Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.Zweites Buch. Dritter Abschnitt. Wie so Vieles im Mittelalter symbolisch ist, war damals dieserZusammenhang der sittlichen Ordnung in Gott an der Hierarchie sichtbar, in welcher Gnade und Gewalt von Gott abwärts floßen; jedes Meßopfer ließ die Gegenwart Gottes im Diesseits gewahren. Was so dem Frommen auf subjektive und persönliche Weise aus seiner Beweisführung, weil sie keine allgemeingültige Fassung gestattet, summa theol. p. I quaest. 2 art. 1. Der Fortgang vom Streben nach dem höchsten Gut zu der Befriedigung in Gott wird in der Regel im Mittel- alter nach Augustinus (vgl. S. 333) dargestellt; an ihn schließen sich die Mystiker, unter denen schon Hugo von St. Viktor den Beweis aus der Welt von der Begründung aus dem religiösen Erlebniß unterscheidet. 1) Die Voraussetzung des ontologischen Beweises, welcher aus dem
esse in intellectu für das Wesen, quo majus cogitari non potest, das esse Zweites Buch. Dritter Abſchnitt. Wie ſo Vieles im Mittelalter ſymboliſch iſt, war damals dieſerZuſammenhang der ſittlichen Ordnung in Gott an der Hierarchie ſichtbar, in welcher Gnade und Gewalt von Gott abwärts floßen; jedes Meßopfer ließ die Gegenwart Gottes im Dieſſeits gewahren. Was ſo dem Frommen auf ſubjektive und perſönliche Weiſe aus ſeiner Beweisführung, weil ſie keine allgemeingültige Faſſung geſtattet, summa theol. p. I quaest. 2 art. 1. Der Fortgang vom Streben nach dem höchſten Gut zu der Befriedigung in Gott wird in der Regel im Mittel- alter nach Auguſtinus (vgl. S. 333) dargeſtellt; an ihn ſchließen ſich die Myſtiker, unter denen ſchon Hugo von St. Viktor den Beweis aus der Welt von der Begründung aus dem religiöſen Erlebniß unterſcheidet. 1) Die Vorausſetzung des ontologiſchen Beweiſes, welcher aus dem
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Zweites Buch. Dritter Abſchnitt.
Wie ſo Vieles im Mittelalter ſymboliſch iſt, war damals dieſer
Zuſammenhang der ſittlichen Ordnung in Gott an der Hierarchie
ſichtbar, in welcher Gnade und Gewalt von Gott abwärts floßen;
jedes Meßopfer ließ die Gegenwart Gottes im Dieſſeits gewahren.
Was ſo dem Frommen auf ſubjektive und perſönliche Weiſe
gewiß war und Kirchenväter wie mittelalterliche Schriftſteller in
unzähligen Formen frei und perſönlich ausgeſprochen haben,
das wollte die chriſtliche Metaphyſik auf einen für Alle
zwingenden Schluß bringen. Und zwar hat dieſe pſycholo-
giſche Begründung die am meiſten abſtrakte begriffliche Faſſung
in dem ontologiſchen Beweis erhalten. Anſelm ſetzte ſich die tief-
gedachte Aufgabe, eine Begründung Gottes zu finden, welche die
Exiſtenz und Beſchaffenheit der Welt nicht zur Vorausſetzung habe.
Er leitete aus dem Begriff Gottes durch logiſche Analyſis die
Einſicht in ſein Daſein ab. Die Unhaltbarkeit des ſo entſtehenden
ontologiſchen Beweiſes iſt von Gaunilo bis Thomas von Aquino
und von dieſem bis Kant überzeugend gezeigt worden; nicht in
dem abſtrakten Begriff Gottes, ſondern in dem lebendigen
Zuſammenhang des Gottesgedankens mit der Totalität des
pſychiſchen Lebens iſt eine von der Wiſſenſchaft des Kosmos un-
abhängige Gewißheit Gottes begründet. Dieſer lebendige und
natürliche Zuſammenhang iſt in dem früheren Beweis Anſelms
angemeſſener ausgedrückt; hier wird als Grundlage unſeres Be-
wußtſeins von verſchiedenen Graden des Guten und Vollkommenen
das eines höchſten Gutes, einer unbedingten Vollkommenheit auf-
gezeigt. So wird auf Gott als das höchſte Gut geſchloſſen, im
Unterſchied von dem Schluß auf ihn als intelligente Urſache 1).
1)
1) Die Vorausſetzung des ontologiſchen Beweiſes, welcher aus dem
esse in intellectu für das Weſen, quo majus cogitari non potest, das esse
1) aus ſeiner Beweisführung, weil ſie keine allgemeingültige Faſſung geſtattet,
summa theol. p. I quaest. 2 art. 1. Der Fortgang vom Streben nach dem
höchſten Gut zu der Befriedigung in Gott wird in der Regel im Mittel-
alter nach Auguſtinus (vgl. S. 333) dargeſtellt; an ihn ſchließen ſich die
Myſtiker, unter denen ſchon Hugo von St. Viktor den Beweis aus
der Welt von der Begründung aus dem religiöſen Erlebniß
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