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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.

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Die Idee der Unsterblichkeit bei den Alten.
Dienste, welcher den gleichförmigen Kreislauf der Jahres¬
geschäfte begleitete, entwickelte sich die Vorstellung, daß das
in den Schoß der Erde versenkte Samenkorn in seinem Auf¬
keimen ein Bild der aus dem Grabesdunkel zum Leben er¬
wachenden Seele sei. Dieser einfache Gedanke wurde in einem
engeren priesterlichen Kreise gepflegt, er wurde vertieft und
erweitert und so denen, welche Verlangen darnach trugen, als
eine der großen Menge verhüllte Wahrheit feierlich mitgetheilt,
nachdem sie sich durch Gelöbnisse und Reinigungen dazu vor¬
bereitet hatten; geheimnißvolle Handlungen, welche die Ge¬
müther mächtig zu ergreifen geeignet waren, dienten dazu,
den Inhalt jener Mittheilungen zu etwas Selbstgeschautem
und Selbsterlebtem zu machen. Obgleich nun diese Geheim¬
dienste oder Mysterien in einem gewissen Gegensatze zur öffent¬
lichen Religion sich ausgebildet hatten, so machten sie sich doch
als eine so wesentliche Ergänzung derselben geltend, daß auch
der Staat, namentlich der attische Staat, in dessen Bereiche
diese Mysterienlehren ihre reichste Entwickelung erhalten hatten,
sie als einen unentbehrlichen Theil des Cultus anerkannte,
dessen Schutz und Pflege seine besondere Aufmerksamkeit in
Anspruch nahm. Ja, die Mysterien wurden der allerheiligste
Theil der gesammten Staatsreligion, und während man in
Betreff der übrigen Götter- und Heroenwelt dem Scherze und
Spotte einen Spielraum gestattete, so umgab die Mysterien¬
gottheiten, welche das Volk mit besonderer Ehrfurcht seine
"beiden Göttinnen" nannte, eine unantastbare Feierlichkeit.
Die Versündigung gegen sie war es, welche Alkibiades stürzte,
und die Herstellung der eleusinischen Feier sein glänzendstes Ver¬
dienst, nachdem er sich mit seinen Mitbürgern ausgesöhnt hatte.

Es waren aber diese Mysterien nicht etwa bloß für die
abergläubische und ungebildete Volksmenge von solcher Be¬
deutung, sondern die hervorragendsten Geister des Volks
preisen den Segen der Mysterien und danken ihnen das Beste,
was sie haben. Selig ist, singt Pindar, wer nicht unter die
Erde geht, ohne die eleusinischen Weihen gesehen zu haben;
er allein kennt des Lebens Ende und den von Gott verliehenen

Die Idee der Unſterblichkeit bei den Alten.
Dienſte, welcher den gleichförmigen Kreislauf der Jahres¬
geſchäfte begleitete, entwickelte ſich die Vorſtellung, daß das
in den Schoß der Erde verſenkte Samenkorn in ſeinem Auf¬
keimen ein Bild der aus dem Grabesdunkel zum Leben er¬
wachenden Seele ſei. Dieſer einfache Gedanke wurde in einem
engeren prieſterlichen Kreiſe gepflegt, er wurde vertieft und
erweitert und ſo denen, welche Verlangen darnach trugen, als
eine der großen Menge verhüllte Wahrheit feierlich mitgetheilt,
nachdem ſie ſich durch Gelöbniſſe und Reinigungen dazu vor¬
bereitet hatten; geheimnißvolle Handlungen, welche die Ge¬
müther mächtig zu ergreifen geeignet waren, dienten dazu,
den Inhalt jener Mittheilungen zu etwas Selbſtgeſchautem
und Selbſterlebtem zu machen. Obgleich nun dieſe Geheim¬
dienſte oder Myſterien in einem gewiſſen Gegenſatze zur öffent¬
lichen Religion ſich ausgebildet hatten, ſo machten ſie ſich doch
als eine ſo weſentliche Ergänzung derſelben geltend, daß auch
der Staat, namentlich der attiſche Staat, in deſſen Bereiche
dieſe Myſterienlehren ihre reichſte Entwickelung erhalten hatten,
ſie als einen unentbehrlichen Theil des Cultus anerkannte,
deſſen Schutz und Pflege ſeine beſondere Aufmerkſamkeit in
Anſpruch nahm. Ja, die Myſterien wurden der allerheiligſte
Theil der geſammten Staatsreligion, und während man in
Betreff der übrigen Götter- und Heroenwelt dem Scherze und
Spotte einen Spielraum geſtattete, ſo umgab die Myſterien¬
gottheiten, welche das Volk mit beſonderer Ehrfurcht ſeine
»beiden Göttinnen« nannte, eine unantaſtbare Feierlichkeit.
Die Verſündigung gegen ſie war es, welche Alkibiades ſtürzte,
und die Herſtellung der eleuſiniſchen Feier ſein glänzendſtes Ver¬
dienſt, nachdem er ſich mit ſeinen Mitbürgern ausgeſöhnt hatte.

