Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.Der einheitliche Zusammenhang der Geschichte. eine Deutung der inneren Geschichte der religiösen und philoso-phischen Ideen hervor, welche in dem geschichtlichen christlichen Bewußtsein schon angelegt war 1). Die letzte Frage zwang, das römische Imperium in den Kreis dieser metaphysischen Betrach- tung der Geschichte zu ziehen, und zu ihrer Beantwortung traten die ersten Entwürfe einer umfassenden Philosophie der Geschichte, die Schrift des Augustinus über den Gottesstaat und die Historien seines Schülers Orosius, hervor. Ueber diesen Räthseln sann der christliche Geist, geschichtlich minum plagisque grandinum saeva vel etiam parricidiis flagitiisque misera, per transacta retro saecula repperissem, ordinato breviter voluminis textu explicarem. Das war ein unheilvolles Vorbild für die Geschicht- schreibung des Mittelalters. 1) S. 319 ff.
Der einheitliche Zuſammenhang der Geſchichte. eine Deutung der inneren Geſchichte der religiöſen und philoſo-phiſchen Ideen hervor, welche in dem geſchichtlichen chriſtlichen Bewußtſein ſchon angelegt war 1). Die letzte Frage zwang, das römiſche Imperium in den Kreis dieſer metaphyſiſchen Betrach- tung der Geſchichte zu ziehen, und zu ihrer Beantwortung traten die erſten Entwürfe einer umfaſſenden Philoſophie der Geſchichte, die Schrift des Auguſtinus über den Gottesſtaat und die Hiſtorien ſeines Schülers Oroſius, hervor. Ueber dieſen Räthſeln ſann der chriſtliche Geiſt, geſchichtlich minum plagisque grandinum saeva vel etiam parricidiis flagitiisque misera, per transacta retro saecula repperissem, ordinato breviter voluminis textu explicarem. Das war ein unheilvolles Vorbild für die Geſchicht- ſchreibung des Mittelalters. 1) S. 319 ff.
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Der einheitliche Zuſammenhang der Geſchichte.
eine Deutung der inneren Geſchichte der religiöſen und philoſo-
phiſchen Ideen hervor, welche in dem geſchichtlichen chriſtlichen
Bewußtſein ſchon angelegt war 1). Die letzte Frage zwang, das
römiſche Imperium in den Kreis dieſer metaphyſiſchen Betrach-
tung der Geſchichte zu ziehen, und zu ihrer Beantwortung traten
die erſten Entwürfe einer umfaſſenden Philoſophie der Geſchichte,
die Schrift des Auguſtinus über den Gottesſtaat und die Hiſtorien
ſeines Schülers Oroſius, hervor.
Ueber dieſen Räthſeln ſann der chriſtliche Geiſt, geſchichtlich
in ſeinem Weſen, zurückblickend auf nunmehr abgeſchloſſene Ge-
ſtalten des geiſtigen Lebens, die innerlich vergangen waren, und
zu univerſalhiſtoriſcher Betrachtung aufgeregt, da die Nacht der
Barbarenherrſchaft über das Imperium Romanum hereinzubrechen
ſchien. So entſtand die Löſung dieſer Räthſel durch den Ge-
danken einer inneren Entwicklung des Menſchenge-
ſchlechtes als einer Einheit in einer Stufenfolge, in
welcher jede frühere Stufe die nothwendige Bedingung der ſpä-
teren iſt. Die Stufen ſind nicht im Kauſalzuſammenhang als
Wirkungen bedingt, ſondern in dem Plane Gottes als Beſtand-
theile angelegt. Und der Gedanke des Fortgangs durch ſie ver-
bleibt in den Grenzen eines Schema, nach welchem der Fortſchritt
durch eine Anpaſſung der göttlichen Erziehung an die Zuſtände des
Menſchengeſchlechts bewirkt wird. — Tertullian betrachtet das
Menſchengeſchlecht in Rückſicht ſeiner religiöſen Erziehung als einen
einzelnen Menſchen, welcher in verſchiedenen Lebensaltern lernend und
voranſchreitend die nothwendigen Stufen ſeiner Entwicklung durch-
läuft. Der religiöſe Fortgang im Menſchengeſchlecht zeigt nach ihm
ein organiſches Wachsthum. Das Bild des Organismus, welches
als Leitfaden für das Verſtändniß des Verhältniſſes der Theile
zum Ganzen in der Geſellſchaft verwandt worden war, wird von
4)
1) S. 319 ff.
4) minum plagisque grandinum saeva vel etiam parricidiis flagitiisque misera,
per transacta retro saecula repperissem, ordinato breviter voluminis
textu explicarem. Das war ein unheilvolles Vorbild für die Geſchicht-
ſchreibung des Mittelalters.
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