Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.Verhältniß zwischen Rechts- und Staatswissenschaften. der Aufstellung und zwangsweisen Aufrechterhaltung von Regelndes Rechts. Sonach ist das Recht eine Funktion der äußeren Or- Dennoch hat das Recht eine andere Seite, durch welche es Der Staat schafft nicht durch seinen nackten Willen diesen 1) S. 67 ff. -- 2) S. 68. 71. 3) Dieses Stadium des griechischen Denkens über Recht und Staat ist noch erhalten in dem Fragment des Heraklit: trephontai gar pantes oi anthropinoi nomoi upo enos tou theiou krateei gar tosouton okoson ethelei kai exarkeei pasi kai periginetai (Stob. flor. III, 84), so- wie in den verwandten Stellen des Aeschylos und Pindar. Die Stelle des letzteren: kata phusin nomos o panton basileus etc. (fr. XI, 48) ist für die Dilthey, Einleitung. 7
Verhältniß zwiſchen Rechts- und Staatswiſſenſchaften. der Aufſtellung und zwangsweiſen Aufrechterhaltung von Regelndes Rechts. Sonach iſt das Recht eine Funktion der äußeren Or- Dennoch hat das Recht eine andere Seite, durch welche es Der Staat ſchafft nicht durch ſeinen nackten Willen dieſen 1) S. 67 ff. — 2) S. 68. 71. 3) Dieſes Stadium des griechiſchen Denkens über Recht und Staat iſt noch erhalten in dem Fragment des Heraklit: τϱέφονται γὰϱ πάντες οἱ ἀνϑϱώπινοι νόμοι ὑπὸ ἑνὸς τοῦ ϑείου κϱατέει γὰϱ τοσοῦτον ὁκόσον ἐϑέλει καὶ ἐξαϱκέει πᾶσι καὶ πεϱιγίνεται (Stob. flor. III, 84), ſo- wie in den verwandten Stellen des Aeſchylos und Pindar. Die Stelle des letzteren: κατὰ φύσιν νόμος ὁ πάντων βασιλεύς etc. (fr. XI, 48) iſt für die Dilthey, Einleitung. 7
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Verhältniß zwiſchen Rechts- und Staatswiſſenſchaften.
der Aufſtellung und zwangsweiſen Aufrechterhaltung von Regeln
des Rechts.
Sonach iſt das Recht eine Funktion der äußeren Or-
ganiſation der Geſellſchaft. Es hat in den Geſammtwillen
innerhalb dieſer Organiſation ſeinen Sitz. Es mißt die Macht-
ſphären der Individuen im Zuſammenhang mit der Aufgabe ab,
welche ſie innerhalb dieſer äußeren Organiſation gemäß ihrer
Stellung in ihr haben. Es iſt die Bedingung alles folgerichtigen
Thuns der Einzelnen in den Syſtemen der Kultur 1).
Dennoch hat das Recht eine andere Seite, durch welche es
den Syſtemen der Kultur verwandt iſt 2). Es iſt ein Zweckzu-
ſammenhang. Einen ſolchen bringt jeder Wille hervor, ſonach auch
der Staatswille, in jeder ſeiner Aeußerungen, mag er Wege bauen,
Heere organiſiren oder Recht ſchaffen. Auch iſt dieſer Staatswille
auf die Mitwirkung der ihm Unterworfenen in jeder ſeiner
Aeußerungen ſo gut als im Recht angewieſen. Aber der Zweck-
zuſammenhang des Rechts hat beſondere Eigenſchaften, die aus dem
Verhältniß des Rechtsbewußtſeins zur Rechtsordnung fließen.
Der Staat ſchafft nicht durch ſeinen nackten Willen dieſen
Zuſammenhang, weder in abstracto, wie er in allen Rechtsord-
nungen gleichförmig wiederkehrt, noch den concreten Zuſammen-
hang in einer einzelnen Rechtsordnung. Das Recht wird in
dieſer Rückſicht nicht gemacht, ſondern gefunden. So paradox
es lautet: Dies iſt der tiefe Gedanke des Naturrechts.
Der älteſte Glaube, welchem gemäß die Rechtsordnung des ein-
zelnen Staats von Göttern ſtammte, ſetzte ſich in dem Fortgang
des griechiſchen Denkens in den Satz um, daß ein göttliches Welt-
geſetz der hervorbringende Grund aller Staats- und Rechtsord-
nung ſei 3). Dies war die älteſte Form der Annahme eines
1) S. 67 ff. —
2) S. 68. 71.
3) Dieſes Stadium des griechiſchen Denkens über Recht und Staat
iſt noch erhalten in dem Fragment des Heraklit: τϱέφονται γὰϱ πάντες
οἱ ἀνϑϱώπινοι νόμοι ὑπὸ ἑνὸς τοῦ ϑείου κϱατέει γὰϱ τοσοῦτον
ὁκόσον ἐϑέλει καὶ ἐξαϱκέει πᾶσι καὶ πεϱιγίνεται (Stob. flor. III, 84), ſo-
wie in den verwandten Stellen des Aeſchylos und Pindar. Die Stelle des
letzteren: κατὰ φύσιν νόμος ὁ πάντων βασιλεύς etc. (fr. XI, 48) iſt für die
Dilthey, Einleitung. 7
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