Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.Die Idee der Unsterblichkeit bei den Alten. neuen Anfang desselben. Aeschylos wird uns vorgeführt, wieer zur Demeter betet, die seinen Geist aufgezogen habe, und wie er nichts Höheres erstrebt, als daß seine Kunst ihrer Weihen sich würdig erweise. Sophokles endlich hat in seiner ersten und seiner letzten Tragödie die Göttinnen von Eleusis verherrlicht, als die Spenderinnen geistiger Kraft und süßer Tröstung. Wie sehr aber auch die bildende Kunst von diesen Ideen befruchtet worden sei, bezeugt am deutlichsten das Ge¬ mälde Polygnot's in Delphi, welches die Unterwelt darstellte. Da müssen Alle büßen, welche die Segnungen der Mysterien verschmäht haben; sie schöpfen ohne Ende Wasser in durch¬ löcherte Gefäße, zum Zeichen, daß ihr ganzes Thun und Trei¬ ben auf Erden ein zweck- und zielloses gewesen sei; die Ein¬ geweihten aber, welche die Mysteriengeräthe im Schoße tragen, haben darin das Unterpfand einer seligen Fort¬ dauer; und während die homerischen Helden, denen die Gegenwart Alles war, trauernd im Schattenreiche da sitzen, sind Jene mit voller Persönlichkeit und voller Empfänglichkeit für die ihnen verbürgten Freuden in die Unterwelt eingetreten. Jetzt sind die lieblichsten Wiesengründe dort, wo Homer nur düstere und unfruchtbare Bäume kannte; jetzt ist auch für das Reich des Dunkels die Sonne aufgegangen, in deren Lichte sich die Eingeweihten eines ungetrübten Glücks freuen. Nun ist das Diesseits eine Schattenwelt, das Jenseits ein ewiger Lichttag. Nun ist der auf unvordenklicher Ueberlieferung ruhende Sprachgebrauch, die Todten die Seligen zu nennen, ein bewußter Glaube geworden. Nun tritt auch die Kunst, welche nur zurückhaltend und mit zaghafter Symbolik die Ge¬ heimnisse des Jenseits berührt hatte, entschlossener vor. Sie wagt es, die Geschichte der Menschenseele durch die Prometheus¬ sage, die selige Verklärung derselben durch Darstellungen aus dem Leben des Dionysos und der Aphrodite, das Wiedersehen der durch den Tod Getrennten durch Protesilaos und Orpheus auszusprechen. Solche umfassende Bedeutung haben diese aus dem Un¬ Die Idee der Unſterblichkeit bei den Alten. neuen Anfang deſſelben. Aeſchylos wird uns vorgeführt, wieer zur Demeter betet, die ſeinen Geiſt aufgezogen habe, und wie er nichts Höheres erſtrebt, als daß ſeine Kunſt ihrer Weihen ſich würdig erweiſe. Sophokles endlich hat in ſeiner erſten und ſeiner letzten Tragödie die Göttinnen von Eleuſis verherrlicht, als die Spenderinnen geiſtiger Kraft und ſüßer Tröſtung. Wie ſehr aber auch die bildende Kunſt von dieſen Ideen befruchtet worden ſei, bezeugt am deutlichſten das Ge¬ mälde Polygnot's in Delphi, welches die Unterwelt darſtellte. Da müſſen Alle büßen, welche die Segnungen der Myſterien verſchmäht haben; ſie ſchöpfen ohne Ende Waſſer in durch¬ löcherte Gefäße, zum Zeichen, daß ihr ganzes Thun und Trei¬ ben auf Erden ein zweck- und zielloſes geweſen ſei; die Ein¬ geweihten aber, welche die Myſteriengeräthe im Schoße tragen, haben darin das Unterpfand einer ſeligen Fort¬ dauer; und während die homeriſchen Helden, denen die Gegenwart Alles war, trauernd im Schattenreiche da ſitzen, ſind Jene mit voller Perſönlichkeit und voller Empfänglichkeit für die ihnen verbürgten Freuden in die Unterwelt eingetreten. Jetzt ſind die lieblichſten Wieſengründe dort, wo Homer nur düſtere und unfruchtbare Bäume kannte; jetzt iſt auch für das Reich des Dunkels die Sonne aufgegangen, in deren Lichte ſich die Eingeweihten