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Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876.

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Cap. 17. Art Beute zu fangen.
nicht im mindesten reizbar zu sein scheint, so musz der langsame
Procesz des Verschlingens die Folge der Vorwärtsbewegung der
Larve sein.

Es ist schwer, sich darüber eine Vermuthung zu bilden, was
wohl so viele Geschöpfe, fleisch- und pflanzenfressende Krustenthiere,
Würmer, Tardigraden und verschiedene Larven anreizen kann, in die
Blasen zu gehen. Mrs. Treat sagt, dasz die eben erwähnten Larven
von Pflanzennahrung leben und eine besondere Liebhaberei für die
langen Borsten rings um die Klappe haben; dieser Geschmack kann
aber den Eintritt von fleischfressenden Krustenthieren nicht erklären.
Vielleicht versuchen kleine im Wasser lebende Thiere gewohnheits-
gemäsz in jeden kleinen Spalt einzutreten, wie in den zwischen Klappe
und Kragen, um Nahrung oder Schutz zu suchen. Es ist nicht wahr-
scheinlich, dasz die merkwürdige Durchsichtigkeit der Klappe ein zu-
fälliger Umstand ist; der dadurch entstehende lichte Punkt könnte
als Führer dienen. Die langen Borsten rings um den Eingang dienen
allem Anscheine nach demselben Zwecke. Ich glaube deshalb, dasz
dies der Fall ist, weil die Blasen einiger epiphytisch und auf Marsch-
boden lebender Species von Utricularia, welche entweder in verfilzter
Vegetation oder in Schlamm leben, keine Borsten um den Eingang
haben; diese würden unter solchen Bedingungen von keinem Nutzen
als Führer sein. Demungeachtet springen bei diesen epiphytischen
auf Marschboden lebenden Arten zwei Paare Borsten von der Ober-
fläche der Klappe wie in den wasserlebenden Arten vor; ihre Function
ist wahrscheinlich die, gröszere Thiere von einem Versuche, in die
Blase einzudringen, abzuhalten, damit nicht dadurch die Mündung
eingerissen werde.

Da unter günstigen Umständen die meisten Blasen im Fangen
von Beute Erfolg haben (in einem Falle selbst zehn Krustenthiere), --
da die Klappe so gut dazu angepaszt ist, den Thieren den Eingang
zwar zu gestatten, aber ihr Entweichen zu verhindern, -- und da
die Innenseite der Blase eine so eigenthümliche Structur darbietet,
in ihrer Auskleidung mit unzähligen viertheiligen und zweigespaltenen
Fortsätzen, so läszt sich unmöglich daran zweifeln, dasz die Pflanze
speciell für das Fangen von Beute eingerichtet worden ist. Nach
Anologie mit der zu derselben Familie gehörigen Pinguicula erwar-
tete ich natürlich, dasz die Blasen ihre Beute verdauen würden; dies

Darwin, Insectenfressende Pflanzen. (VIII.) 24

Cap. 17. Art Beute zu fangen.
nicht im mindesten reizbar zu sein scheint, so musz der langsame
Procesz des Verschlingens die Folge der Vorwärtsbewegung der
Larve sein.

Es ist schwer, sich darüber eine Vermuthung zu bilden, was
wohl so viele Geschöpfe, fleisch- und pflanzenfressende Krustenthiere,
Würmer, Tardigraden und verschiedene Larven anreizen kann, in die
Blasen zu gehen. Mrs. Treat sagt, dasz die eben erwähnten Larven
von Pflanzennahrung leben und eine besondere Liebhaberei für die
langen Borsten rings um die Klappe haben; dieser Geschmack kann
aber den Eintritt von fleischfressenden Krustenthieren nicht erklären.
Vielleicht versuchen kleine im Wasser lebende Thiere gewohnheits-
gemäsz in jeden kleinen Spalt einzutreten, wie in den zwischen Klappe
und Kragen, um Nahrung oder Schutz zu suchen. Es ist nicht wahr-
scheinlich, dasz die merkwürdige Durchsichtigkeit der Klappe ein zu-
fälliger Umstand ist; der dadurch entstehende lichte Punkt könnte
als Führer dienen. Die langen Borsten rings um den Eingang dienen
allem Anscheine nach demselben Zwecke. Ich glaube deshalb, dasz
dies der Fall ist, weil die Blasen einiger epiphytisch und auf Marsch-
boden lebender Species von Utricularia, welche entweder in verfilzter
Vegetation oder in Schlamm leben, keine Borsten um den Eingang
haben; diese würden unter solchen Bedingungen von keinem Nutzen
als Führer sein. Demungeachtet springen bei diesen epiphytischen
auf Marschboden lebenden Arten zwei Paare Borsten von der Ober-
fläche der Klappe wie in den wasserlebenden Arten vor; ihre Function
ist wahrscheinlich die, gröszere Thiere von einem Versuche, in die
Blase einzudringen, abzuhalten, damit nicht dadurch die Mündung
eingerissen werde.

