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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.

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Die Rivalität zwischen Raphael und Michelangelo
-- Für die Entstehung des Wappens haben wir den sicheren ter-
minus ad quem
in dem Todesdatum des Papstes, 20. Februar 1513;
für die Entstehung des Jesaias hinwieder den terminus a quo in
der Aufstellung der Gruppe Sansovinos im Jahre 1512. Das Fresko
ist inhaltlich -- wovon unten noch mehr -- eine theologische Er-
läuterung zur Gruppe; es kann nicht vor 1512 ausgeführt sein,
wohl aber vielleicht später. Und nach der Version Vasaris muß
es sogar später ausgeführt sein. Denn danach hätte Raphael
seine erste Darstellung zerstört, um eine neue, in michelangelesker
Majestät, an ihre Stelle zu setzen, was erst nach 1512 oder aller-
frühestens ganz am Ende dieses Jahres geschehen sein könnte.
Um diese Zeit aber hätte Raphael es gar nicht mehr nötig gehabt,
auf Schleichwegen in die Sistina einzudringen. Die Decke war am
Allerseelentage 1512 enthüllt worden und publiei juris geworden.
Wenn nun, was bisher allgemein angenommen wurde (zuletzt
noch von Springer), der Putto des Papstwappens eine Kopie nach
dem Putto von S. Agostino wäre, so bliebe für seine Ausführung
-- wie wir gesehen haben, muß das Wappen allerspätestens im
Februar 1513 fertig gewesen sein -- überhaupt keine Zeit mehr.
Das Ergebnis der chronologischen Untersuchung deckt sich also
mit dem der stilistischen: das Wappen ist früher gemalt als der
Jesaias.

Das Jesaiasbild ist die Stiftung eines weniger durch vornehme
Stellung als durch seine Beziehungen zum Humanistenkreise wohl-
bekannten Kurialen, Johann Goritz aus Luxemburg. Doch war
es ursprünglich kein selbstständiges Werk, wie wir es heute sehen,
vielmehr nur Hintergrund und Ergänzung zu der damals unter dem
Pfeiler aufgestellten (jetzt in eine Kapelle versetzten) herrlichen
Marmorgruppe Sansovinos, der hl. Anna mit Maria und dem
Christuskinde. Der Prophet ist in diesem Ensemble eigentlich
nur dazu da, um die Schriftrolle mit der Weissagung, die Knaben,
um die Tafel mit der Weihe-Inschrift an die hl. Anna, Goritzens
Schutzpatronin, dem Beschauer zu präsentieren. Man hebt mit
Recht hervor, daß der Jesaias das einzige Freskobild sei, welches
Raphael unter dem Pontifikate Julius' II., der seine ganze Arbeits-
kraft für sich allein forderte, für einen Privatmann ausgeführt habe.

Die Rivalität zwischen Raphael und Michelangelo
— Für die Entstehung des Wappens haben wir den sicheren ter-
minus ad quem
in dem Todesdatum des Papstes, 20. Februar 1513;
für die Entstehung des Jesaias hinwieder den terminus a quo in
der Aufstellung der Gruppe Sansovinos im Jahre 1512. Das Fresko
ist inhaltlich — wovon unten noch mehr — eine theologische Er-
läuterung zur Gruppe; es kann nicht vor 1512 ausgeführt sein,
wohl aber vielleicht später. Und nach der Version Vasaris muß
es sogar später ausgeführt sein. Denn danach hätte Raphael
seine erste Darstellung zerstört, um eine neue, in michelangelesker
Majestät, an ihre Stelle zu setzen, was erst nach 1512 oder aller-
frühestens ganz am Ende dieses Jahres geschehen sein könnte.
Um diese Zeit aber hätte Raphael es gar nicht mehr nötig gehabt,
auf Schleichwegen in die Sistina einzudringen. Die Decke war am
Allerseelentage 1512 enthüllt worden und publiei juris geworden.
Wenn nun, was bisher allgemein angenommen wurde (zuletzt
noch von Springer), der Putto des Papstwappens eine Kopie nach
dem Putto von S. Agostino wäre, so bliebe für seine Ausführung
— wie wir gesehen haben, muß das Wappen allerspätestens im
Februar 1513 fertig gewesen sein — überhaupt keine Zeit mehr.
Das Ergebnis der chronologischen Untersuchung deckt sich also
mit dem der stilistischen: das Wappen ist früher gemalt als der
Jesaias.

