Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.Die Freundschaft im Alterthume. nicht diese kühne Forderung, wen ergreift nicht die unvergäng¬liche Wahrheit, die in ihr liegt? Freilich haben auch die Hellenen diesen Standpunkt nicht Unter diesen Umständen versteht man vom griechischen Curtius, Alterthum. 13
Die Freundſchaft im Alterthume. nicht dieſe kühne Forderung, wen ergreift nicht die unvergäng¬liche Wahrheit, die in ihr liegt? Freilich haben auch die Hellenen dieſen Standpunkt nicht Unter dieſen Umſtänden verſteht man vom griechiſchen Curtius, Alterthum. 13
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Die Freundſchaft im Alterthume.
nicht dieſe kühne Forderung, wen ergreift nicht die unvergäng¬
liche Wahrheit, die in ihr liegt?
Freilich haben auch die Hellenen dieſen Standpunkt nicht
feſtzuhalten vermocht. Denn ſo wie ſich das Nachdenken auf
ſolche Gebiete erſtreckte, wo die unmittelbare Beziehung auf
das ſittliche Verhalten wegfiel, da mußten die Sphären des
Denkens und des Handelns ſich trennen. Aber ſo weit blieb
Platon dem ſokratiſchen Standpunkte vollkommen treu, daß er
das Erkennen vom Kerne der Perſönlichkeit nicht ablöſte; das
Licht der Erkenntniß ſoll den ganzen Menſchen erfüllen, und
wenn ſpäter die Aufgaben der theoretiſchen und praktiſchen
Thätigkeit auch in größrer Breite auseinander treten, ſo hat
doch ſelbſt Ariſtoteles den Boden ſokratiſcher Lehre, den eigent¬
lichen Mutterboden helleniſcher Lebensweisheit, nicht ganz
verlaſſen. Auch ihm vereinigen ſich beide Richtungen in einer
Spitze.
Unter dieſen Umſtänden verſteht man vom griechiſchen
Standpunkte aus die Bedeutung perſönlicher Zuneigung, auch
wo es ſich um Wiſſenſchaft handelt. Die Wiſſenſchaft iſt keine
Waare, welche an einen beliebigen Empfänger verſendet wer¬
den kann, um von dieſem ohne Weiteres in ſeinem Hausweſen
verwerthet zu werden. Auch giebt der Lehrende nicht vom
Katheder herab, was er gerade von dem Vorrathe ſeines
Wiſſens abzuheben für gut findet, und überläßt es dem Zu¬
falle, ob das Gegebene das gerade Paſſende ſei und ob es
richtig aufgefaßt werde. Nein, der wahre Lehrer giebt ſich,
ſeine Perſon, ſeine ganze Perſon, und der rechte Zuhörer
wünſcht, wie Sokrates dem Agathon ſagt, daß die Weisheit
ihm ſo zu eigen werde, wie aus dem volleren Becher das
Waſſer durch einen Wollenfaden in den leereren hinüberfließt,
bis in beiden das gleiche Maß vorhanden iſt. So iſt alles
wahre Lehren auf Geben und Nehmen, auf volle Gegenſeitig¬
keit und Gemeinſamkeit des Beſitzes, auf perſönliches Zuſam¬
menſein, auf Liebe und Freundſchaft gegründet. Was trieb
denn jenen wunderlichen Mann in Athen, auf allen Straßen
und Plätzen umherzugehen, und die Leute am Mantel zu zupfen
Curtius, Alterthum. 13
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