Um die Zeit, da die Sophistik aufkam und die Unmittel¬ barkeit des Lebens zerstörte, fing das Chaire an altmodisch zu werden und die Modernen sagten: "Aspazomai", ich grüße dich.
Die Philosophen, welche sich vom Volke trennten und Sondergemeinden bildeten, brachten eigene Grußformeln auf. Man suchte inhaltreichere Ansprachen, die zugleich als Wahr¬ zeichen dienen konnten, und wollte nicht mehr für Götter und für Menschen denselben Gruß. Platon wählte als ein besseres Symbol für das Wohlverhalten an Leib und Seele das "eu prattein", und so verschiedenartige Schulen, wie die der Pytha¬ goreer und der Epikureer, begegneten sich darin, die Gesund¬ heit (die innere wie die äußere meinten sie damit) als höchstes Gut und Inhalt ihrer Glückwünsche festzustellen.
Zur alten Sicherheit des nationalen Grußes ist man nie wieder zurückgekommen: ja, das Grundprincip desselben, wo¬ durch sich die Hellenen von den Barbaren losgemacht hatten, wurde verläugnet. Zuerst durch einen Mann aus Herakliden¬ stamme, einen Feldherrn Sparta's, welcher ein Eiferer für altspartanische Zucht gewesen war, durch Lysander, der auf dem schlüpfrigen Boden Asiens zu Fall kam, den ersten unter allen Hellenen, welcher sich Altäre anzünden und in Hymnen begrüßen ließ.
Das zweite Opfer war Alexander. Er hörte auf Hellene zu sein, als sein freier Geist von der Luft des Orients um¬ düstert wurde, als er den knechtischen Gruß, die fußfällige Huldigung erst gestattete und dann forderte. Hellenischer Frei¬ muth machte die letzten Anstrengungen, den nationalen Gruß ihm gegenüber zu retten und sein gotteslästerliches Ansinnen zurückzuweisen. Umsonst. Der Zögling des Aristoteles wollte sich zu einem Götzen erniedrigen und die Gesandtschaften, welche ihn im Namen von Hellas begrüßten, zogen nun be¬ kränzt hinüber, wie Processionen.
Als die bürgerlichen und sittlichen Ordnungen von Hellas aus den Fugen gingen und damit auch der althellenische Volks¬ gruß aufhörte eine Wahrheit zu sein, wurde er eine Sache
Curtius, Alterthum. 16
Der Gruß.
Um die Zeit, da die Sophiſtik aufkam und die Unmittel¬ barkeit des Lebens zerſtörte, fing das Chaire an altmodiſch zu werden und die Modernen ſagten: »Aspazomai«, ich grüße dich.
Die Philoſophen, welche ſich vom Volke trennten und Sondergemeinden bildeten, brachten eigene Grußformeln auf. Man ſuchte inhaltreichere Anſprachen, die zugleich als Wahr¬ zeichen dienen konnten, und wollte nicht mehr für Götter und für Menſchen denſelben Gruß. Platon wählte als ein beſſeres Symbol für das Wohlverhalten an Leib und Seele das »eu prattein«, und ſo verſchiedenartige Schulen, wie die der Pytha¬ goreer und der Epikureer, begegneten ſich darin, die Geſund¬ heit (die innere wie die äußere meinten ſie damit) als höchſtes Gut und Inhalt ihrer Glückwünſche feſtzuſtellen.
Zur alten Sicherheit des nationalen Grußes iſt man nie wieder zurückgekommen: ja, das Grundprincip deſſelben, wo¬ durch ſich die Hellenen von den Barbaren losgemacht hatten, wurde verläugnet. Zuerſt durch einen Mann aus Herakliden¬ ſtamme, einen Feldherrn Sparta's, welcher ein Eiferer für altſpartaniſche Zucht geweſen war, durch Lyſander, der auf dem ſchlüpfrigen Boden Aſiens zu Fall kam, den erſten unter allen Hellenen, welcher ſich Altäre anzünden und in Hymnen begrüßen ließ.
Das zweite Opfer war Alexander. Er hörte auf Hellene zu ſein, als ſein freier Geiſt von der Luft des Orients um¬ düſtert wurde, als er den knechtiſchen Gruß, die fußfällige Huldigung erſt geſtattete und dann forderte. Helleniſcher Frei¬ muth machte die letzten Anſtrengungen, den nationalen Gruß ihm gegenüber zu retten und ſein gottesläſterliches Anſinnen zurückzuweiſen. Umſonſt. Der Zögling des Ariſtoteles wollte ſich zu einem Götzen erniedrigen und die Geſandtſchaften, welche ihn im Namen von Hellas begrüßten, zogen nun be¬ kränzt hinüber, wie Proceſſionen.
Als die bürgerlichen und ſittlichen Ordnungen von Hellas aus den Fugen gingen und damit auch der althelleniſche Volks¬ gruß aufhörte eine Wahrheit zu ſein, wurde er eine Sache
Curtius, Alterthum. 16
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Der Gruß.
Um die Zeit, da die Sophiſtik aufkam und die Unmittel¬
barkeit des Lebens zerſtörte, fing das Chaire an altmodiſch
zu werden und die Modernen ſagten: »Aspazomai«, ich
grüße dich.
Die Philoſophen, welche ſich vom Volke trennten und
Sondergemeinden bildeten, brachten eigene Grußformeln auf.
Man ſuchte inhaltreichere Anſprachen, die zugleich als Wahr¬
zeichen dienen konnten, und wollte nicht mehr für Götter und
für Menſchen denſelben Gruß. Platon wählte als ein beſſeres
Symbol für das Wohlverhalten an Leib und Seele das »eu
prattein«, und ſo verſchiedenartige Schulen, wie die der Pytha¬
goreer und der Epikureer, begegneten ſich darin, die Geſund¬
heit (die innere wie die äußere meinten ſie damit) als höchſtes
Gut und Inhalt ihrer Glückwünſche feſtzuſtellen.
Zur alten Sicherheit des nationalen Grußes iſt man nie
wieder zurückgekommen: ja, das Grundprincip deſſelben, wo¬
durch ſich die Hellenen von den Barbaren losgemacht hatten,
wurde verläugnet. Zuerſt durch einen Mann aus Herakliden¬
ſtamme, einen Feldherrn Sparta's, welcher ein Eiferer für
altſpartaniſche Zucht geweſen war, durch Lyſander, der auf
dem ſchlüpfrigen Boden Aſiens zu Fall kam, den erſten unter
allen Hellenen, welcher ſich Altäre anzünden und in Hymnen
begrüßen ließ.
Das zweite Opfer war Alexander. Er hörte auf Hellene
zu ſein, als ſein freier Geiſt von der Luft des Orients um¬
düſtert wurde, als er den knechtiſchen Gruß, die fußfällige
Huldigung erſt geſtattete und dann forderte. Helleniſcher Frei¬
muth machte die letzten Anſtrengungen, den nationalen Gruß
ihm gegenüber zu retten und ſein gottesläſterliches Anſinnen
zurückzuweiſen. Umſonſt. Der Zögling des Ariſtoteles wollte
ſich zu einem Götzen erniedrigen und die Geſandtſchaften,
welche ihn im Namen von Hellas begrüßten, zogen nun be¬
kränzt hinüber, wie Proceſſionen.
Als die bürgerlichen und ſittlichen Ordnungen von Hellas
aus den Fugen gingen und damit auch der althelleniſche Volks¬
gruß aufhörte eine Wahrheit zu ſein, wurde er eine Sache
Curtius, Alterthum. 16
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/257>, abgerufen am 22.06.2024.
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