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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.

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Augustinus fügt eine erkenntnißtheoretische Unterlage hinzu.

Diese Begründung der Lehre von seelischen Substanzen ist
von Augustinus durch seinen erkenntnißtheoretischen
Gesichtspunkt
vertieft und befestigt worden. Er erklärt: "ich
wage zu behaupten, daß ich in Bezug auf die Immaterialität der
Seele nicht nur glaube, sondern ein strenges Wissen habe"1). Sein
Wissen sahen wir2) darin gegründet, daß die ganze Erkenntniß der
Außenwelt dem Skepticismus, der auf diese Erkenntniß sich bezieht,
erliegen muß, dagegen die Selbstgewißheit in der inneren Erfahrung
aufgeht. Innere Erfahrung wird von ihm als ein Wissen erkannt,
in dem uns bereits das ganze Seelenleben gegeben ist, wann die
Absicht auftritt, dessen Wesen zu erkennen. Der spezifische Unter-
schied dieser inneren Erfahrung von aller Erkenntniß des äußeren
Naturlaufs wird ausgesprochen und die Inferiorität dieser letzteren
für den Erkenntnißzusammenhang wird durchschaut. -- Und zwar
zeigt der Inhalt der inneren Erfahrung auch dem Augustinus die
Unvergleichlichkeit des geistigen Lebens mit dem Naturlauf und
sonach die Unmöglichkeit einer Zurückführung der geistigen auf
materielle Vorgänge. Das geistige Leben kann nicht als Qualität
an dem Subjekt Körper aufgefaßt werden, denn man kann nicht
die Leistungen des geistigen Lebens auf die eines materiellen
Ganzen zurückführen. Insbesondere unterscheidet den Geist, daß
er in jedem Punkte des Körpers ganz gegenwärtig ist und die
Empfindungen der Sinne zum Gegenstande des Bewußtseins, der
Vergleichung und des Urtheils zu machen vermag3).

Die von den Neuplatonikern und dem an sie sich anschließen-
den Augustinus begründete Metaphysik der Seelensubstanzen ist

Argument aus dem sinnlichen Gefühl p. 462. Denkt man sich die einzelne
Stelle, an welche ich den Schmerz verlege, ihn empfindend und eine Mitthei-
lung dieses Zustandes stattfindend, dann würden wir den Schmerz aller in
Mitleidenschaft gezogenen Stellen, also ein Vielfaches, fühlen. Geringer die
Beweisführung aus dem Denken, der Tugend etc. -- Ueber den nur nega-
tiven Werth des Schlusses
vgl. S. 11 ff. 487 f.
1) Augustinus de Gen. ad litt. XII c. 33.
2) S. 331 f.
3) Belegstellen aus Augustinus habe ich S. 332 angegeben, die Haupt-
darlegung war im ersten Buche de libero arbitrio.
Auguſtinus fügt eine erkenntnißtheoretiſche Unterlage hinzu.

Dieſe Begründung der Lehre von ſeeliſchen Subſtanzen iſt
von Auguſtinus durch ſeinen erkenntnißtheoretiſchen
Geſichtspunkt
vertieft und befeſtigt worden. Er erklärt: „ich
wage zu behaupten, daß ich in Bezug auf die Immaterialität der
Seele nicht nur glaube, ſondern ein ſtrenges Wiſſen habe“1). Sein
Wiſſen ſahen wir2) darin gegründet, daß die ganze Erkenntniß der
Außenwelt dem Skepticismus, der auf dieſe Erkenntniß ſich bezieht,
erliegen muß, dagegen die Selbſtgewißheit in der inneren Erfahrung
aufgeht. Innere Erfahrung wird von ihm als ein Wiſſen erkannt,
in dem uns bereits das ganze Seelenleben gegeben iſt, wann die
Abſicht auftritt, deſſen Weſen zu erkennen. Der ſpezifiſche Unter-
ſchied dieſer inneren Erfahrung von aller Erkenntniß des äußeren
Naturlaufs wird ausgeſprochen und die Inferiorität dieſer letzteren
für den Erkenntnißzuſammenhang wird durchſchaut. — Und zwar
zeigt der Inhalt der inneren Erfahrung auch dem Auguſtinus die
Unvergleichlichkeit des geiſtigen Lebens mit dem Naturlauf und
ſonach die Unmöglichkeit einer Zurückführung der geiſtigen auf
materielle Vorgänge. Das geiſtige Leben kann nicht als Qualität
an dem Subjekt Körper aufgefaßt werden, denn man kann nicht
die Leiſtungen des geiſtigen Lebens auf die eines materiellen
Ganzen zurückführen. Insbeſondere unterſcheidet den Geiſt, daß
er in jedem Punkte des Körpers ganz gegenwärtig iſt und die
Empfindungen der Sinne zum Gegenſtande des Bewußtſeins, der
Vergleichung und des Urtheils zu machen vermag3).

