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Daumer, Georg Friedrich: Die dreifache Krone Rom's. Münster, 1859.

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nach unserer Sprache, ihren vollkommenen Menschen, Gott
gleich machen wollen. Will aber nicht Christus seine Schü-
ler gleichfalls so vollkommen haben, als Gott? Schuf
nicht Gott den ersten Menschen nach seinem Bilde? Und
soll nicht der neue Mensch wiederum nach Gott geschaffen
sein in wahrhafter Gerechtigkeit und Heiligkeit?" *) Daß
ein solches Ideal, wie es auch übrigens beschaffen sein
mochte, auch auf dieser Seite hervorgetreten, ist jedenfalls
als eine bedeutende Thatsache und als ein wesentliches
Moment in der Entwicklung des heidnischen Bewußtseins
zu betrachten. Der mit sich und seiner Welt zerfallene
Mensch strebte über sich und diese Welt hinaus nach einem
harmonischeren, seligeren, würdevolleren Ziel. Er hatte
das Bedürfniß, einen wesentlich höher gestellten, von dem
schmählich lastenden Drucke der Welt und Zeit befreiten
Menschen sich wenigstens idealistisch vorzustellen. Der
stoische Weise war somit ein heidnisches, und insofern frei-
lich nicht weniger differentes, als analoges Seitenstück zu
dem neuen Menschen, dem "anderen Adam" des Christen-
thums; er war die höchste Anstrengung des Heidenthums,
sich mit den ihm zu Gebote stehenden Mitteln auf einen
über das Menschliche im untergeordneten und schlechten
Sinne des Wortes erhabenen Standpunkt zu versetzen.
Die Stoiker rühmten sich jedoch nicht, das Ziel erreicht zu
haben; sie spreizten sich mit ihrem Ideale nicht persönlich
auf; sie gestanden, daß Niemand zu nennen sei, in welchem
es sich realisirt zeige; nicht einmal z. B. in einem Sokra-
tes, Antisthenes, Kleanthes, Chrysippus finde es sich dar-
gestellt. Je höher die Stufe, auf welche man den idealen

*) 3. Mos. 19, 2. 1. Petr. 1, 15 f. Matth. 5, 48. Coloss. 1, 22.
Cap. 3, 9 ff. 2. Corinth. 3, 18. Cap. 7, 1. Ephes. 1, 4.
1. Thessal. 5, 23.

nach unſerer Sprache, ihren vollkommenen Menſchen, Gott
gleich machen wollen. Will aber nicht Chriſtus ſeine Schü-
ler gleichfalls ſo vollkommen haben, als Gott? Schuf
nicht Gott den erſten Menſchen nach ſeinem Bilde? Und
ſoll nicht der neue Menſch wiederum nach Gott geſchaffen
ſein in wahrhafter Gerechtigkeit und Heiligkeit?“ *) Daß
ein ſolches Ideal, wie es auch übrigens beſchaffen ſein
mochte, auch auf dieſer Seite hervorgetreten, iſt jedenfalls
als eine bedeutende Thatſache und als ein weſentliches
Moment in der Entwicklung des heidniſchen Bewußtſeins
zu betrachten. Der mit ſich und ſeiner Welt zerfallene
Menſch ſtrebte über ſich und dieſe Welt hinaus nach einem
harmoniſcheren, ſeligeren, würdevolleren Ziel. Er hatte
das Bedürfniß, einen weſentlich höher geſtellten, von dem
ſchmählich laſtenden Drucke der Welt und Zeit befreiten
Menſchen ſich wenigſtens idealiſtiſch vorzuſtellen. Der
ſtoiſche Weiſe war ſomit ein heidniſches, und inſofern frei-
lich nicht weniger differentes, als analoges Seitenſtück zu
dem neuen Menſchen, dem „anderen Adam“ des Chriſten-
thums; er war die höchſte Anſtrengung des Heidenthums,
ſich mit den ihm zu Gebote ſtehenden Mitteln auf einen
über das Menſchliche im untergeordneten und ſchlechten
Sinne des Wortes erhabenen Standpunkt zu verſetzen.
Die Stoiker rühmten ſich jedoch nicht, das Ziel erreicht zu
haben; ſie ſpreizten ſich mit ihrem Ideale nicht perſönlich
auf; ſie geſtanden, daß Niemand zu nennen ſei, in welchem
es ſich realiſirt zeige; nicht einmal z. B. in einem Sokra-
tes, Antiſthenes, Kleanthes, Chryſippus finde es ſich dar-
geſtellt. Je höher die Stufe, auf welche man den idealen

*) 3. Moſ. 19, 2. 1. Petr. 1, 15 f. Matth. 5, 48. Coloſſ. 1, 22.
Cap. 3, 9 ff. 2. Corinth. 3, 18. Cap. 7, 1. Epheſ. 1, 4.
1. Theſſal. 5, 23.
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[75/0097] nach unſerer Sprache, ihren vollkommenen Menſchen, Gott gleich machen wollen. Will aber nicht Chriſtus ſeine Schü- ler gleichfalls ſo vollkommen haben, als Gott? Schuf nicht Gott den erſten Menſchen nach ſeinem Bilde? Und ſoll nicht der neue Menſch wiederum nach Gott geſchaffen ſein in wahrhafter Gerechtigkeit und Heiligkeit?“ *) Daß ein ſolches Ideal, wie es auch übrigens beſchaffen ſein mochte, auch auf dieſer Seite hervorgetreten, iſt jedenfalls als eine bedeutende Thatſache und als ein weſentliches Moment in der Entwicklung des heidniſchen Bewußtſeins zu betrachten. Der mit ſich und ſeiner Welt zerfallene Menſch ſtrebte über ſich und dieſe Welt hinaus nach einem harmoniſcheren, ſeligeren, würdevolleren Ziel. Er hatte das Bedürfniß, einen weſentlich höher geſtellten, von dem ſchmählich laſtenden Drucke der Welt und Zeit befreiten Menſchen ſich wenigſtens idealiſtiſch vorzuſtellen. Der ſtoiſche Weiſe war ſomit ein heidniſches, und inſofern frei- lich nicht weniger differentes, als analoges Seitenſtück zu dem neuen Menſchen, dem „anderen Adam“ des Chriſten- thums; er war die höchſte Anſtrengung des Heidenthums, ſich mit den ihm zu Gebote ſtehenden Mitteln auf einen über das Menſchliche im untergeordneten und ſchlechten Sinne des Wortes erhabenen Standpunkt zu verſetzen. Die Stoiker rühmten ſich jedoch nicht, das Ziel erreicht zu haben; ſie ſpreizten ſich mit ihrem Ideale nicht perſönlich auf; ſie geſtanden, daß Niemand zu nennen ſei, in welchem es ſich realiſirt zeige; nicht einmal z. B. in einem Sokra- tes, Antiſthenes, Kleanthes, Chryſippus finde es ſich dar- geſtellt. Je höher die Stufe, auf welche man den idealen *) 3. Moſ. 19, 2. 1. Petr. 1, 15 f. Matth. 5, 48. Coloſſ. 1, 22. Cap. 3, 9 ff. 2. Corinth. 3, 18. Cap. 7, 1. Epheſ. 1, 4. 1. Theſſal. 5, 23.

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Zitationshilfe: Daumer, Georg Friedrich: Die dreifache Krone Rom's. Münster, 1859, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/daumer_krone_1859/97>, abgerufen am 21.11.2024.