Da unter günstigen Umständen die meisten Blasen im Fangen
von Beute Erfolg haben (in einem Falle selbst zehn Krustenthiere), —
da die Klappe so gut dazu angepaszt ist, den Thieren den Eingang
zwar zu gestatten, aber ihr Entweichen zu verhindern, — und da
die Innenseite der Blase eine so eigenthümliche Structur darbietet,
in ihrer Auskleidung mit unzähligen viertheiligen und zweigespaltenen
Fortsätzen, so läszt sich unmöglich daran zweifeln, dasz die Pflanze
speciell für das Fangen von Beute eingerichtet worden ist. Nach
Anologie mit der zu derselben Familie gehörigen Pinguicula erwar-
tete ich natürlich, dasz die Blasen ihre Beute verdauen würden; dies

Darwin, Insectenfressende Pflanzen. (VIII.) 24
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[369/0383] Cap. 17. Art Beute zu fangen. nicht im mindesten reizbar zu sein scheint, so musz der langsame Procesz des Verschlingens die Folge der Vorwärtsbewegung der Larve sein. Es ist schwer, sich darüber eine Vermuthung zu bilden, was wohl so viele Geschöpfe, fleisch- und pflanzenfressende Krustenthiere, Würmer, Tardigraden und verschiedene Larven anreizen kann, in die Blasen zu gehen. Mrs. Treat sagt, dasz die eben erwähnten Larven von Pflanzennahrung leben und eine besondere Liebhaberei für die langen Borsten rings um die Klappe haben; dieser Geschmack kann aber den Eintritt von fleischfressenden Krustenthieren nicht erklären. Vielleicht versuchen kleine im Wasser lebende Thiere gewohnheits- gemäsz in jeden kleinen Spalt einzutreten, wie in den zwischen Klappe und Kragen, um Nahrung oder Schutz zu suchen. Es ist nicht wahr- scheinlich, dasz die merkwürdige Durchsichtigkeit der Klappe ein zu- fälliger Umstand ist; der dadurch entstehende lichte Punkt könnte als Führer dienen. Die langen Borsten rings um den Eingang dienen allem Anscheine nach demselben Zwecke. Ich glaube deshalb, dasz dies der Fall ist, weil die Blasen einiger epiphytisch und auf Marsch- boden lebender Species von Utricularia, welche entweder in verfilzter Vegetation oder in Schlamm leben, keine Borsten um den Eingang haben; diese würden unter solchen Bedingungen von keinem Nutzen als Führer sein. Demungeachtet springen bei diesen epiphytischen auf Marschboden lebenden Arten zwei Paare Borsten von der Ober- fläche der Klappe wie in den wasserlebenden Arten vor; ihre Function ist wahrscheinlich die, gröszere Thiere von einem Versuche, in die Blase einzudringen, abzuhalten, damit nicht dadurch die Mündung eingerissen werde. Da unter günstigen Umständen die meisten Blasen im Fangen von Beute Erfolg haben (in einem Falle selbst zehn Krustenthiere), — da die Klappe so gut dazu angepaszt ist, den Thieren den Eingang zwar zu gestatten, aber ihr Entweichen zu verhindern, — und da die Innenseite der Blase eine so eigenthümliche Structur darbietet, in ihrer Auskleidung mit unzähligen viertheiligen und zweigespaltenen Fortsätzen, so läszt sich unmöglich daran zweifeln, dasz die Pflanze speciell für das Fangen von Beute eingerichtet worden ist. Nach Anologie mit der zu derselben Familie gehörigen Pinguicula erwar- tete ich natürlich, dasz die Blasen ihre Beute verdauen würden; dies Darwin, Insectenfressende Pflanzen. (VIII.) 24

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Zitationshilfe: Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876, S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876/383>, abgerufen am 20.05.2024.