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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.

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Parteiung über den metaphysischen Werth der Begriffe.
der Kirche ausmachte. Das Sündigen in Adam, das Erlöstwer-
den in Christus, die Verbindung des Einzelnen mit der Kirche
waren ohne diesen Zusammenhang von Theilen in einem Ganzen
nicht denkbar. Ebenso schien die Dreieinigkeitslehre eine reale Be-
ziehung des Einzelnen zu dem übergeordneten Begriff vorauszu-
setzen. So gelangte die mittlere Ansicht, wie sie zunächst Abälard
mit Glück vertreten hatte, zum Siege: sie entsprach der Aufgabe
der mittelalterlichen Metaphysik am besten; bis dann der Nomina-
lismus in der Theorie der inneren Erfahrung und des in ihr
gegebenen Willens ein tieferes Recht gewann.

Wurde so in diesem Ringen des Verstandes mit dem Glaubens-
inhalt während der bezeichneten vier Jahrhunderte zunächst eine
dialektische Grundlegung angestrebt, so war das doch nur Vor-
bereitung
für die Theologie. Und zwar lag die nächste Auf-
gabe in der Fortentwicklung der Beweisführung für die Existenz
einer transscendenten Welt; indeß bilden in der Geschichte
der Begründung der transscendenten Welt auf Vernunftbeweis die
Leistungen dieser Jahrhunderte einen Bestandtheil, den isolirt zu
betrachten kein Interesse für uns besteht. Ferner suchte sich der
Verstand in der transscendenten Welt zu orientiren und den Zu-
sammenhang
des Glaubensinhaltes gedankenmäßig zu
entwickeln. Hierbei entschied sich in diesem Zeitraum ein Schick-
sal des mit dieser Aufgabe beschäftigten Verstandes, welches tiefer
in die Lebensbedingungen des metaphysischen Denkens blicken
läßt. An den wichtigsten Punkten ergaben sich anstatt der Dar-
stellung in einer dem Verstande genügenden Formel Widersprüche
auf Widersprüche, und dies Verhältniß trat nicht nur innerhalb
der specifischen Dogmen der einzelnen monotheistischen Religionen
hervor, auch in den Sätzen, welche diesen gemeinsam sind und
sonach zur Metaphysik in einem näheren Verhältniß stehen, ward
es sichtbar.

Ein Widerspruch stellt sich in zwei Sätzen dar, deren einer
den anderen ausschließt; er besteht also in einem Verhältniß der
Prädikate desselben Subjektes, vermöge dessen sie sich in ihrer Be-
ziehung auf dasselbe gegenseitig ausschließen oder aufheben. Ein

Parteiung über den metaphyſiſchen Werth der Begriffe.
der Kirche ausmachte. Das Sündigen in Adam, das Erlöſtwer-
den in Chriſtus, die Verbindung des Einzelnen mit der Kirche
waren ohne dieſen Zuſammenhang von Theilen in einem Ganzen
nicht denkbar. Ebenſo ſchien die Dreieinigkeitslehre eine reale Be-
ziehung des Einzelnen zu dem übergeordneten Begriff vorauszu-
ſetzen. So gelangte die mittlere Anſicht, wie ſie zunächſt Abälard
mit Glück vertreten hatte, zum Siege: ſie entſprach der Aufgabe
der mittelalterlichen Metaphyſik am beſten; bis dann der Nomina-
lismus in der Theorie der inneren Erfahrung und des in ihr
gegebenen Willens ein tieferes Recht gewann.

