Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.Dreizehntes Capitel. lesenden und schreibenden Völker, den Beweis giebt Schott-land, wo ihr Geist das ganze Volk durchdrang, ein un- sägliches Grübeln und Streiten über Dogmen weckte und Buch und Feder in jede Hütte brachte. Nicht so in England, noch weniger natürlich in Irland. Man könnte in jedes Ir- ländische Dorf ein Schulhaus stellen, einen Schullehrer hin- ein, ohne die Volksbildung einen Schritt weiter zu brin- gen; warum? weil das Bildungsvermögen fehlt. Die äußeren Anstalten ohne dieses sind nicht mehr als die De- corationen von Dörfern und Heerden, mit denen Kaise- rin Katharina bei ihrer ersten Reise in die Krimm geblen- det ward. Der Zustand des niedern Landmanns, des Lohnarbeiters muß ihm erlauben von der Erde aufzusehen, die heranwachsenden Kinder eine Weile zu entbehren, die Ursachen und die Stützen seines arbeitvollen Elends. Denn wer beständig für den Bedarf zu trachten hat, der betrach- tet die Fristung des sinnlichen Daseyns als des Lebens Ziel; ohne die auflösende Wohlthat der Nacht wäre er gei- stig ganz dahin. Man kann die Arbeit eines zu reizbaren Gehirns durch körperliche Arbeit mäßigen, Grillen weg- spaziren, allein eben so gewiß nimmt das Übermaas der Körperarbeit dem Geiste die Schwingen, bringt Räuber- oder Sclaven-Naturen hervor und die Irrlehre von billig erblicher Knechtschaft. Immer aber behält für den Haus- stand des Armen jede geraubte Arbeitsstunde großen Werth; ihm darf nur mäßige Zeit durch vorgeschriebenen Unter- richt der Seinen entwandt werden. Darum verdienstlich das Bemühen in kurzer Zeit viel zu leisten, wie der wech- selseitige Unterricht verspricht, welchen der Schotte Andreas Bell bei den Hindus fand und den Russische Reisende später auch in Tibet entdeckt haben. Dergestalt hat er den Beweis seiner Ausführbarkeit schon mit sich gebracht, da- Dreizehntes Capitel. leſenden und ſchreibenden Voͤlker, den Beweis giebt Schott-land, wo ihr Geiſt das ganze Volk durchdrang, ein un- ſaͤgliches Gruͤbeln und Streiten uͤber Dogmen weckte und Buch und Feder in jede Huͤtte brachte. Nicht ſo in England, noch weniger natuͤrlich in Irland. Man koͤnnte in jedes Ir- laͤndiſche Dorf ein Schulhaus ſtellen, einen Schullehrer hin- ein, ohne die Volksbildung einen Schritt weiter zu brin- gen; warum? weil das Bildungsvermoͤgen fehlt. Die aͤußeren Anſtalten ohne dieſes ſind nicht mehr als die De- corationen von Doͤrfern und Heerden, mit denen Kaiſe- rin Katharina bei ihrer erſten Reiſe in die Krimm geblen- det ward. Der Zuſtand des niedern Landmanns, des Lohnarbeiters muß ihm erlauben von der Erde aufzuſehen, die heranwachſenden Kinder eine Weile zu entbehren, die Urſachen und die Stuͤtzen ſeines arbeitvollen Elends. Denn wer beſtaͤndig fuͤr den Bedarf zu trachten hat, der betrach- tet die Friſtung des ſinnlichen Daſeyns als des Lebens Ziel; ohne die aufloͤſende Wohlthat der Nacht waͤre er gei- ſtig ganz dahin. Man kann die Arbeit eines zu reizbaren Gehirns durch koͤrperliche Arbeit maͤßigen, Grillen weg- ſpaziren, allein eben ſo gewiß nimmt das Übermaas der Koͤrperarbeit dem Geiſte die Schwingen, bringt