eines ungetrübten Glücks freuen. Nun iſt das Dieſſeits eine Schattenwelt, das Jenſeits ein ewiger Lichttag. Nun iſt der auf unvordenklicher Ueberlieferung ruhende Sprachgebrauch, die Todten die Seligen zu nennen, ein bewußter Glaube geworden. Nun tritt auch die Kunſt, welche nur zurückhaltend und mit zaghafter Symbolik die Ge¬ heimniſſe des Jenſeits berührt hatte, entſchloſſener vor. Sie wagt es, die Geſchichte der Menſchenſeele durch die Prometheus¬ ſage, die ſelige Verklärung derſelben durch Darſtellungen aus dem Leben des Dionyſos und der Aphrodite, das Wiederſehen der durch den Tod Getrennten durch Proteſilaos und Orpheus auszuſprechen. Solche umfaſſende Bedeutung haben dieſe aus dem Un¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0246" n="230"/><fw place="top" type="header">Die Idee der Unſterblichkeit bei den Alten.<lb/></fw>neuen Anfang deſſelben. Aeſchylos wird uns vorgeführt, wie<lb/> er zur Demeter betet, die ſeinen Geiſt aufgezogen habe, und<lb/> wie er nichts Höheres erſtrebt, als daß ſeine Kunſt ihrer<lb/> Weihen ſich würdig erweiſe. Sophokles endlich hat in ſeiner<lb/> erſten und ſeiner letzten Tragödie die Göttinnen von Eleuſis<lb/> verherrlicht, als die Spenderinnen geiſtiger Kraft und ſüßer<lb/> Tröſtung. 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Die Idee der Unſterblichkeit bei den Alten.
neuen Anfang deſſelben. Aeſchylos wird uns vorgeführt, wie
er zur Demeter betet, die ſeinen Geiſt aufgezogen habe, und
wie er nichts Höheres erſtrebt, als daß ſeine Kunſt ihrer
Weihen ſich würdig erweiſe. Sophokles endlich hat in ſeiner
erſten und ſeiner letzten Tragödie die Göttinnen von Eleuſis
verherrlicht, als die Spenderinnen geiſtiger Kraft und ſüßer
Tröſtung. Wie ſehr aber auch die bildende Kunſt von dieſen
Ideen befruchtet worden ſei, bezeugt am deutlichſten das Ge¬
mälde Polygnot's in Delphi, welches die Unterwelt darſtellte.
Da müſſen Alle büßen, welche die Segnungen der Myſterien
verſchmäht haben; ſie ſchöpfen ohne Ende Waſſer in durch¬
löcherte Gefäße, zum Zeichen, daß ihr ganzes Thun und Trei¬
ben auf Erden ein zweck- und zielloſes geweſen ſei; die Ein¬
geweihten aber, welche die Myſteriengeräthe im Schoße
tragen, haben darin das Unterpfand einer ſeligen Fort¬
dauer; und während die homeriſchen Helden, denen die
Gegenwart Alles war, trauernd im Schattenreiche da ſitzen,
ſind Jene mit voller Perſönlichkeit und voller Empfänglichkeit
für die ihnen verbürgten Freuden in die Unterwelt eingetreten.
Jetzt ſind die lieblichſten Wieſengründe dort, wo Homer nur
düſtere und unfruchtbare Bäume kannte; jetzt iſt auch für das
Reich des Dunkels die Sonne aufgegangen, in deren Lichte
ſich die Eingeweihten eines ungetrübten Glücks freuen. Nun
iſt das Dieſſeits eine Schattenwelt, das Jenſeits ein ewiger
Lichttag. Nun iſt der auf unvordenklicher Ueberlieferung
ruhende Sprachgebrauch, die Todten die Seligen zu nennen,
ein bewußter Glaube geworden. Nun tritt auch die Kunſt,
welche nur zurückhaltend und mit zaghafter Symbolik die Ge¬
heimniſſe des Jenſeits berührt hatte, entſchloſſener vor. Sie
wagt es, die Geſchichte der Menſchenſeele durch die Prometheus¬
ſage, die ſelige Verklärung derſelben durch Darſtellungen aus
dem Leben des Dionyſos und der Aphrodite, das Wiederſehen
der durch den Tod Getrennten durch Proteſilaos und Orpheus
auszuſprechen.
Solche umfaſſende Bedeutung haben dieſe aus dem Un¬
ſterblichkeitsverlangen hervorgegangenen Heilsanſtalten gewon¬
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