Die öffentliche Pflege von Wissenschaft und Kunst.
Kunstschöpfungen mustergültiger Art sind der Vorzug begünstigter Zeiten und die einmal vorhandenen gelten mit Recht als Schätze der Menschheit. Ihre Wissenschaft muß aber jede Zeit haben; die Wissenschaft ist in viel höherem Grade, als es im Alterthum der Fall war, ein Gemeingut geworden, ein Zug des Volks, und der Staat kann nicht um¬ hin, die Arbeit der Gedanken, an welcher in verschiedenster Form die Besten seiner Angehörigen Theil nehmen, als seine edelste Kraftquelle anzuerkennen. Denn er ist sich bewußt, daß diese Arbeit das Volk gesund erhält und seine Leistungsfähig¬ keit ununterbrochen steigert, während träge Genußsucht an seinem Marke zehrt und jede Staatsgemeinschaft unvermeid¬ lich zu Grunde richtet.
Der Staat wird diese Arbeit um so wirksamer fördern, je mehr er, dem hellenischen Grundsatze folgend, alle fremden Ziele fernhält, der Kraft des Guten im Menschen vertraut und nur die Hemmnisse zu beseitigen sucht, welche ihrer freien Entwickelung entgegen wirken.
Bei uns sind größere Schwierigkeiten zu überwinden als in dem Lande, wo Kunst und Wissenschaft zu Hause sind, und was dort die natürliche Gunst der Verhältnisse gewährte, muß vielfach durch künstliche Veranstaltung ersetzt werden. Das Leben ist mühseliger und hängt sich mit seiner Sorgen¬ last an die Menschenseele, wenn sie zu freiem Aufschwunge die Flügel regt. Die Muße ist für die, welche ihrer am meisten bedürfen, ein schwer zu gewinnendes Gut und der zu über¬ wältigende Arbeitsstoff wird immer unermeßlicher.
Um so mehr wird der Staat es sich angelegen sein lassen, den geistig Arbeitenden des Lebens Last zu erleichtern und die Sorge zu verscheuchen, damit sie mit der Freude des Geistes, ohne welche nichts Schönes geschaffen werden kann, wirken können, damit die, welche das Volk lehren und sein geistiges Kapital mehren, im öffentlichen Leben die ihrer Be¬ deutung entsprechende Stellung einnehmen und offenkundiges Zeugniß ablegen, wie man im Staate die geistigen Güter zu schätzen wisse.
Curtius, Alterthum. 9
Die öffentliche Pflege von Wiſſenſchaft und Kunſt.
Kunſtſchöpfungen muſtergültiger Art ſind der Vorzug begünſtigter Zeiten und die einmal vorhandenen gelten mit Recht als Schätze der Menſchheit. Ihre Wiſſenſchaft muß aber jede Zeit haben; die Wiſſenſchaft iſt in viel höherem Grade, als es im Alterthum der Fall war, ein Gemeingut geworden, ein Zug des Volks, und der Staat kann nicht um¬ hin, die Arbeit der Gedanken, an welcher in verſchiedenſter Form die Beſten ſeiner Angehörigen Theil nehmen, als ſeine edelſte Kraftquelle anzuerkennen. Denn er iſt ſich bewußt, daß dieſe Arbeit das Volk geſund erhält und ſeine Leiſtungsfähig¬ keit ununterbrochen ſteigert, während träge Genußſucht an ſeinem Marke zehrt und jede Staatsgemeinſchaft unvermeid¬ lich zu Grunde richtet.
Der Staat wird dieſe Arbeit um ſo wirkſamer fördern, je mehr er, dem helleniſchen Grundſatze folgend, alle fremden Ziele fernhält, der Kraft des Guten im Menſchen vertraut und nur die Hemmniſſe zu beſeitigen ſucht, welche ihrer freien Entwickelung entgegen wirken.
Bei uns ſind größere Schwierigkeiten zu überwinden als in dem Lande, wo Kunſt und Wiſſenſchaft zu Hauſe ſind, und was dort die natürliche Gunſt der Verhältniſſe gewährte, muß vielfach durch künſtliche Veranſtaltung erſetzt werden. Das Leben iſt mühſeliger und hängt ſich mit ſeiner Sorgen¬ laſt an die Menſchenſeele, wenn ſie zu freiem Aufſchwunge die Flügel regt. Die Muße iſt für die, welche ihrer am meiſten bedürfen, ein ſchwer zu gewinnendes Gut und der zu über¬ wältigende Arbeitsſtoff wird immer unermeßlicher.
Um ſo mehr wird der Staat es ſich angelegen ſein laſſen, den geiſtig Arbeitenden des Lebens Laſt zu erleichtern und die Sorge zu verſcheuchen, damit ſie mit der Freude des Geiſtes, ohne welche nichts Schönes geſchaffen werden kann, wirken können, damit die, welche das Volk lehren und ſein geiſtiges Kapital mehren, im öffentlichen Leben die ihrer Be¬ deutung entſprechende Stellung einnehmen und offenkundiges Zeugniß ablegen, wie man im Staate die geiſtigen Güter zu ſchätzen wiſſe.