Wurde ſo in dieſem Ringen des Verſtandes mit dem Glaubens-
inhalt während der bezeichneten vier Jahrhunderte zunächſt eine
dialektiſche Grundlegung angeſtrebt, ſo war das doch nur Vor-
bereitung
für die Theologie. Und zwar lag die nächſte Auf-
gabe in der Fortentwicklung der Beweisführung für die Exiſtenz
einer transſcendenten Welt; indeß bilden in der Geſchichte
der Begründung der transſcendenten Welt auf Vernunftbeweis die
Leiſtungen dieſer Jahrhunderte einen Beſtandtheil, den iſolirt zu
betrachten kein Intereſſe für uns beſteht. Ferner ſuchte ſich der
Verſtand in der transſcendenten Welt zu orientiren und den Zu-
ſammenhang
des Glaubensinhaltes gedankenmäßig zu
entwickeln. Hierbei entſchied ſich in dieſem Zeitraum ein Schick-
ſal des mit dieſer Aufgabe beſchäftigten Verſtandes, welches tiefer
in die Lebensbedingungen des metaphyſiſchen Denkens blicken
läßt. An den wichtigſten Punkten ergaben ſich anſtatt der Dar-
ſtellung in einer dem Verſtande genügenden Formel Widerſprüche
auf Widerſprüche, und dies Verhältniß trat nicht nur innerhalb
der ſpecifiſchen Dogmen der einzelnen monotheiſtiſchen Religionen
hervor, auch in den Sätzen, welche dieſen gemeinſam ſind und
ſonach zur Metaphyſik in einem näheren Verhältniß ſtehen, ward
es ſichtbar.

Ein Widerſpruch ſtellt ſich in zwei Sätzen dar, deren einer
den anderen ausſchließt; er beſteht alſo in einem Verhältniß der
Prädikate deſſelben Subjektes, vermöge deſſen ſie ſich in ihrer Be-
ziehung auf daſſelbe gegenſeitig ausſchließen oder aufheben. Ein

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[351/0374] Parteiung über den metaphyſiſchen Werth der Begriffe. der Kirche ausmachte. Das Sündigen in Adam, das Erlöſtwer- den in Chriſtus, die Verbindung des Einzelnen mit der Kirche waren ohne dieſen Zuſammenhang von Theilen in einem Ganzen nicht denkbar. Ebenſo ſchien die Dreieinigkeitslehre eine reale Be- ziehung des Einzelnen zu dem übergeordneten Begriff vorauszu- ſetzen. So gelangte die mittlere Anſicht, wie ſie zunächſt Abälard mit Glück vertreten hatte, zum Siege: ſie entſprach der Aufgabe der mittelalterlichen Metaphyſik am beſten; bis dann der Nomina- lismus in der Theorie der inneren Erfahrung und des in ihr gegebenen Willens ein tieferes Recht gewann. Wurde ſo in dieſem Ringen des Verſtandes mit dem Glaubens- inhalt während der bezeichneten vier Jahrhunderte zunächſt eine dialektiſche Grundlegung angeſtrebt, ſo war das doch nur Vor- bereitung für die Theologie. Und zwar lag die nächſte Auf- gabe in der Fortentwicklung der Beweisführung für die Exiſtenz einer transſcendenten Welt; indeß bilden in der Geſchichte der Begründung der transſcendenten Welt auf Vernunftbeweis die Leiſtungen dieſer Jahrhunderte einen Beſtandtheil, den iſolirt zu betrachten kein Intereſſe für uns beſteht. Ferner ſuchte ſich der Verſtand in der transſcendenten Welt zu orientiren und den Zu- ſammenhang des Glaubensinhaltes gedankenmäßig zu entwickeln. Hierbei entſchied ſich in dieſem Zeitraum ein Schick- ſal des mit dieſer Aufgabe beſchäftigten Verſtandes, welches tiefer in die Lebensbedingungen des metaphyſiſchen Denkens blicken läßt. An den wichtigſten Punkten ergaben ſich anſtatt der Dar- ſtellung in einer dem Verſtande genügenden Formel Widerſprüche auf Widerſprüche, und dies Verhältniß trat nicht nur innerhalb der ſpecifiſchen Dogmen der einzelnen monotheiſtiſchen Religionen hervor, auch in den Sätzen, welche dieſen gemeinſam ſind und ſonach zur Metaphyſik in einem näheren Verhältniß ſtehen, ward es ſichtbar. Ein Widerſpruch ſtellt ſich in zwei Sätzen dar, deren einer den anderen ausſchließt; er beſteht alſo in einem Verhältniß der Prädikate deſſelben Subjektes, vermöge deſſen ſie ſich in ihrer Be- ziehung auf daſſelbe gegenſeitig ausſchließen oder aufheben. Ein

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Zitationshilfe: Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/374>, abgerufen am 22.11.2024.