Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Religion und Kirche im Staate.
vollbringen, und bei der vorwiegenden Neigung der Gemein-
den die noch trennenden Unterschiede um der näheren Ge-
meinschaft Willen lieber zu übersehen, der Hauptsache nach
durch freien allmähligen Beitritt gelang, kündigten sich zu-
gleich Einrichtungen an, welche die unerkennbare Richtung
des zweiten Weges nahmen. Mit der Staatsverfassung
sollte sich die kirchliche Verfassung umgestalten, Provincial-
Stände und Reichsstände sollten neben Provincial-Syno-
den und Reichs-Synoden stehen. Auch ward wirklich der
Versuch mit Kreis- und Provinzial-Synoden, die indeß
bloß aus Geistlichen bestanden, gemacht, und eine General-
Synode verheißen. Inzwischen gab man nach einigen Jah-
ren mit der Umbildung der Reichsverfassung auch die der
Kirchenverfassung auf, verließ den zweiten Weg, ohne ge-
neigt zu seyn auf den langsam aber, weil der Glaube sich
nicht vertreten läßt, sicherer zum Ziele führenden ersten zu-
rückzukehren. Vielmehr hat bei Betreibung der neuen
Agende seit 1821 sich mannigfache Klage verbreitet über
Bedrückung der öffentlichen Meinung, indem nur den Lob-
rednern das Wort vergönnt sey, selbst bescheidener Tadel
die Gewalt erfahren müsse, welche Gunst und Ungunst der
Mächtigen zu üben vermögen, auch sey neben lockender An-
erbietung in einigen Fällen Drohung angewendet. Dar-
um hat die neue Agende nicht allein den Stand des Kir-
chenwesens nicht verbessert, sondern selbst nachtheilig durch
Misstimmung und Kälte auf das erfreuliche Werk der Union
zurückgewirkt.

*) Falck, Actenstücke, betreffend die neue Preußische Kirchenagende
S. IX ff.

297. Synoden, bloß aus Geistlichen bestehend, vielleicht
dazu bloß höheren Geistlichen (Würtemberg), oder aus Geist-
lichen mit einem Zusatze von Beamten, wie man sie für
die Protestanten im Königreiche Baiern beabsichtigte, (wäh-
rend man in Baden zutreffenden Formen Raum gab, nur
bei der Ausführung der Synodalbeschlüsse den Vorwurf des

Religion und Kirche im Staate.
vollbringen, und bei der vorwiegenden Neigung der Gemein-
den die noch trennenden Unterſchiede um der naͤheren Ge-
meinſchaft Willen lieber zu uͤberſehen, der Hauptſache nach
durch freien allmaͤhligen Beitritt gelang, kuͤndigten ſich zu-
gleich Einrichtungen an, welche die unerkennbare Richtung
des zweiten Weges nahmen. Mit der Staatsverfaſſung
ſollte ſich die kirchliche Verfaſſung umgeſtalten, Provincial-
Staͤnde und Reichsſtaͤnde ſollten neben Provincial-Syno-
den und Reichs-Synoden ſtehen. Auch ward wirklich der
Verſuch mit Kreis- und Provinzial-Synoden, die indeß
bloß aus Geiſtlichen beſtanden, gemacht, und eine General-
Synode verheißen. Inzwiſchen gab man nach einigen Jah-
ren mit der Umbildung der Reichsverfaſſung auch die der
Kirchenverfaſſung auf, verließ den zweiten Weg, ohne ge-
neigt zu ſeyn auf den langſam aber, weil der Glaube ſich
nicht vertreten laͤßt, ſicherer zum Ziele fuͤhrenden erſten zu-
ruͤckzukehren. Vielmehr hat bei Betreibung der neuen
Agende ſeit 1821 ſich mannigfache Klage verbreitet uͤber
Bedruͤckung der oͤffentlichen Meinung, indem nur den Lob-
rednern das Wort vergoͤnnt ſey, ſelbſt beſcheidener Tadel
die Gewalt erfahren muͤſſe, welche Gunſt und Ungunſt der
Maͤchtigen zu uͤben vermoͤgen, auch ſey neben lockender An-
erbietung in einigen Faͤllen Drohung angewendet. Dar-
um hat die neue Agende nicht allein den Stand des Kir-
chenweſens nicht verbeſſert, ſondern ſelbſt nachtheilig durch
Misſtimmung und Kaͤlte auf das erfreuliche Werk der Union
zuruͤckgewirkt.

