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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.

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Begründung der theologischen Metaphysik.
kritische Metaphysik des Willens. Bald streitend bald in
äußerer Ausgleichung gehen nun Augustinus, der Repräsentant
der Metaphysik des Willens, und Aristoteles, das Haupt der
Metaphysiker des Kosmos, durch das Mittelalter. Und zwar lebt
Augustinus nicht nur mit Plato und Aristoteles vereint in der
Scholastik fort, sondern sofern er das in unmittelbarem Wissen
Gegebene nicht den an der Außenwelt früher gefundenen Begriffen
unterordnen will, findet er seine Nachfolger in den Mystikern.
Schon die literarischen Formen, in welchen die Mystik sich aus-
sprach, zeigen diesen Zusammenhang mit Augustinus 1). Auch hat
die Mystik in Bezug auf erkenntnißtheoretische Begründung ihres
Gegensatzes zu der Metaphysik keinen Schritt über Augustinus
hinaus gethan, sie hat sich nur reiner in dem Element der
inneren Erfahrung abgeschlossen. Daher erhielt sie sich nicht kraft
ihrer wissenschaftlichen Grundlegung, sondern ihr inneres Leben
hat sie getragen. Die Independenz des persönlichen Glaubens-
lebens wurde so von ihr durch Blüthe und Untergang der mittel-
alterlichen Metaphysik hindurch gerettet, bis diese Independenz
in Kant und Schleiermacher eine wissenschaftliche Begründung
erhielt.




1) Bedeutender als die äußeren literarischen (confessiones, soliloquia)
ist die innere schriftstellerische Form; Augustinus wechselt zwischen Mono-
log, Gebet und Ansprache, und die hinreißende Gewalt seiner Schriften
beruht mit auf dieser lebendigen Beziehung bald zu sich selber, bald zu
der Gemüthserfahrung Anderer, bald zu Gott. Hand in Hand damit geht
sein Mangel an Kompositionstalent für größere Werke.
Dilthey, Einleitung. 22

Begründung der theologiſchen Metaphyſik.
kritiſche Metaphyſik des Willens. Bald ſtreitend bald in
äußerer Ausgleichung gehen nun Auguſtinus, der Repräſentant
der Metaphyſik des Willens, und Ariſtoteles, das Haupt der
Metaphyſiker des Kosmos, durch das Mittelalter. Und zwar lebt
Auguſtinus nicht nur mit Plato und Ariſtoteles vereint in der
Scholaſtik fort, ſondern ſofern er das in unmittelbarem Wiſſen
Gegebene nicht den an der Außenwelt früher gefundenen Begriffen
unterordnen will, findet er ſeine Nachfolger in den Myſtikern.
Schon die literariſchen Formen, in welchen die Myſtik ſich aus-
ſprach, zeigen dieſen Zuſammenhang mit Auguſtinus 1). Auch hat
die Myſtik in Bezug auf erkenntnißtheoretiſche Begründung ihres
Gegenſatzes zu der Metaphyſik keinen Schritt über Auguſtinus
hinaus gethan, ſie hat ſich nur reiner in dem Element der
inneren Erfahrung abgeſchloſſen. Daher erhielt ſie ſich nicht kraft
ihrer wiſſenſchaftlichen Grundlegung, ſondern ihr inneres Leben
hat ſie getragen. Die Independenz des perſönlichen Glaubens-
lebens wurde ſo von ihr durch Blüthe und Untergang der mittel-
alterlichen Metaphyſik hindurch gerettet, bis dieſe Independenz
in Kant und Schleiermacher eine wiſſenſchaftliche Begründung
erhielt.




1) Bedeutender als die äußeren literariſchen (confessiones, soliloquia)
iſt die innere ſchriftſtelleriſche Form; Auguſtinus wechſelt zwiſchen Mono-
log, Gebet und Anſprache, und die hinreißende Gewalt ſeiner Schriften
beruht mit auf dieſer lebendigen Beziehung bald zu ſich ſelber, bald zu
der Gemüthserfahrung Anderer, bald zu Gott. Hand in Hand damit geht
ſein Mangel an Kompoſitionstalent für größere Werke.
Dilthey, Einleitung. 22
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[337/0360] Begründung der theologiſchen Metaphyſik. kritiſche Metaphyſik des Willens. Bald ſtreitend bald in äußerer Ausgleichung gehen nun Auguſtinus, der Repräſentant der Metaphyſik des Willens, und Ariſtoteles, das Haupt der Metaphyſiker des Kosmos, durch das Mittelalter. Und zwar lebt Auguſtinus nicht nur mit Plato und Ariſtoteles vereint in der Scholaſtik fort, ſondern ſofern er das in unmittelbarem Wiſſen Gegebene nicht den an der Außenwelt früher gefundenen Begriffen unterordnen will, findet er ſeine Nachfolger in den Myſtikern. Schon die literariſchen Formen, in welchen die Myſtik ſich aus- ſprach, zeigen dieſen Zuſammenhang mit Auguſtinus 1). Auch hat die Myſtik in Bezug auf erkenntnißtheoretiſche Begründung ihres Gegenſatzes zu der Metaphyſik keinen Schritt über Auguſtinus hinaus gethan, ſie hat ſich nur reiner in dem Element der inneren Erfahrung abgeſchloſſen. Daher erhielt ſie ſich nicht kraft ihrer wiſſenſchaftlichen Grundlegung, ſondern ihr inneres Leben hat ſie getragen. Die Independenz des perſönlichen Glaubens- lebens wurde ſo von ihr durch Blüthe und Untergang der mittel- alterlichen Metaphyſik hindurch gerettet, bis dieſe Independenz in Kant und Schleiermacher eine wiſſenſchaftliche Begründung erhielt. 1) Bedeutender als die äußeren literariſchen (confessiones, soliloquia) iſt die innere ſchriftſtelleriſche Form; Auguſtinus wechſelt zwiſchen Mono- log, Gebet und Anſprache, und die hinreißende Gewalt ſeiner Schriften beruht mit auf dieſer lebendigen Beziehung bald zu ſich ſelber, bald zu der Gemüthserfahrung Anderer, bald zu Gott. Hand in Hand damit geht ſein Mangel an Kompoſitionstalent für größere Werke. Dilthey, Einleitung. 22

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Zitationshilfe: Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/360>, abgerufen am 22.11.2024.