Die von den Neuplatonikern und dem an ſie ſich anſchließen-
den Auguſtinus begründete Metaphyſik der Seelenſubſtanzen iſt

Argument aus dem ſinnlichen Gefühl p. 462. Denkt man ſich die einzelne
Stelle, an welche ich den Schmerz verlege, ihn empfindend und eine Mitthei-
lung dieſes Zuſtandes ſtattfindend, dann würden wir den Schmerz aller in
Mitleidenſchaft gezogenen Stellen, alſo ein Vielfaches, fühlen. Geringer die
Beweisführung aus dem Denken, der Tugend etc. — Ueber den nur nega-
tiven Werth des Schluſſes
vgl. S. 11 ff. 487 f.
1) Auguſtinus de Gen. ad litt. XII c. 33.
2) S. 331 f.
3) Belegſtellen aus Auguſtinus habe ich S. 332 angegeben, die Haupt-
darlegung war im erſten Buche de libero arbitrio.
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[399/0422] Auguſtinus fügt eine erkenntnißtheoretiſche Unterlage hinzu. Dieſe Begründung der Lehre von ſeeliſchen Subſtanzen iſt von Auguſtinus durch ſeinen erkenntnißtheoretiſchen Geſichtspunkt vertieft und befeſtigt worden. Er erklärt: „ich wage zu behaupten, daß ich in Bezug auf die Immaterialität der Seele nicht nur glaube, ſondern ein ſtrenges Wiſſen habe“ 1). Sein Wiſſen ſahen wir 2) darin gegründet, daß die ganze Erkenntniß der Außenwelt dem Skepticismus, der auf dieſe Erkenntniß ſich bezieht, erliegen muß, dagegen die Selbſtgewißheit in der inneren Erfahrung aufgeht. Innere Erfahrung wird von ihm als ein Wiſſen erkannt, in dem uns bereits das ganze Seelenleben gegeben iſt, wann die Abſicht auftritt, deſſen Weſen zu erkennen. Der ſpezifiſche Unter- ſchied dieſer inneren Erfahrung von aller Erkenntniß des äußeren Naturlaufs wird ausgeſprochen und die Inferiorität dieſer letzteren für den Erkenntnißzuſammenhang wird durchſchaut. — Und zwar zeigt der Inhalt der inneren Erfahrung auch dem Auguſtinus die Unvergleichlichkeit des geiſtigen Lebens mit dem Naturlauf und ſonach die Unmöglichkeit einer Zurückführung der geiſtigen auf materielle Vorgänge. Das geiſtige Leben kann nicht als Qualität an dem Subjekt Körper aufgefaßt werden, denn man kann nicht die Leiſtungen des geiſtigen Lebens auf die eines materiellen Ganzen zurückführen. Insbeſondere unterſcheidet den Geiſt, daß er in jedem Punkte des Körpers ganz gegenwärtig iſt und die Empfindungen der Sinne zum Gegenſtande des Bewußtſeins, der Vergleichung und des Urtheils zu machen vermag 3). Die von den Neuplatonikern und dem an ſie ſich anſchließen- den Auguſtinus begründete Metaphyſik der Seelenſubſtanzen iſt 2) 1) Auguſtinus de Gen. ad litt. XII c. 33. 2) S. 331 f. 3) Belegſtellen aus Auguſtinus habe ich S. 332 angegeben, die Haupt- darlegung war im erſten Buche de libero arbitrio. 2) Argument aus dem ſinnlichen Gefühl p. 462. Denkt man ſich die einzelne Stelle, an welche ich den Schmerz verlege, ihn empfindend und eine Mitthei- lung dieſes Zuſtandes ſtattfindend, dann würden wir den Schmerz aller in Mitleidenſchaft gezogenen Stellen, alſo ein Vielfaches, fühlen. Geringer die Beweisführung aus dem Denken, der Tugend etc. — Ueber den nur nega- tiven Werth des Schluſſes vgl. S. 11 ff. 487 f.

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Zitationshilfe: Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 399. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/422>, abgerufen am 22.11.2024.