*) Falck, Actenſtuͤcke, betreffend die neue Preußiſche Kirchenagende
S. IX ff.

297. Synoden, bloß aus Geiſtlichen beſtehend, vielleicht
dazu bloß hoͤheren Geiſtlichen (Wuͤrtemberg), oder aus Geiſt-
lichen mit einem Zuſatze von Beamten, wie man ſie fuͤr
die Proteſtanten im Koͤnigreiche Baiern beabſichtigte, (waͤh-
rend man in Baden zutreffenden Formen Raum gab, nur
bei der Ausfuͤhrung der Synodalbeſchluͤſſe den Vorwurf des

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0339" n="327"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Religion und Kirche im Staate</hi>.</fw><lb/>
vollbringen, und bei der vorwiegenden Neigung der Gemein-<lb/>
den die noch trennenden Unter&#x017F;chiede um der na&#x0364;heren Ge-<lb/>
mein&#x017F;chaft Willen lieber zu u&#x0364;ber&#x017F;ehen, der Haupt&#x017F;ache nach<lb/>
durch freien allma&#x0364;hligen Beitritt gelang, ku&#x0364;ndigten &#x017F;ich zu-<lb/>
gleich Einrichtungen an, welche die unerkennbare Richtung<lb/>
des <hi rendition="#g">zweiten</hi> Weges nahmen. Mit der Staatsverfa&#x017F;&#x017F;ung<lb/>
&#x017F;ollte &#x017F;ich die kirchliche Verfa&#x017F;&#x017F;ung umge&#x017F;talten, Provincial-<lb/>
Sta&#x0364;nde und Reichs&#x017F;ta&#x0364;nde &#x017F;ollten neben Provincial-Syno-<lb/>
den und Reichs-Synoden &#x017F;tehen. Auch ward wirklich der<lb/>
Ver&#x017F;uch mit Kreis- und Provinzial-Synoden, die indeß<lb/>
bloß aus Gei&#x017F;tlichen be&#x017F;tanden, gemacht, und eine General-<lb/>
Synode verheißen. Inzwi&#x017F;chen gab man nach einigen Jah-<lb/>
ren mit der Umbildung der Reichsverfa&#x017F;&#x017F;ung auch die der<lb/>
Kirchenverfa&#x017F;&#x017F;ung auf, verließ den zweiten Weg, ohne ge-<lb/>
neigt zu &#x017F;eyn auf den lang&#x017F;am aber, weil der Glaube &#x017F;ich<lb/>
nicht vertreten la&#x0364;ßt, &#x017F;icherer zum Ziele fu&#x0364;hrenden er&#x017F;ten zu-<lb/>
ru&#x0364;ckzukehren. Vielmehr hat bei Betreibung der neuen<lb/>
Agende &#x017F;eit 1821 &#x017F;ich mannigfache Klage verbreitet u&#x0364;ber<lb/>
Bedru&#x0364;ckung der o&#x0364;ffentlichen Meinung, indem nur den Lob-<lb/>
rednern das Wort vergo&#x0364;nnt &#x017F;ey, &#x017F;elb&#x017F;t be&#x017F;cheidener Tadel<lb/>
die Gewalt erfahren mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, welche Gun&#x017F;t und Ungun&#x017F;t der<lb/>
Ma&#x0364;chtigen zu u&#x0364;ben vermo&#x0364;gen, auch &#x017F;ey neben lockender An-<lb/>
erbietung in einigen Fa&#x0364;llen Drohung angewendet. Dar-<lb/>
um hat die neue Agende nicht allein den Stand des Kir-<lb/>
chenwe&#x017F;ens nicht verbe&#x017F;&#x017F;ert, &#x017F;ondern &#x017F;elb&#x017F;t nachtheilig durch<lb/>
Mis&#x017F;timmung und Ka&#x0364;lte auf das erfreuliche Werk der Union<lb/>
zuru&#x0364;ckgewirkt.</p><lb/>
                <note place="end" n="*)">Falck, Acten&#x017F;tu&#x0364;cke, betreffend die neue Preußi&#x017F;che Kirchenagende<lb/>
