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Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.

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Von d. Rechte d. Staates üb. Erzieh. u. Unterricht.
politischen Geschichte steht. Die Aufgaben des Scharf-
sinnes in dem Kunstgewebe einer Sprache, die ausge-
sprochen hat, sind unendlich, und der jugendlichen Fas-
sungskraft eben so sehr als der männlichsten Tiefe zusagend.
Dann der Inhalt der alten Schriften, die sich dem Sinne
nahen durch gewinnende Einfalt in aller ihrer Vollendung
und zugleich dem Vorwitze des Urtheils sich entziehen durch
die Scheidewand, welche zwischen unserm Daseyn und
dem ihren steht.

Das Alles nun ist wahr, aber wahr ist auch, daß diese
vielen Canäle des Wissens, von aller Welt Enden herge-
leitet, unser Grundstück so durchfurchen, daß der festere
Schritt und das gediegene Wesen leicht auf diesem zer-
stückelten Boden Schaden nimmt. Die Kluft zwischen
Wissen und Können, Kraft des Verstandes und Kraft des
Charakters, ist ungeheuer groß geworden. Die am mei-
sten von Tapferkeit lesen und lehren, sind sie tapfer? brin-
gen sie wirklich dem Vaterlande Opfer? Ist nicht die Mehr-
zahl der Wissenden mit ihrem Wissen mehr äußerlich be-
hängt als davon durchdrungen, gehemmt dadurch in ihrer
Bewegung, statt daß der Wiederschein der edelsten Be-
schäftigungen sich in jeder That des wahrhaft Wissenden
abspiegeln sollte? Wissen wir wirklich für uns selber, oder
nicht bei weitem mehr für Andere? Und was kann man
am Ende für Andere wissen? Alles bloß aufgenommene
Wissen ist krank und macht Kranke. Wo ist darum Siech-
thum mehr zu Hause als bei den Gelehrten? Wo fehlt häufi-
ger jenes kräftige Gleichgewicht der geistigen und körperlichen
Thätigkeiten, das den gelungenen Menschen bezeichnet?

265. Niemand hat dieses tiefe Leiden der heutigen
Menschheit schmerzlicher im Gemüthe empfunden und

Von d. Rechte d. Staates uͤb. Erzieh. u. Unterricht.
politiſchen Geſchichte ſteht. Die Aufgaben des Scharf-
ſinnes in dem Kunſtgewebe einer Sprache, die ausge-
ſprochen hat, ſind unendlich, und der jugendlichen Faſ-
ſungskraft eben ſo ſehr als der maͤnnlichſten Tiefe zuſagend.
Dann der Inhalt der alten Schriften, die ſich dem Sinne
nahen durch gewinnende Einfalt in aller ihrer Vollendung
und zugleich dem Vorwitze des Urtheils ſich entziehen durch
die Scheidewand, welche zwiſchen unſerm Daſeyn und
dem ihren ſteht.

Das Alles nun iſt wahr, aber wahr iſt auch, daß dieſe
vielen Canaͤle des Wiſſens, von aller Welt Enden herge-
leitet, unſer Grundſtuͤck ſo durchfurchen, daß der feſtere
Schritt und das gediegene Weſen leicht auf dieſem zer-
ſtuͤckelten Boden Schaden nimmt. Die Kluft zwiſchen
Wiſſen und Koͤnnen, Kraft des Verſtandes und Kraft des
Charakters, iſt ungeheuer groß geworden. Die am mei-
ſten von Tapferkeit leſen und lehren, ſind ſie tapfer? brin-
gen ſie wirklich dem Vaterlande Opfer? Iſt nicht die Mehr-
zahl der Wiſſenden mit ihrem Wiſſen mehr aͤußerlich be-
haͤngt als davon durchdrungen, gehemmt dadurch in ihrer
Bewegung, ſtatt daß der Wiederſchein der edelſten Be-
ſchaͤftigungen ſich in jeder That des wahrhaft Wiſſenden
abſpiegeln ſollte? Wiſſen wir wirklich fuͤr uns ſelber, oder
nicht bei weitem mehr fuͤr Andere? Und was kann man
am Ende fuͤr Andere wiſſen? Alles bloß aufgenommene
Wiſſen iſt krank und macht Kranke. Wo iſt darum Siech-
thum mehr zu Hauſe als bei den Gelehrten? Wo fehlt haͤufi-
ger jenes kraͤftige Gleichgewicht der geiſtigen und koͤrperlichen
Thaͤtigkeiten, das den gelungenen Menſchen bezeichnet?

265. Niemand hat dieſes tiefe Leiden der heutigen
Menſchheit ſchmerzlicher im Gemuͤthe empfunden und

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[261/0273] Von d. Rechte d. Staates uͤb. Erzieh. u. Unterricht. politiſchen Geſchichte ſteht. Die Aufgaben des Scharf- ſinnes in dem Kunſtgewebe einer Sprache, die ausge- ſprochen hat, ſind unendlich, und der jugendlichen Faſ- ſungskraft eben ſo ſehr als der maͤnnlichſten Tiefe zuſagend. Dann der Inhalt der alten Schriften, die ſich dem Sinne nahen durch gewinnende Einfalt in aller ihrer Vollendung und zugleich dem Vorwitze des Urtheils ſich entziehen durch die Scheidewand, welche zwiſchen unſerm Daſeyn und dem ihren ſteht. Das Alles nun iſt wahr, aber wahr iſt auch, daß dieſe vielen Canaͤle des Wiſſens, von aller Welt Enden herge- leitet, unſer Grundſtuͤck ſo durchfurchen, daß der feſtere Schritt und das gediegene Weſen leicht auf dieſem zer- ſtuͤckelten Boden Schaden nimmt. Die Kluft zwiſchen Wiſſen und Koͤnnen, Kraft des Verſtandes und Kraft des Charakters, iſt ungeheuer groß geworden. Die am mei- ſten von Tapferkeit leſen und lehren, ſind ſie tapfer? brin- gen ſie wirklich dem Vaterlande Opfer? Iſt nicht die Mehr- zahl der Wiſſenden mit ihrem Wiſſen mehr aͤußerlich be- haͤngt als davon durchdrungen, gehemmt dadurch in ihrer Bewegung, ſtatt daß der Wiederſchein der edelſten Be- ſchaͤftigungen ſich in jeder That des wahrhaft Wiſſenden abſpiegeln ſollte? Wiſſen wir wirklich fuͤr uns ſelber, oder nicht bei weitem mehr fuͤr Andere? Und was kann man am Ende fuͤr Andere wiſſen? Alles bloß aufgenommene Wiſſen iſt krank und macht Kranke. Wo iſt darum Siech- thum mehr zu Hauſe als bei den Gelehrten? Wo fehlt haͤufi- ger jenes kraͤftige Gleichgewicht der geiſtigen und koͤrperlichen Thaͤtigkeiten, das den gelungenen Menſchen bezeichnet? 265. Niemand hat dieſes tiefe Leiden der heutigen Menſchheit ſchmerzlicher im Gemuͤthe empfunden und

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Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/273>, abgerufen am 22.11.2024.