Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.Von der Fortbildung der Staatsbürger. Christlichen Zeit unterwarf die niedere Geistlichkeit ihreSchriften vor der Bekanntmachung willig der Durchsicht ihrer kirchlichen Obern; seit aber die Wissenschaften welt- lich wurden, gab die Druckerkunst dem Staate das erste sichere Mittel an die Hand, die Veröffentlichung eines schriftstellerischen Werks von seiner Abfassung zu unterschei- den. Man konnte von nun an die Bekanntmachung jeder nicht vorher gebilligten Schrift durch Strafbefehle an die Drucker verhindern. Die Entfernung solcher Strafbefehle, durch den Druck öffentlich reden dürfen ohne vorgän- gige Erlaubniß, hieß seitdem Preßfreiheit. 285. Es ist die Macht der Sprache, welche durch Von der Fortbildung der Staatsbuͤrger. Chriſtlichen Zeit unterwarf die niedere Geiſtlichkeit ihreSchriften vor der Bekanntmachung willig der Durchſicht ihrer kirchlichen Obern; ſeit aber die Wiſſenſchaften welt- lich wurden, gab die Druckerkunſt dem Staate das erſte ſichere Mittel an die Hand, die Veroͤffentlichung eines ſchriftſtelleriſchen Werks von ſeiner Abfaſſung zu unterſchei- den. Man konnte von nun an die Bekanntmachung jeder nicht vorher gebilligten Schrift durch Strafbefehle an die Drucker verhindern. Die Entfernung ſolcher Strafbefehle, durch den Druck oͤffentlich reden duͤrfen ohne vorgaͤn- gige Erlaubniß, hieß ſeitdem Preßfreiheit. 285. Es iſt die Macht der Sprache, welche durch <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0311" n="299"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Von der Fortbildung der Staatsbuͤrger</hi>.</fw><lb/> Chriſtlichen Zeit unterwarf die niedere Geiſtlichkeit ihre<lb/> Schriften vor der Bekanntmachung willig der Durchſicht<lb/> ihrer kirchlichen Obern; ſeit aber die Wiſſenſchaften welt-<lb/> lich wurden, gab die Druckerkunſt dem Staate das erſte<lb/> ſichere Mittel an die Hand, die Veroͤffentlichung eines<lb/> ſchriftſtelleriſchen Werks von ſeiner Abfaſſung zu unterſchei-<lb/> den. Man konnte von nun an die Bekanntmachung jeder<lb/> nicht vorher gebilligten Schrift durch Strafbefehle an die<lb/> Drucker verhindern. Die Entfernung ſolcher Strafbefehle,<lb/> durch den Druck oͤffentlich reden duͤrfen ohne vorgaͤn-<lb/> gige Erlaubniß, hieß ſeitdem <hi rendition="#g">Preßfreiheit</hi>.</p><lb/> <p>285. Es iſt die Macht der Sprache, welche durch<lb/> Unterricht ausgebildet jetzt ſo ſtark im Staatsbuͤrger in die<lb/> Außenwelt heraustritt, daß ſie ganz allein einen Mann,<lb/> der nichts bedeutet, uͤbermaͤchtig machen kann. Ich kann<lb/> durch mein Wort meinen Gedanken faſſen und ihn dem<lb/> Mitmenſchen uͤberliefern, nicht die rohe Willensaͤußerung<lb/> bloß, die auch wohl aus den Haͤnden ſpraͤche, den feinſten<lb/> Nerv des Beweiſes enthuͤlle ich ihm, das leiſeſte Gefuͤhl.<lb/> Bloß durch mein Wort verwandle ich ſeine Geſtalt, Freude,<lb/> Zorn, Beifall, Verzweiflung ruf’ ich hervor, ein Wort<lb/> vermag zu toͤdten. Ich kann mein ungeſprochenes Wort<lb/> in Schrift verkoͤrpern und es uͤbt tonlos auf tauſend Mei-<lb/> len dieſelbe Gewalt, unendlich viel weiter als Schießpul-<lb/> ver wirkt. Es uͤbt ſeine Macht ohne alle Beziehung auf<lb/> den Vortheil, die Verbeſſerung der Lage des Angeredeten;<lb/> “Was iſt ihm Hekuba? was iſt er ihr, Daß er um ſie ſoll<lb/> weinen?” Aber welch ein Hebel auch zu Thaten, wenn<lb/> Ort und Zeit und Intereſſe mit dem entflammenden Worte<lb/> zuſammentreffen? Haben Worte ſo große Macht zum<lb/> Guten und zum Boͤſen, ſo folgt daraus, daß man durch<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [299/0311]
Von der Fortbildung der Staatsbuͤrger.
Chriſtlichen Zeit unterwarf die niedere Geiſtlichkeit ihre
Schriften vor der Bekanntmachung willig der Durchſicht
ihrer kirchlichen Obern; ſeit aber die Wiſſenſchaften welt-
lich wurden, gab die Druckerkunſt dem Staate das erſte
ſichere Mittel an die Hand, die Veroͤffentlichung eines
ſchriftſtelleriſchen Werks von ſeiner Abfaſſung zu unterſchei-
den. Man konnte von nun an die Bekanntmachung jeder
nicht vorher gebilligten Schrift durch Strafbefehle an die
Drucker verhindern. Die Entfernung ſolcher Strafbefehle,
durch den Druck oͤffentlich reden duͤrfen ohne vorgaͤn-
gige Erlaubniß, hieß ſeitdem Preßfreiheit.
285. Es iſt die Macht der Sprache, welche durch
Unterricht ausgebildet jetzt ſo ſtark im Staatsbuͤrger in die
Außenwelt heraustritt, daß ſie ganz allein einen Mann,
der nichts bedeutet, uͤbermaͤchtig machen kann. Ich kann
durch mein Wort meinen Gedanken faſſen und ihn dem
Mitmenſchen uͤberliefern, nicht die rohe Willensaͤußerung
bloß, die auch wohl aus den Haͤnden ſpraͤche, den feinſten
Nerv des Beweiſes enthuͤlle ich ihm, das leiſeſte Gefuͤhl.
Bloß durch mein Wort verwandle ich ſeine Geſtalt, Freude,
Zorn, Beifall, Verzweiflung ruf’ ich hervor, ein Wort
vermag zu toͤdten. Ich kann mein ungeſprochenes Wort
in Schrift verkoͤrpern und es uͤbt tonlos auf tauſend Mei-
len dieſelbe Gewalt, unendlich viel weiter als Schießpul-
ver wirkt. Es uͤbt ſeine Macht ohne alle Beziehung auf
den Vortheil, die Verbeſſerung der Lage des Angeredeten;
“Was iſt ihm Hekuba? was iſt er ihr, Daß er um ſie ſoll
weinen?” Aber welch ein Hebel auch zu Thaten, wenn
Ort und Zeit und Intereſſe mit dem entflammenden Worte
zuſammentreffen? Haben Worte ſo große Macht zum
Guten und zum Boͤſen, ſo folgt daraus, daß man durch
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