das Parlament angingen, daß der König selbst dem Präsi- denten schreibe! Unter steigender Aufregung, während Einige davon sprachen, man müsse geradezu nach Paris wandern, dahin den Sitz der Versammlung verlegen, Le Chapelier aber verlangte, man müsse dem Könige schrei- ben, sein Thron sey von Feinden des Vaterlandes umla- gert, gewann Mounier alle Gemüther für den Vorschlag, sich gegenseitig durch einen Eidschwur zum treuen Zusam- menstehn, wo es denn sey, zu verpflichten, diesen Eid in Schrift zu bringen und zu unterzeichnen. Die Formel des Eidschwurs entwarf Sieyes. Der Präsident stieg auf den Tisch und verlas so laut, daß auch die Menge draußen sie hören konnte, die Worte: "Wir schwören uns nie- mals von der Nationalversammlung zu trennen und uns allenthalben zu versammeln, wo die Umstände es erfordern werden, bis die Verfassung des Königreiches vollendet und auf festen Grundlagen errichtet seyn wird." Als man die Unterschriften nachsah, hatte ein einziger Abgeordne- ter als "nicht beistimmend" unterzeichnet. Auf Befragen erklärte dieser, (Martin d'Auch) er könne nicht schwören einen vom Könige nicht genehmigten Beschluß auszufüh- ren, und die Bemerkung des Präsidenten, wie der von der Versammlung stets anerkannte Grundsatz daß die Ver- fassung und die Gesetzgebung der königlichen Genehmigung bedürfen, durch den Eid nicht ausgeschlossen sey, machte ihn nicht irre. Man ließ ihn aber gewähren, um ei- nen Beweis der Achtung für die Freiheit der Meinungen
das Parlament angingen, daß der König ſelbſt dem Präſi- denten ſchreibe! Unter ſteigender Aufregung, während Einige davon ſprachen, man müſſe geradezu nach Paris wandern, dahin den Sitz der Verſammlung verlegen, Le Chapelier aber verlangte, man müſſe dem Könige ſchrei- ben, ſein Thron ſey von Feinden des Vaterlandes umla- gert, gewann Mounier alle Gemüther für den Vorſchlag, ſich gegenſeitig durch einen Eidſchwur zum treuen Zuſam- menſtehn, wo es denn ſey, zu verpflichten, dieſen Eid in Schrift zu bringen und zu unterzeichnen. Die Formel des Eidſchwurs entwarf Sieyes. Der Präſident ſtieg auf den Tiſch und verlas ſo laut, daß auch die Menge draußen ſie hören konnte, die Worte: „Wir ſchwören uns nie- mals von der Nationalverſammlung zu trennen und uns allenthalben zu verſammeln, wo die Umſtände es erfordern werden, bis die Verfaſſung des Königreiches vollendet und auf feſten Grundlagen errichtet ſeyn wird.“ Als man die Unterſchriften nachſah, hatte ein einziger Abgeordne- ter als „nicht beiſtimmend“ unterzeichnet. Auf Befragen erklärte dieſer, (Martin d’Auch) er könne nicht ſchwören einen vom Könige nicht genehmigten Beſchluß auszufüh- ren, und die Bemerkung des Präſidenten, wie der von der Verſammlung ſtets anerkannte Grundſatz daß die Ver- faſſung und die Geſetzgebung der königlichen Genehmigung bedürfen, durch den Eid nicht ausgeſchloſſen ſey, machte ihn nicht irre. Man ließ ihn aber gewähren, um ei- nen Beweis der Achtung für die Freiheit der Meinungen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0218"n="208"/>
das Parlament angingen, daß der König ſelbſt dem Präſi-<lb/>
denten ſchreibe! Unter ſteigender Aufregung, während<lb/>