Das Jesaiasbild ist die Stiftung eines weniger durch vornehme
Stellung als durch seine Beziehungen zum Humanistenkreise wohl-
bekannten Kurialen, Johann Goritz aus Luxemburg. Doch war
es ursprünglich kein selbstständiges Werk, wie wir es heute sehen,
vielmehr nur Hintergrund und Ergänzung zu der damals unter dem
Pfeiler aufgestellten (jetzt in eine Kapelle versetzten) herrlichen
Marmorgruppe Sansovinos, der hl. Anna mit Maria und dem
Christuskinde. Der Prophet ist in diesem Ensemble eigentlich
nur dazu da, um die Schriftrolle mit der Weissagung, die Knaben,
um die Tafel mit der Weihe-Inschrift an die hl. Anna, Goritzens
Schutzpatronin, dem Beschauer zu präsentieren. Man hebt mit
Recht hervor, daß der Jesaias das einzige Freskobild sei, welches
Raphael unter dem Pontifikate Julius' II., der seine ganze Arbeits-
kraft für sich allein forderte, für einen Privatmann ausgeführt habe.

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[217/0269] Die Rivalität zwischen Raphael und Michelangelo — Für die Entstehung des Wappens haben wir den sicheren ter- minus ad quem in dem Todesdatum des Papstes, 20. Februar 1513; für die Entstehung des Jesaias hinwieder den terminus a quo in der Aufstellung der Gruppe Sansovinos im Jahre 1512. Das Fresko ist inhaltlich — wovon unten noch mehr — eine theologische Er- läuterung zur Gruppe; es kann nicht vor 1512 ausgeführt sein, wohl aber vielleicht später. Und nach der Version Vasaris muß es sogar später ausgeführt sein. Denn danach hätte Raphael seine erste Darstellung zerstört, um eine neue, in michelangelesker Majestät, an ihre Stelle zu setzen, was erst nach 1512 oder aller- frühestens ganz am Ende dieses Jahres geschehen sein könnte. Um diese Zeit aber hätte Raphael es gar nicht mehr nötig gehabt, auf Schleichwegen in die Sistina einzudringen. Die Decke war am Allerseelentage 1512 enthüllt worden und publiei juris geworden. Wenn nun, was bisher allgemein angenommen wurde (zuletzt noch von Springer), der Putto des Papstwappens eine Kopie nach dem Putto von S. Agostino wäre, so bliebe für seine Ausführung — wie wir gesehen haben, muß das Wappen allerspätestens im Februar 1513 fertig gewesen sein — überhaupt keine Zeit mehr. Das Ergebnis der chronologischen Untersuchung deckt sich also mit dem der stilistischen: das Wappen ist früher gemalt als der Jesaias. Das Jesaiasbild ist die Stiftung eines weniger durch vornehme Stellung als durch seine Beziehungen zum Humanistenkreise wohl- bekannten Kurialen, Johann Goritz aus Luxemburg. Doch war es ursprünglich kein selbstständiges Werk, wie wir es heute sehen, vielmehr nur Hintergrund und Ergänzung zu der damals unter dem Pfeiler aufgestellten (jetzt in eine Kapelle versetzten) herrlichen Marmorgruppe Sansovinos, der hl. Anna mit Maria und dem Christuskinde. Der Prophet ist in diesem Ensemble eigentlich nur dazu da, um die Schriftrolle mit der Weissagung, die Knaben, um die Tafel mit der Weihe-Inschrift an die hl. Anna, Goritzens Schutzpatronin, dem Beschauer zu präsentieren. Man hebt mit Recht hervor, daß der Jesaias das einzige Freskobild sei, welches Raphael unter dem Pontifikate Julius' II., der seine ganze Arbeits- kraft für sich allein forderte, für einen Privatmann ausgeführt habe.

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Zitationshilfe: Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/269>, abgerufen am 24.11.2024.