Raͤuber- oder Sclaven-Naturen hervor und die Irrlehre von billig erblicher Knechtſchaft. Immer aber behaͤlt fuͤr den Haus- ſtand des Armen jede geraubte Arbeitsſtunde großen Werth; ihm darf nur maͤßige Zeit durch vorgeſchriebenen Unter- richt der Seinen entwandt werden. Darum verdienſtlich das Bemuͤhen in kurzer Zeit viel zu leiſten, wie der wech- ſelſeitige Unterricht verſpricht, welchen der Schotte Andreas Bell bei den Hindus fand und den Ruſſiſche Reiſende ſpaͤter auch in Tibet entdeckt haben. Dergeſtalt hat er den Beweis ſeiner Ausfuͤhrbarkeit ſchon mit ſich gebracht, da- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0286" n="274"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Dreizehntes Capitel</hi>.</fw><lb/> leſenden und ſchreibenden Voͤlker, den Beweis giebt Schott-<lb/> land, wo ihr Geiſt das ganze Volk durchdrang, ein un-<lb/> ſaͤgliches Gruͤbeln und Streiten uͤber Dogmen weckte und<lb/> Buch und Feder in jede Huͤtte brachte. Nicht ſo in England,<lb/> noch weniger natuͤrlich in Irland. Man koͤnnte in jedes Ir-<lb/> laͤndiſche Dorf ein Schulhaus ſtellen, einen Schullehrer hin-<lb/> ein, ohne die Volksbildung einen Schritt weiter zu brin-<lb/> gen; warum? weil das Bildungsvermoͤgen fehlt. 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Dreizehntes Capitel.
leſenden und ſchreibenden Voͤlker, den Beweis giebt Schott-
land, wo ihr Geiſt das ganze Volk durchdrang, ein un-
ſaͤgliches Gruͤbeln und Streiten uͤber Dogmen weckte und
Buch und Feder in jede Huͤtte brachte. Nicht ſo in England,
noch weniger natuͤrlich in Irland. Man koͤnnte in jedes Ir-
laͤndiſche Dorf ein Schulhaus ſtellen, einen Schullehrer hin-
ein, ohne die Volksbildung einen Schritt weiter zu brin-
gen; warum? weil das Bildungsvermoͤgen fehlt. Die
aͤußeren Anſtalten ohne dieſes ſind nicht mehr als die De-
corationen von Doͤrfern und Heerden, mit denen Kaiſe-
rin Katharina bei ihrer erſten Reiſe in die Krimm geblen-
det ward. Der Zuſtand des niedern Landmanns, des
Lohnarbeiters muß ihm erlauben von der Erde aufzuſehen,
die heranwachſenden Kinder eine Weile zu entbehren, die
Urſachen und die Stuͤtzen ſeines arbeitvollen Elends. Denn
wer beſtaͤndig fuͤr den Bedarf zu trachten hat, der betrach-
tet die Friſtung des ſinnlichen Daſeyns als des Lebens
Ziel; ohne die aufloͤſende Wohlthat der Nacht waͤre er gei-
ſtig ganz dahin. Man kann die Arbeit eines zu reizbaren
Gehirns durch koͤrperliche Arbeit maͤßigen, Grillen weg-
ſpaziren, allein eben ſo gewiß nimmt das Übermaas der
Koͤrperarbeit dem Geiſte die Schwingen, bringt Raͤuber-
oder Sclaven-Naturen hervor und die Irrlehre von billig
erblicher Knechtſchaft. Immer aber behaͤlt fuͤr den Haus-
ſtand des Armen jede geraubte Arbeitsſtunde großen Werth;
ihm darf nur maͤßige Zeit durch vorgeſchriebenen Unter-
richt der Seinen entwandt werden. Darum verdienſtlich
das Bemuͤhen in kurzer Zeit viel zu leiſten, wie der wech-
ſelſeitige Unterricht verſpricht, welchen der Schotte Andreas
Bell bei den Hindus fand und den Ruſſiſche Reiſende
ſpaͤter auch in Tibet entdeckt haben. Dergeſtalt hat er den
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