Curtius, Alterthum. 9
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0145"n="129"/><fwplace="top"type="header">Die öffentliche Pflege von Wiſſenſchaft und Kunſt.<lb/></fw><p><hirendition="#g">Kunſt</hi>ſchöpfungen muſtergültiger Art ſind der Vorzug<lb/>
begünſtigter Zeiten und die einmal vorhandenen gelten mit<lb/>
Recht als Schätze der Menſchheit. Ihre Wiſſenſchaft muß<lb/>
aber jede Zeit haben; die Wiſſenſchaft iſt in viel höherem<lb/>
Grade, als es im Alterthum der Fall war, ein Gemeingut<lb/>
geworden, ein Zug des Volks, und der Staat kann nicht um¬<lb/>
hin, die Arbeit der Gedanken, an welcher in verſchiedenſter<lb/>
Form die Beſten ſeiner Angehörigen Theil nehmen, als ſeine<lb/>
edelſte Kraftquelle anzuerkennen. Denn er iſt ſich bewußt, daß<lb/>
dieſe Arbeit das Volk geſund erhält und ſeine Leiſtungsfähig¬<lb/>
keit ununterbrochen ſteigert, während träge Genußſucht an<lb/>ſeinem Marke zehrt und jede Staatsgemeinſchaft unvermeid¬<lb/>
lich zu Grunde richtet.</p><lb/><p>Der Staat wird dieſe Arbeit um ſo wirkſamer fördern,<lb/>
je mehr er, dem helleniſchen Grundſatze folgend, alle fremden<lb/>
Ziele fernhält, der Kraft des Guten im Menſchen vertraut<lb/>
und nur die Hemmniſſe zu beſeitigen ſucht, welche ihrer freien<lb/>
Entwickelung entgegen wirken.</p><lb/><p>Bei uns ſind größere Schwierigkeiten zu überwinden als<lb/>
in dem Lande, wo Kunſt und Wiſſenſchaft zu Hauſe ſind, und<lb/>
was dort die natürliche Gunſt der Verhältniſſe gewährte,<lb/>
muß vielfach durch künſtliche Veranſtaltung erſetzt werden.<lb/>
Das Leben iſt mühſeliger und hängt ſich mit ſeiner Sorgen¬<lb/>
laſt an die Menſchenſeele, wenn ſie zu freiem Aufſchwunge die<lb/>
Flügel regt. Die Muße iſt für die, welche ihrer am meiſten<lb/>
bedürfen, ein ſchwer zu gewinnendes Gut und der zu über¬<lb/>
wältigende Arbeitsſtoff wird immer unermeßlicher.</p><lb/><p>Um ſo mehr wird der Staat es ſich angelegen ſein laſſen,<lb/>
den geiſtig Arbeitenden des Lebens Laſt zu erleichtern und<lb/>
die Sorge zu verſcheuchen, damit ſie mit der Freude des<lb/>
Geiſtes, ohne welche nichts Schönes geſchaffen werden kann,<lb/>
wirken können, damit die, welche das Volk lehren und ſein<lb/>
geiſtiges Kapital mehren, im öffentlichen Leben die ihrer Be¬<lb/>
deutung entſprechende Stellung einnehmen und offenkundiges<lb/>
Zeugniß ablegen, wie man im Staate die geiſtigen Güter zu<lb/>ſchätzen wiſſe.<lb/></p><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#g">Curtius</hi>, Alterthum. 9<lb/></fw></div></body></text></TEI>
[129/0145]
Die öffentliche Pflege von Wiſſenſchaft und Kunſt.
Kunſtſchöpfungen muſtergültiger Art ſind der Vorzug
begünſtigter Zeiten und die einmal vorhandenen gelten mit
Recht als Schätze der Menſchheit. Ihre Wiſſenſchaft muß
aber jede Zeit haben; die Wiſſenſchaft iſt in viel höherem
Grade, als es im Alterthum der Fall war, ein Gemeingut
geworden, ein Zug des Volks, und der Staat kann nicht um¬
hin, die Arbeit der Gedanken, an welcher in verſchiedenſter
Form die Beſten ſeiner Angehörigen Theil nehmen, als ſeine
edelſte Kraftquelle anzuerkennen. Denn er iſt ſich bewußt, daß
dieſe Arbeit das Volk geſund erhält und ſeine Leiſtungsfähig¬
keit ununterbrochen ſteigert, während träge Genußſucht an
ſeinem Marke zehrt und jede Staatsgemeinſchaft unvermeid¬
lich zu Grunde richtet.
Der Staat wird dieſe Arbeit um ſo wirkſamer fördern,
je mehr er, dem helleniſchen Grundſatze folgend, alle fremden
Ziele fernhält, der Kraft des Guten im Menſchen vertraut
und nur die Hemmniſſe zu beſeitigen ſucht, welche ihrer freien
Entwickelung entgegen wirken.
Bei uns ſind größere Schwierigkeiten zu überwinden als
in dem Lande, wo Kunſt und Wiſſenſchaft zu Hauſe ſind, und
was dort die natürliche Gunſt der Verhältniſſe gewährte,
muß vielfach durch künſtliche Veranſtaltung erſetzt werden.
Das Leben iſt mühſeliger und hängt ſich mit ſeiner Sorgen¬
laſt an die Menſchenſeele, wenn ſie zu freiem Aufſchwunge die
Flügel regt. Die Muße iſt für die, welche ihrer am meiſten
bedürfen, ein ſchwer zu gewinnendes Gut und der zu über¬
wältigende Arbeitsſtoff wird immer unermeßlicher.
Um ſo mehr wird der Staat es ſich angelegen ſein laſſen,
den geiſtig Arbeitenden des Lebens Laſt zu erleichtern und
die Sorge zu verſcheuchen, damit ſie mit der Freude des
Geiſtes, ohne welche nichts Schönes geſchaffen werden kann,
wirken können, damit die, welche das Volk lehren und ſein
geiſtiges Kapital mehren, im öffentlichen Leben die ihrer Be¬
deutung entſprechende Stellung einnehmen und offenkundiges
Zeugniß ablegen, wie man im Staate die geiſtigen Güter zu
ſchätzen wiſſe.
Curtius, Alterthum. 9
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/145>, abgerufen am 20.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.