S. <hi rendition="#aq">IX</hi> ff.</note><lb/>
                <p>297. Synoden, bloß aus Gei&#x017F;tlichen be&#x017F;tehend, vielleicht<lb/>
dazu bloß ho&#x0364;heren Gei&#x017F;tlichen (Wu&#x0364;rtemberg), oder aus Gei&#x017F;t-<lb/>
lichen mit einem Zu&#x017F;atze von Beamten, wie man &#x017F;ie fu&#x0364;r<lb/>
die Prote&#x017F;tanten im Ko&#x0364;nigreiche Baiern beab&#x017F;ichtigte, (wa&#x0364;h-<lb/>
rend man in Baden zutreffenden Formen Raum gab, nur<lb/>
bei der Ausfu&#x0364;hrung der Synodalbe&#x017F;chlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e den Vorwurf des<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[327/0339] Religion und Kirche im Staate. vollbringen, und bei der vorwiegenden Neigung der Gemein- den die noch trennenden Unterſchiede um der naͤheren Ge- meinſchaft Willen lieber zu uͤberſehen, der Hauptſache nach durch freien allmaͤhligen Beitritt gelang, kuͤndigten ſich zu- gleich Einrichtungen an, welche die unerkennbare Richtung des zweiten Weges nahmen. Mit der Staatsverfaſſung ſollte ſich die kirchliche Verfaſſung umgeſtalten, Provincial- Staͤnde und Reichsſtaͤnde ſollten neben Provincial-Syno- den und Reichs-Synoden ſtehen. Auch ward wirklich der Verſuch mit Kreis- und Provinzial-Synoden, die indeß bloß aus Geiſtlichen beſtanden, gemacht, und eine General- Synode verheißen. Inzwiſchen gab man nach einigen Jah- ren mit der Umbildung der Reichsverfaſſung auch die der Kirchenverfaſſung auf, verließ den zweiten Weg, ohne ge- neigt zu ſeyn auf den langſam aber, weil der Glaube ſich nicht vertreten laͤßt, ſicherer zum Ziele fuͤhrenden erſten zu- ruͤckzukehren. Vielmehr hat bei Betreibung der neuen Agende ſeit 1821 ſich mannigfache Klage verbreitet uͤber Bedruͤckung der oͤffentlichen Meinung, indem nur den Lob- rednern das Wort vergoͤnnt ſey, ſelbſt beſcheidener Tadel die Gewalt erfahren muͤſſe, welche Gunſt und Ungunſt der Maͤchtigen zu uͤben vermoͤgen, auch ſey neben lockender An- erbietung in einigen Faͤllen Drohung angewendet. Dar- um hat die neue Agende nicht allein den Stand des Kir- chenweſens nicht verbeſſert, ſondern ſelbſt nachtheilig durch Misſtimmung und Kaͤlte auf das erfreuliche Werk der Union zuruͤckgewirkt. *⁾ Falck, Actenſtuͤcke, betreffend die neue Preußiſche Kirchenagende S. IX ff. 297. Synoden, bloß aus Geiſtlichen beſtehend, vielleicht dazu bloß hoͤheren Geiſtlichen (Wuͤrtemberg), oder aus Geiſt- lichen mit einem Zuſatze von Beamten, wie man ſie fuͤr die Proteſtanten im Koͤnigreiche Baiern beabſichtigte, (waͤh- rend man in Baden zutreffenden Formen Raum gab, nur bei der Ausfuͤhrung der Synodalbeſchluͤſſe den Vorwurf des

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/339
Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/339>, abgerufen am 21.11.2024.