Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885.trachtet sie recht eigentlich als Wirkungen eines dunkeln Trie- Aus demselben Grunde vermag ich nicht den Combina- trachtet sie recht eigentlich als Wirkungen eines dunkeln Trie- Aus demselben Grunde vermag ich nicht den Combina- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0062" n="54"/> trachtet sie recht eigentlich als Wirkungen eines dunkeln Trie-<lb/> bes, der in volksthümlichen, „dem Naturleben“ näher stehen-<lb/> den Sprachen bewundert wird. Passt dazu unter anderm die<lb/> Erklärung, welche Gr. Meyer § 498 von der Präsensform <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">ἀνύτω</foreign></hi><lb/> gibt? Er sagt: „<hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">ἀνύτω</foreign></hi> und <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">ἀρύτω</foreign></hi> = <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">ἀνύω</foreign></hi> und <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">ἀρύω</foreign></hi> sind<lb/> erst nach <hi rendition="#i">σ</hi>-Bildungen wie <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">ἤνυσμαι</foreign></hi>, <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">ἠνύσθεν</foreign></hi> entstanden“. Es<lb/> lohnt sich auch hier ein kurzes Verweilen bei der urkund-<lb/> lich überlieferten Geschichte der Sprache. Faktisch ist <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">ἀνύτω</foreign></hi><lb/> bei Attikern älter bezeugt als <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">ἤνυσμαι</foreign></hi>. Jenes lesen wir bei<lb/> Sophokles Antig. 805, <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">ἠνυτόμεν</foreign></hi> bei Aeschylus Agam. 815.<lb/> Erst bei Thukydides kommt <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">διήνυσται</foreign></hi>, erst bei Xenophon<lb/><hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">ἤνυσμαι</foreign></hi> vor. Aber ganz abgesehen von diesem chronologisch<lb/> bedenklichen Umstand, hat es für mich keine Wahrschein-<lb/> lichkeit, dass der „unbewusst waltende Sprachgeist“ sich nach<lb/> Art eines Grammatikers bei der Präsensbildung des Perfects<lb/> erinnert habe und in weiterer Verfolgung dieser Erinnerung<lb/> jenem <hi rendition="#i">σ</hi> im Perfect für das Präsens nicht etwa — was ich<lb/> noch einigermassen begreiflich finden würde — das unzählige<lb/> Male einem perfectischen <hi rendition="#i">σ</hi> gegenüberstehende präsentische <hi rendition="#i">ζ</hi><lb/> entnommen, also *<hi rendition="#i">ἀνύζω</hi> gesprochen habe, sondern <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">ἀνύτω</foreign></hi>,<lb/> das mit seinem <hi rendition="#i">τ</hi> nur noch in dem einzigen <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">ἀρύτω</foreign></hi> ein Seiten-<lb/> stück findet. Macht man hier nicht die vielbewunderte Volks-<lb/> seele zu einem grübelnden Grammatiker? Ich befinde mich<lb/> bei diesem Urtheil auf demselben Wege mit Delbrück, welcher<lb/> Einl.<hi rendition="#sup">2</hi> 127 eine Vermuthung Bezzenberger's mit dem Grunde<lb/> zurückweist, „weil sie bei dem Sprechenden eine zu starke<lb/> Betheiligung der Ueberlegung voraussetzt“.</p><lb/> <p>Aus demselben Grunde vermag ich nicht den Combina-<lb/> tionen Brugmann's beizustimmen, die von diesem Gelehrten<lb/> in Kuhn's Zeitschr. XXIV S. 77 und sonst über eine Reihe von<lb/> Fällen des auslautenden Sigma gemacht und zum Theil von<lb/> G. Meyer gebilligt sind. Die Adverbia auf <hi rendition="#i">-ως</hi>, welche aus<lb/> Ablativen (skr. -<hi rendition="#i">āt</hi>) entsprungen sind, will man nicht mehr,<lb/> wovon schon S. 26 die Rede war, in alter Weise so erklären,<lb/><lb/> </p> </div> </body> </text> </TEI> [54/0062]
trachtet sie recht eigentlich als Wirkungen eines dunkeln Trie-
bes, der in volksthümlichen, „dem Naturleben“ näher stehen-
den Sprachen bewundert wird. Passt dazu unter anderm die
Erklärung, welche Gr. Meyer § 498 von der Präsensform ἀνύτω
gibt? Er sagt: „ἀνύτω und ἀρύτω = ἀνύω und ἀρύω sind
erst nach σ-Bildungen wie ἤνυσμαι, ἠνύσθεν entstanden“. Es
lohnt sich auch hier ein kurzes Verweilen bei der urkund-
lich überlieferten Geschichte der Sprache. Faktisch ist ἀνύτω
bei Attikern älter bezeugt als ἤνυσμαι. Jenes lesen wir bei
Sophokles Antig. 805, ἠνυτόμεν bei Aeschylus Agam. 815.
Erst bei Thukydides kommt διήνυσται, erst bei Xenophon
ἤνυσμαι vor. Aber ganz abgesehen von diesem chronologisch
bedenklichen Umstand, hat es für mich keine Wahrschein-
lichkeit, dass der „unbewusst waltende Sprachgeist“ sich nach
Art eines Grammatikers bei der Präsensbildung des Perfects
erinnert habe und in weiterer Verfolgung dieser Erinnerung
jenem σ im Perfect für das Präsens nicht etwa — was ich
noch einigermassen begreiflich finden würde — das unzählige
Male einem perfectischen σ gegenüberstehende präsentische ζ
entnommen, also *ἀνύζω gesprochen habe, sondern ἀνύτω,
das mit seinem τ nur noch in dem einzigen ἀρύτω ein Seiten-
stück findet. Macht man hier nicht die vielbewunderte Volks-
seele zu einem grübelnden Grammatiker? Ich befinde mich
bei diesem Urtheil auf demselben Wege mit Delbrück, welcher
Einl.2 127 eine Vermuthung Bezzenberger's mit dem Grunde
zurückweist, „weil sie bei dem Sprechenden eine zu starke
Betheiligung der Ueberlegung voraussetzt“.
Aus demselben Grunde vermag ich nicht den Combina-
tionen Brugmann's beizustimmen, die von diesem Gelehrten
in Kuhn's Zeitschr. XXIV S. 77 und sonst über eine Reihe von
Fällen des auslautenden Sigma gemacht und zum Theil von
G. Meyer gebilligt sind. Die Adverbia auf -ως, welche aus
Ablativen (skr. -āt) entsprungen sind, will man nicht mehr,
wovon schon S. 26 die Rede war, in alter Weise so erklären,
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