Daumer, Georg Friedrich: Die dreifache Krone Rom's. Münster, 1859.Menschen geht auch endlich das besänftigende und beseli- *) "Mit der Zeit ward Apollon geboren" sagt Pindar, auf die vielen Hinder-
nisse und Verzögerungen deutend, die sich seiner Geburt entgegenstellten. Die Mutter Leto irrt in qualvoller Geburtsangst lange über Erde und Meer, bis sie auf die steinige Insel gelangt, welche, wie Pindar sagt, die Sterblichen Delos, die Seligen im Olymp aber "das weitberühmte Gestirn der dunklen Erde" nennen. Auch diese Insel ward der Sage nach erst von Winden und Wellen unstät umhergetrieben, bis sie festen Bestand erlangte. Damit ist wohl ausgedrückt, daß auch der helle- nische Apollocult, wie er sich in Delos gestaltete, lange schwankte, bis er zu definitiver Anerkennung und Festigkeit gedieh. Menſchen geht auch endlich das beſänftigende und beſeli- *) „Mit der Zeit ward Apollon geboren“ ſagt Pindar, auf die vielen Hinder-
niſſe und Verzögerungen deutend, die ſich ſeiner Geburt entgegenſtellten. Die Mutter Leto irrt in qualvoller Geburtsangſt lange über Erde und Meer, bis ſie auf die ſteinige Inſel gelangt, welche, wie Pindar ſagt, die Sterblichen Delos, die Seligen im Olymp aber „das weitberühmte Geſtirn der dunklen Erde“ nennen. Auch dieſe Inſel ward der Sage nach erſt von Winden und Wellen unſtät umhergetrieben, bis ſie feſten Beſtand erlangte. Damit iſt wohl ausgedrückt, daß auch der helle- niſche Apollocult, wie er ſich in Delos geſtaltete, lange ſchwankte, bis er zu definitiver Anerkennung und Feſtigkeit gedieh. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0122" n="100"/> Menſchen geht auch endlich das beſänftigende und beſeli-<lb/> gende Verſtändniß des Poſitiven im Geiſtprincip auf, wel-<lb/> ches die Natur nicht bloß verneint, ſondern in ſich erhebt<lb/> und auf dieſe Weiſe zugleich auch bewahrt und bejaht; und<lb/> in dem Grade, daß der Menſch gebildet iſt, hört der Geiſt<lb/> auf, ein Schreckniß und Ungeheuer, ein Sivas und Ly-<lb/> keios, ein fürchterlicher Feuer- und Wolfgott zu ſein, und<lb/> fängt er an, die holdſelige Geſtalt des Gottes anzunehmen,<lb/> der ſich an unblutigen Opfern erfreut, durch ſein liebliches<lb/> Saitenſpiel Mauern baut und Sitten bildet und auf der<lb/> Hand die Symbole der Anmuth, die Grazien trägt. Die<lb/> reine, vollendete Herausbildung dieſer Seite jedoch iſt das<lb/> Schwierigſte und Letzte im Reiche menſchlicher Entwick-<lb/> lungen, die Krone und der Abſchluß der Cultur, wozu<lb/> es nur nach unendlichen Mühen und Kämpfen mit theils<lb/> ſinnlichen Rohheiten, theils ſpirituellen Barbarismen kommt,<lb/> was denn auch der griechiſche Mythus beſagt, wenn er die<lb/> Geburt des ſchönen, helleniſchen Gottes als eine ſo ſehr<lb/> erſchwerte und gefährdete beſchreibt. <note place="foot" n="*)">„Mit der Zeit ward Apollon geboren“ ſagt <hi rendition="#g">Pindar</hi>, auf die vielen Hinder-<lb/> niſſe und Verzögerungen deutend, die ſich ſeiner Geburt entgegenſtellten. Die<lb/> Mutter Leto irrt in qualvoller Geburtsangſt lange über Erde und Meer,<lb/> bis ſie auf die ſteinige Inſel gelangt, welche, wie <hi rendition="#g">Pindar</hi> ſagt, die<lb/> Sterblichen <hi rendition="#g">Delos,</hi> die Seligen im Olymp aber „<hi rendition="#g">das weitberühmte<lb/> Geſtirn der dunklen Erde</hi>“ nennen. Auch dieſe Inſel ward der<lb/> Sage nach erſt von Winden und Wellen unſtät umhergetrieben, bis ſie<lb/> feſten Beſtand erlangte. Damit iſt wohl ausgedrückt, daß auch der helle-<lb/> niſche Apollocult, wie er ſich in Delos geſtaltete, lange ſchwankte, bis er<lb/> zu definitiver Anerkennung und Feſtigkeit gedieh.</note> Die Griechen wa-<lb/> ren das Volk, das in dieſer Hinſicht das Höchſte erreicht<lb/> hat, was in vorchriſtlicher Zeit und Welt zu erreichen<lb/> war — das iſt ihre große Stellung, ihr ewiger Ruhm<lb/> und Glanz in der Weltgeſchichte.</p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </body> </text> </TEI> [100/0122]
Menſchen geht auch endlich das beſänftigende und beſeli-
gende Verſtändniß des Poſitiven im Geiſtprincip auf, wel-
ches die Natur nicht bloß verneint, ſondern in ſich erhebt
und auf dieſe Weiſe zugleich auch bewahrt und bejaht; und
in dem Grade, daß der Menſch gebildet iſt, hört der Geiſt
auf, ein Schreckniß und Ungeheuer, ein Sivas und Ly-
keios, ein fürchterlicher Feuer- und Wolfgott zu ſein, und
fängt er an, die holdſelige Geſtalt des Gottes anzunehmen,
der ſich an unblutigen Opfern erfreut, durch ſein liebliches
Saitenſpiel Mauern baut und Sitten bildet und auf der
Hand die Symbole der Anmuth, die Grazien trägt. Die
reine, vollendete Herausbildung dieſer Seite jedoch iſt das
Schwierigſte und Letzte im Reiche menſchlicher Entwick-
lungen, die Krone und der Abſchluß der Cultur, wozu
es nur nach unendlichen Mühen und Kämpfen mit theils
ſinnlichen Rohheiten, theils ſpirituellen Barbarismen kommt,
was denn auch der griechiſche Mythus beſagt, wenn er die
Geburt des ſchönen, helleniſchen Gottes als eine ſo ſehr
erſchwerte und gefährdete beſchreibt. *) Die Griechen wa-
ren das Volk, das in dieſer Hinſicht das Höchſte erreicht
hat, was in vorchriſtlicher Zeit und Welt zu erreichen
war — das iſt ihre große Stellung, ihr ewiger Ruhm
und Glanz in der Weltgeſchichte.
*) „Mit der Zeit ward Apollon geboren“ ſagt Pindar, auf die vielen Hinder-
niſſe und Verzögerungen deutend, die ſich ſeiner Geburt entgegenſtellten. Die
Mutter Leto irrt in qualvoller Geburtsangſt lange über Erde und Meer,
bis ſie auf die ſteinige Inſel gelangt, welche, wie Pindar ſagt, die
Sterblichen Delos, die Seligen im Olymp aber „das weitberühmte
Geſtirn der dunklen Erde“ nennen. Auch dieſe Inſel ward der
Sage nach erſt von Winden und Wellen unſtät umhergetrieben, bis ſie
feſten Beſtand erlangte. Damit iſt wohl ausgedrückt, daß auch der helle-
niſche Apollocult, wie er ſich in Delos geſtaltete, lange ſchwankte, bis er
zu definitiver Anerkennung und Feſtigkeit gedieh.
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