Staat alſo vollkommen gleichgültig verhalten,<lb/>
wenn er auch ſo gut wie die Staaten des Alterthums ſeine<lb/>
Stärke in der Bildung der Bürger ſieht, ſoll er unthätig zu¬<lb/>ſchauen und ein Gebiet meiden, deſſen Boden ſo ſchlüpfrig iſt?<lb/>
Das wäre eine gewaltſame Trennung zuſammenhängender<lb/>
Lebenskreiſe, das wäre ein Grundſatz, der auch in den voran¬<lb/>
gehenden Betrachtungen keine ausreichende Begründung findet.<lb/>
Wir werden vielmehr einen anderen Schluß ziehn, welchem ich<lb/>
eine doppelte Faſſung geben möchte.</p><lb/><p>Erſtens iſt ſeit der Zeit Alexander's jedes Culturvolk ein<lb/>
helleniſtiſches, in ſofern es den unabweislichen Beruf hat, das,<lb/>
was die Griechen gedacht und gedichtet haben, zu ſeinem Eigen¬<lb/>
thum zu machen und weiter zu bilden. Die griechiſche Cultur<lb/>
iſt bei uns ſo wenig zu Hauſe, wie in den Ländern der Dia¬<lb/>
dochen und deshalb kann ſie nicht ſo, wie es im Mutterlande<lb/>
geſchah, ſich ſelbſt überlaſſen bleiben. Vielmehr müſſen nach<lb/>
dem ruhmwürdigen Vorgange der Ptolemäer, Pergamener<lb/>
und Rhodier auch unſere Staaten ihre Ehre darin ſuchen,<lb/>
Wiſſenſchaft und Kunſt als eine Grundlage ihres eignen Be¬<lb/>ſtandes auf alle Weiſe zu pflegen und dort, wo die Kräfte<lb/>
Einzelner nicht ausreichen, mit öffentlichen Mitteln freigebig<lb/>
einzutreten. Dieſem Sinne verdanken wir die großen Samm¬<lb/>
lungen zur Geſchichte des menſchlichen Wiſſens und die immer<lb/>
vollkommnere Ausrüſtung aller der Anſtalten, in welchen die<lb/>
Kenntniß des Weltalls raſtlos gefördert oder die Möglichkeit<lb/>
gegeben wird, der Natur auf allen Gebieten ihres Schaffens<lb/></p></div></body></text></TEI>
[126/0142]
Die öffentliche Pflege von Wiſſenſchaft und Kunſt.
hervorgerufen, oder es iſt bei dem beſten Willen und den
reichſten Mitteln nichts erreicht.
Wer kennt die antoniniſchen Profeſſoren von Athen, wäh¬
rend die alten Weiſen, die, vom Staate gänzlich unbeachtet,
mit ihren Freunden unter den Platanen der Akademie und des
Lykeion wandelten, noch heute unſer Aller Lehrer und Meiſter
ſind! Das damalige Athen war die Schule der Welt. Seit¬
dem man ein officielles Erziehungshaus aus Athen gemacht
hat, iſt es nur eine hiſtoriſche Merkwürdigkeit.
Soll ſich der Staat alſo vollkommen gleichgültig verhalten,
wenn er auch ſo gut wie die Staaten des Alterthums ſeine
Stärke in der Bildung der Bürger ſieht, ſoll er unthätig zu¬
ſchauen und ein Gebiet meiden, deſſen Boden ſo ſchlüpfrig iſt?
Das wäre eine gewaltſame Trennung zuſammenhängender
Lebenskreiſe, das wäre ein Grundſatz, der auch in den voran¬
gehenden Betrachtungen keine ausreichende Begründung findet.
Wir werden vielmehr einen anderen Schluß ziehn, welchem ich
eine doppelte Faſſung geben möchte.
Erſtens iſt ſeit der Zeit Alexander's jedes Culturvolk ein
helleniſtiſches, in ſofern es den unabweislichen Beruf hat, das,
was die Griechen gedacht und gedichtet haben, zu ſeinem Eigen¬
thum zu machen und weiter zu bilden. Die griechiſche Cultur
iſt bei uns ſo wenig zu Hauſe, wie in den Ländern der Dia¬
dochen und deshalb kann ſie nicht ſo, wie es im Mutterlande
geſchah, ſich ſelbſt überlaſſen bleiben. Vielmehr müſſen nach
dem ruhmwürdigen Vorgange der Ptolemäer, Pergamener
und Rhodier auch unſere Staaten ihre Ehre darin ſuchen,
Wiſſenſchaft und Kunſt als eine Grundlage ihres eignen Be¬
ſtandes auf alle Weiſe zu pflegen und dort, wo die Kräfte
Einzelner nicht ausreichen, mit öffentlichen Mitteln freigebig
einzutreten. Dieſem Sinne verdanken wir die großen Samm¬
lungen zur Geſchichte des menſchlichen Wiſſens und die immer
vollkommnere Ausrüſtung aller der Anſtalten, in welchen die
Kenntniß des Weltalls raſtlos gefördert oder die Möglichkeit
gegeben wird, der Natur auf allen Gebieten ihres Schaffens
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/142>, abgerufen am 20.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.