Einige davon ſprachen, man müſſe geradezu nach Paris<lb/>
wandern, dahin den Sitz der Verſammlung verlegen, Le<lb/>
Chapelier aber verlangte, man müſſe dem Könige ſchrei-<lb/>
ben, ſein Thron ſey von Feinden des Vaterlandes umla-<lb/>
gert, gewann Mounier alle Gemüther für den Vorſchlag,<lb/>ſich gegenſeitig durch einen Eidſchwur zum treuen Zuſam-<lb/>
menſtehn, wo es denn ſey, zu verpflichten, dieſen Eid<lb/>
in Schrift zu bringen und zu unterzeichnen. Die Formel<lb/>
des Eidſchwurs entwarf Sieyes. Der Präſident ſtieg auf<lb/>
den Tiſch und verlas ſo laut, daß auch die Menge draußen<lb/>ſie hören konnte, die Worte: „Wir ſchwören uns nie-<lb/>
mals von der Nationalverſammlung zu trennen und uns<lb/>
allenthalben zu verſammeln, wo die Umſtände es erfordern<lb/>
werden, bis die Verfaſſung des Königreiches vollendet<lb/>
und auf feſten Grundlagen errichtet ſeyn wird.“ Als man<lb/>
die Unterſchriften nachſah, hatte ein einziger Abgeordne-<lb/>
ter als „nicht beiſtimmend“ unterzeichnet. Auf Befragen<lb/>
erklärte dieſer, (Martin d’Auch) er könne nicht ſchwören<lb/>
einen vom Könige nicht genehmigten Beſchluß auszufüh-<lb/>
ren, und die Bemerkung des Präſidenten, wie der von<lb/>
der Verſammlung ſtets anerkannte Grundſatz daß die Ver-<lb/>
faſſung und die Geſetzgebung der königlichen Genehmigung<lb/>
bedürfen, durch den Eid nicht ausgeſchloſſen ſey, machte<lb/>
ihn nicht irre. Man ließ ihn aber gewähren, um ei-<lb/>
nen Beweis der Achtung für die Freiheit der Meinungen<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[208/0218]
das Parlament angingen, daß der König ſelbſt dem Präſi-
denten ſchreibe! Unter ſteigender Aufregung, während
Einige davon ſprachen, man müſſe geradezu nach Paris
wandern, dahin den Sitz der Verſammlung verlegen, Le
Chapelier aber verlangte, man müſſe dem Könige ſchrei-
ben, ſein Thron ſey von Feinden des Vaterlandes umla-
gert, gewann Mounier alle Gemüther für den Vorſchlag,
ſich gegenſeitig durch einen Eidſchwur zum treuen Zuſam-
menſtehn, wo es denn ſey, zu verpflichten, dieſen Eid
in Schrift zu bringen und zu unterzeichnen. Die Formel
des Eidſchwurs entwarf Sieyes. Der Präſident ſtieg auf
den Tiſch und verlas ſo laut, daß auch die Menge draußen
ſie hören konnte, die Worte: „Wir ſchwören uns nie-
mals von der Nationalverſammlung zu trennen und uns
allenthalben zu verſammeln, wo die Umſtände es erfordern
werden, bis die Verfaſſung des Königreiches vollendet
und auf feſten Grundlagen errichtet ſeyn wird.“ Als man
die Unterſchriften nachſah, hatte ein einziger Abgeordne-
ter als „nicht beiſtimmend“ unterzeichnet. Auf Befragen
erklärte dieſer, (Martin d’Auch) er könne nicht ſchwören
einen vom Könige nicht genehmigten Beſchluß auszufüh-
ren, und die Bemerkung des Präſidenten, wie der von
der Verſammlung ſtets anerkannte Grundſatz daß die Ver-
faſſung und die Geſetzgebung der königlichen Genehmigung
bedürfen, durch den Eid nicht ausgeſchloſſen ſey, machte
ihn nicht irre. Man ließ ihn aber gewähren, um ei-
nen Beweis der Achtung für die Freiheit der Meinungen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/218>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.