schen Propheten entgegentritt, ist ihr Verhältniß zum Chri- stenthum das nämliche. Die christliche Idee vor dem Chri- stenthum war in zweierlei Form vorhanden, erstlich als klar bewußte und ausgesprochene messianische Vorschau und Vorhersage, und dann als Mythus, als symbolische und poetische Abspiegelung und Vergegenwärtigung des Künfti- gen, wie in einer Art von Somnambulismus und Traum- gesicht. Von beiderlei Art der Vorstellung war die alte Welt erfüllt; besonders jedoch war dem Judenthum der klare messianische Prophetismus und die damit verbundene feurige Sehnsucht und Erwartung dessen, was kommen sollte, dem Heidenthum der traumartig bildende Mythus eigen; und wenn jener in den besonders sogenannten Pro- pheten des alten Testamentes seinen höchsten und vollkom- mensten Ausdruck findet, so culminirt dieser in der grie- chischen Mythologie, wie namentlich in dem erörterten hera- kleischen Sagen- und Bilderkreis. Wie sich nun durch Christus jene Weissagungen erfüllen, so realisiren sich in ihm auch jene mythischen Dichtungen und Vorbilder Chri- stus, als bloße Idee betrachtet, ist dasselbe, was der lei- dende, sterbende und dennoch triumphirende Messias des Jesaias, dasselbe, was seiner zu Grunde liegenden Natur und Bedeutung nach der eben so durch Leiden und Tod zur Verklärung hindurchgehende Herakles. Aber Christus ist nicht bloß Idee, prophetische und mythische Vorstellung, sondern er ist die realisirte Idee, die erfüllte Weissagung, die Wahrheit des Mythus, die historisch eingetretene Fülle gottmenschlicher und messianischer Wirklichkeit. Das ist ei- nerseits die Analogie und andererseits der Unterschied. Und so glauben wir unsere Meinung und Absicht klar und un- zweideutig genug ausgedrückt zu haben. Es handelte sich bei dieser Darstellung nur darum, zu zeigen, daß ein Evangelium der Idee, wenn man so sagen darf,
ſchen Propheten entgegentritt, iſt ihr Verhältniß zum Chri- ſtenthum das nämliche. Die chriſtliche Idee vor dem Chri- ſtenthum war in zweierlei Form vorhanden, erſtlich als klar bewußte und ausgeſprochene meſſianiſche Vorſchau und Vorherſage, und dann als Mythus, als ſymboliſche und poetiſche Abſpiegelung und Vergegenwärtigung des Künfti- gen, wie in einer Art von Somnambulismus und Traum- geſicht. Von beiderlei Art der Vorſtellung war die alte Welt erfüllt; beſonders jedoch war dem Judenthum der klare meſſianiſche Prophetismus und die damit verbundene feurige Sehnſucht und Erwartung deſſen, was kommen ſollte, dem Heidenthum der traumartig bildende Mythus eigen; und wenn jener in den beſonders ſogenannten Pro- pheten des alten Teſtamentes ſeinen höchſten und vollkom- menſten Ausdruck findet, ſo culminirt dieſer in der grie- chiſchen Mythologie, wie namentlich in dem erörterten hera- kleiſchen Sagen- und Bilderkreis. Wie ſich nun durch Chriſtus jene Weiſſagungen erfüllen, ſo realiſiren ſich in ihm auch jene mythiſchen Dichtungen und Vorbilder Chri- ſtus, als bloße Idee betrachtet, iſt daſſelbe, was der lei- dende, ſterbende und dennoch triumphirende Meſſias des Jeſaias, daſſelbe, was ſeiner zu Grunde liegenden Natur und Bedeutung nach der eben ſo durch Leiden und Tod zur Verklärung hindurchgehende Herakles. Aber Chriſtus iſt nicht bloß Idee, prophetiſche und mythiſche Vorſtellung, ſondern er iſt die realiſirte Idee, die erfüllte Weiſſagung, die Wahrheit des Mythus, die hiſtoriſch eingetretene Fülle gottmenſchlicher und meſſianiſcher Wirklichkeit. Das iſt ei- nerſeits die Analogie und andererſeits der Unterſchied. Und ſo glauben wir unſere Meinung und Abſicht klar und un- zweideutig genug ausgedrückt zu haben. Es handelte ſich bei dieſer Darſtellung nur darum, zu zeigen, daß ein Evangelium der Idee, wenn man ſo ſagen darf,
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ſchen Propheten entgegentritt, iſt ihr Verhältniß zum Chri-
ſtenthum das nämliche. Die chriſtliche Idee vor dem Chri-
ſtenthum war in zweierlei Form vorhanden, erſtlich als
klar bewußte und ausgeſprochene meſſianiſche Vorſchau und
Vorherſage, und dann als Mythus, als ſymboliſche und
poetiſche Abſpiegelung und Vergegenwärtigung des Künfti-
gen, wie in einer Art von Somnambulismus und Traum-
geſicht. Von beiderlei Art der Vorſtellung war die alte
Welt erfüllt; beſonders jedoch war dem Judenthum der
klare meſſianiſche Prophetismus und die damit verbundene
feurige Sehnſucht und Erwartung deſſen, was kommen
ſollte, dem Heidenthum der traumartig bildende Mythus
eigen; und wenn jener in den beſonders ſogenannten Pro-
pheten des alten Teſtamentes ſeinen höchſten und vollkom-
menſten Ausdruck findet, ſo culminirt dieſer in der grie-
chiſchen Mythologie, wie namentlich in dem erörterten hera-
kleiſchen Sagen- und Bilderkreis. Wie ſich nun durch
Chriſtus jene Weiſſagungen erfüllen, ſo realiſiren ſich in
ihm auch jene mythiſchen Dichtungen und Vorbilder Chri-
ſtus, als bloße Idee betrachtet, iſt daſſelbe, was der lei-
dende, ſterbende und dennoch triumphirende Meſſias des
Jeſaias, daſſelbe, was ſeiner zu Grunde liegenden Natur
und Bedeutung nach der eben ſo durch Leiden und Tod
zur Verklärung hindurchgehende Herakles. Aber Chriſtus
iſt nicht bloß Idee, prophetiſche und mythiſche Vorſtellung,
ſondern er iſt die realiſirte Idee, die erfüllte Weiſſagung,
die Wahrheit des Mythus, die hiſtoriſch eingetretene Fülle
gottmenſchlicher und meſſianiſcher Wirklichkeit. Das iſt ei-
nerſeits die Analogie und andererſeits der Unterſchied. Und
ſo glauben wir unſere Meinung und Abſicht klar und un-
zweideutig genug ausgedrückt zu haben. Es handelte ſich
bei dieſer Darſtellung nur darum, zu zeigen, daß ein
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Daumer, Georg Friedrich: Die dreifache Krone Rom's. Münster, 1859, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/daumer_krone_1859/62>, abgerufen am 16.02.2025.
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