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Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845.

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führen soll. Es war klar: eine Versammlung, welche
fortfährt sich den dritten Stand zu nennen, darf nicht drei
Stände bedeuten wollen; aber Etats-generaux sich zu
heißen, war ebenfalls unthunlich, so lange die Mehrzahl
der Geistlichkeit, der ganze Adel draußen blieb. Sieyes
ermäßigte einstweilen seine bekannte Theorie, schlug die
Benennung "Versammlung der bekannten und beglau-
bigten Vertreter der französischen Nation" vor. Diese Be-
zeichnung hatte nichts Ansprechendes und es stand ihr auch
das entgegen, daß sie nicht von Dauer seyn konnte. Mi-
rabeau's Vorschlag, "Vertreter des französischen Volks,"
zu dessen Stützung er Volk als den größeren Theil der
Nation definirte, erregte sogar Unwillen, wegen der Ge-
ringschätzung die nun einmal in Frankreich an dem Worte
Volk haftete, und die Hinweisung des Redners auf Cha-
thams "Majestät des Volks," selbst auf die Holländer
und die Schweizer, welche die geringschätzigen Namen:
Geusen und Hirten bald zu Ehren zu bringen wußten,
seine Worte: "Warum sich Namen geben, die der Eitel-
keit schmeicheln?" wurden von der verletzten Versammlung
fast tumultuarisch zurückgewiesen. Endlich ward unter meh-
reren Vorschlägen auch der Name Nationalver-
sammlung
genannt. Dieser Ausdruck war schon manch-
mal vorgekommen, Malesherbes, Mirabeau, selbst der
König hatte ihn unverfänglich gebraucht; jetzt aber er-
wählt, bedeutete er nicht weniger als die Theorie, zu
welcher Sieyes sich in seiner berühmten Schrift bekannt

führen ſoll. Es war klar: eine Verſammlung, welche
fortfährt ſich den dritten Stand zu nennen, darf nicht drei
Stände bedeuten wollen; aber Etats-généraux ſich zu
heißen, war ebenfalls unthunlich, ſo lange die Mehrzahl
der Geiſtlichkeit, der ganze Adel draußen blieb. Sieyes
ermäßigte einſtweilen ſeine bekannte Theorie, ſchlug die
Benennung „Verſammlung der bekannten und beglau-
bigten Vertreter der franzöſiſchen Nation“ vor. Dieſe Be-
zeichnung hatte nichts Anſprechendes und es ſtand ihr auch
das entgegen, daß ſie nicht von Dauer ſeyn konnte. Mi-
rabeau’s Vorſchlag, „Vertreter des franzöſiſchen Volks,“
zu deſſen Stützung er Volk als den größeren Theil der
Nation definirte, erregte ſogar Unwillen, wegen der Ge-
ringſchätzung die nun einmal in Frankreich an dem Worte
Volk haftete, und die Hinweiſung des Redners auf Cha-
thams „Majeſtät des Volks,“ ſelbſt auf die Holländer
und die Schweizer, welche die geringſchätzigen Namen:
Geuſen und Hirten bald zu Ehren zu bringen wußten,
ſeine Worte: „Warum ſich Namen geben, die der Eitel-
keit ſchmeicheln?“ wurden von der verletzten Verſammlung
faſt tumultuariſch zurückgewieſen. Endlich ward unter meh-
reren Vorſchlägen auch der Name Nationalver-
ſammlung
genannt. Dieſer Ausdruck war ſchon manch-
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[203/0213] führen ſoll. Es war klar: eine Verſammlung, welche fortfährt ſich den dritten Stand zu nennen, darf nicht drei Stände bedeuten wollen; aber Etats-généraux ſich zu heißen, war ebenfalls unthunlich, ſo lange die Mehrzahl der Geiſtlichkeit, der ganze Adel draußen blieb. Sieyes ermäßigte einſtweilen ſeine bekannte Theorie, ſchlug die Benennung „Verſammlung der bekannten und beglau- bigten Vertreter der franzöſiſchen Nation“ vor. Dieſe Be- zeichnung hatte nichts Anſprechendes und es ſtand ihr auch das entgegen, daß ſie nicht von Dauer ſeyn konnte. Mi- rabeau’s Vorſchlag, „Vertreter des franzöſiſchen Volks,“ zu deſſen Stützung er Volk als den größeren Theil der Nation definirte, erregte ſogar Unwillen, wegen der Ge- ringſchätzung die nun einmal in Frankreich an dem Worte Volk haftete, und die Hinweiſung des Redners auf Cha- thams „Majeſtät des Volks,“ ſelbſt auf die Holländer und die Schweizer, welche die geringſchätzigen Namen: Geuſen und Hirten bald zu Ehren zu bringen wußten, ſeine Worte: „Warum ſich Namen geben, die der Eitel- keit ſchmeicheln?“ wurden von der verletzten Verſammlung faſt tumultuariſch zurückgewieſen. Endlich ward unter meh- reren Vorſchlägen auch der Name Nationalver- ſammlung genannt. Dieſer Ausdruck war ſchon manch- mal vorgekommen, Malesherbes, Mirabeau, ſelbſt der König hatte ihn unverfänglich gebraucht; jetzt aber er- wählt, bedeutete er nicht weniger als die Theorie, zu welcher Sieyes ſich in ſeiner berühmten Schrift bekannt

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Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/213>, abgerufen am 21.11.2024.