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Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845.

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vielleicht ein ernster Einzelner bei Seite, mißt die Schäden
des Gemeinwesens nach ihrem Umfange aus und senkt die
Sonde in ihre Tiefen. Fenelon schrieb zur Zeit des spa-
nischen Erbfolgekrieges: "Wir leben nur durch ein Wun-
der fort; es ist eine abgängige Maschine, die allein aus
Gewohnheit noch fortgeht und bei dem ersten Anstoße zer-
brechen muß. Ich fürchte unser größestes Übel besteht
darin, daß Niemand unserm Staate auf den Grund sieht,
ja man ist entschlossen es nicht thun zu wollen, man
schließt geflissentlich die Augen, öffnet die Hand stets um
zu nehmen, ohne zuzusehen, ob auch etwas da ist, wovon
man nehmen könne. Das Wunder von heute muß für das
Wunder von gestern einstehn, und dieses Wunder muß sich
morgen wiederholen, bis es dann endlich zu spät seyn
wird. Das Volk führt kein menschliches Leben mehr, es
ist ein Zigeunerleben." Fenelons Herzensmeinung, die er
vor seinem ehemaligen Zögling, dem Herzog von Bour-
gogne, der damals der Krone am nächsten stand, keines-
wegs versteckte, war: man müsse, um einen Boden für die
Zukunft zu gewinnen, die Notabeln von Frankreich zu Ra-
the ziehen, gründlicher noch würden Reichsstände helfen,
allein es sey auch mehr Gefahr dabei. "Die Nation,"
schrieb er, "muß sich selber retten."

Seit dem Tode Ludwigs XIV. behauptete die aus-
wärtige Politik Frankreichs nur kurze Zeit ihren hohen
Standpunct und der Abgrund der Finanzen that sich dro-
hender auf. Jener nicht unedle Stolz des Franzosen auf

vielleicht ein ernſter Einzelner bei Seite, mißt die Schäden
des Gemeinweſens nach ihrem Umfange aus und ſenkt die
Sonde in ihre Tiefen. Fenelon ſchrieb zur Zeit des ſpa-
niſchen Erbfolgekrieges: „Wir leben nur durch ein Wun-
der fort; es iſt eine abgängige Maſchine, die allein aus
Gewohnheit noch fortgeht und bei dem erſten Anſtoße zer-
brechen muß. Ich fürchte unſer größeſtes Übel beſteht
darin, daß Niemand unſerm Staate auf den Grund ſieht,
ja man iſt entſchloſſen es nicht thun zu wollen, man
ſchließt gefliſſentlich die Augen, öffnet die Hand ſtets um
zu nehmen, ohne zuzuſehen, ob auch etwas da iſt, wovon
man nehmen könne. Das Wunder von heute muß für das
Wunder von geſtern einſtehn, und dieſes Wunder muß ſich
morgen wiederholen, bis es dann endlich zu ſpät ſeyn
wird. Das Volk führt kein menſchliches Leben mehr, es
iſt ein Zigeunerleben.“ Fenelons Herzensmeinung, die er
vor ſeinem ehemaligen Zögling, dem Herzog von Bour-
gogne, der damals der Krone am nächſten ſtand, keines-
wegs verſteckte, war: man müſſe, um einen Boden für die
Zukunft zu gewinnen, die Notabeln von Frankreich zu Ra-
the ziehen, gründlicher noch würden Reichsſtände helfen,
allein es ſey auch mehr Gefahr dabei. „Die Nation,“
ſchrieb er, „muß ſich ſelber retten.“

Seit dem Tode Ludwigs XIV. behauptete die aus-
wärtige Politik Frankreichs nur kurze Zeit ihren hohen
Standpunct und der Abgrund der Finanzen that ſich dro-
hender auf. Jener nicht unedle Stolz des Franzoſen auf

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[6/0016] vielleicht ein ernſter Einzelner bei Seite, mißt die Schäden des Gemeinweſens nach ihrem Umfange aus und ſenkt die Sonde in ihre Tiefen. Fenelon ſchrieb zur Zeit des ſpa- niſchen Erbfolgekrieges: „Wir leben nur durch ein Wun- der fort; es iſt eine abgängige Maſchine, die allein aus Gewohnheit noch fortgeht und bei dem erſten Anſtoße zer- brechen muß. Ich fürchte unſer größeſtes Übel beſteht darin, daß Niemand unſerm Staate auf den Grund ſieht, ja man iſt entſchloſſen es nicht thun zu wollen, man ſchließt gefliſſentlich die Augen, öffnet die Hand ſtets um zu nehmen, ohne zuzuſehen, ob auch etwas da iſt, wovon man nehmen könne. Das Wunder von heute muß für das Wunder von geſtern einſtehn, und dieſes Wunder muß ſich morgen wiederholen, bis es dann endlich zu ſpät ſeyn wird. Das Volk führt kein menſchliches Leben mehr, es iſt ein Zigeunerleben.“ Fenelons Herzensmeinung, die er vor ſeinem ehemaligen Zögling, dem Herzog von Bour- gogne, der damals der Krone am nächſten ſtand, keines- wegs verſteckte, war: man müſſe, um einen Boden für die Zukunft zu gewinnen, die Notabeln von Frankreich zu Ra- the ziehen, gründlicher noch würden Reichsſtände helfen, allein es ſey auch mehr Gefahr dabei. „Die Nation,“ ſchrieb er, „muß ſich ſelber retten.“ Seit dem Tode Ludwigs XIV. behauptete die aus- wärtige Politik Frankreichs nur kurze Zeit ihren hohen Standpunct und der Abgrund der Finanzen that ſich dro- hender auf. Jener nicht unedle Stolz des Franzoſen auf

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Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/16>, abgerufen am 21.11.2024.