Es waren aber dieſe Myſterien nicht etwa bloß für die
abergläubiſche und ungebildete Volksmenge von ſolcher Be¬
deutung, ſondern die hervorragendſten Geiſter des Volks
preiſen den Segen der Myſterien und danken ihnen das Beſte,
was ſie haben. Selig iſt, ſingt Pindar, wer nicht unter die
Erde geht, ohne die eleuſiniſchen Weihen geſehen zu haben;
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[229/0245] Die Idee der Unſterblichkeit bei den Alten. Dienſte, welcher den gleichförmigen Kreislauf der Jahres¬ geſchäfte begleitete, entwickelte ſich die Vorſtellung, daß das in den Schoß der Erde verſenkte Samenkorn in ſeinem Auf¬ keimen ein Bild der aus dem Grabesdunkel zum Leben er¬ wachenden Seele ſei. Dieſer einfache Gedanke wurde in einem engeren prieſterlichen Kreiſe gepflegt, er wurde vertieft und erweitert und ſo denen, welche Verlangen darnach trugen, als eine der großen Menge verhüllte Wahrheit feierlich mitgetheilt, nachdem ſie ſich durch Gelöbniſſe und Reinigungen dazu vor¬ bereitet hatten; geheimnißvolle Handlungen, welche die Ge¬ müther mächtig zu ergreifen geeignet waren, dienten dazu, den Inhalt jener Mittheilungen zu etwas Selbſtgeſchautem und Selbſterlebtem zu machen. Obgleich nun dieſe Geheim¬ dienſte oder Myſterien in einem gewiſſen Gegenſatze zur öffent¬ lichen Religion ſich ausgebildet hatten, ſo machten ſie ſich doch als eine ſo weſentliche Ergänzung derſelben geltend, daß auch der Staat, namentlich der attiſche Staat, in deſſen Bereiche dieſe Myſterienlehren ihre reichſte Entwickelung erhalten hatten, ſie als einen unentbehrlichen Theil des Cultus anerkannte, deſſen Schutz und Pflege ſeine beſondere Aufmerkſamkeit in Anſpruch nahm. Ja, die Myſterien wurden der allerheiligſte Theil der geſammten Staatsreligion, und während man in Betreff der übrigen Götter- und Heroenwelt dem Scherze und Spotte einen Spielraum geſtattete, ſo umgab die Myſterien¬ gottheiten, welche das Volk mit beſonderer Ehrfurcht ſeine »beiden Göttinnen« nannte, eine unantaſtbare Feierlichkeit. Die Verſündigung gegen ſie war es, welche Alkibiades ſtürzte, und die Herſtellung der eleuſiniſchen Feier ſein glänzendſtes Ver¬ dienſt, nachdem er ſich mit ſeinen Mitbürgern ausgeſöhnt hatte. Es waren aber dieſe Myſterien nicht etwa bloß für die abergläubiſche und ungebildete Volksmenge von ſolcher Be¬ deutung, ſondern die hervorragendſten Geiſter des Volks preiſen den Segen der Myſterien und danken ihnen das Beſte, was ſie haben. Selig iſt, ſingt Pindar, wer nicht unter die Erde geht, ohne die eleuſiniſchen Weihen geſehen zu haben; er allein kennt des Lebens Ende und den von Gott verliehenen

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Zitationshilfe: Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/245>, abgerufen am 23.11.2024.