eine Deutung der inneren Geschichte der religiösen und philoso- phischen Ideen hervor, welche in dem geschichtlichen christlichen Bewußtsein schon angelegt war 1). Die letzte Frage zwang, das römische Imperium in den Kreis dieser metaphysischen Betrach- tung der Geschichte zu ziehen, und zu ihrer Beantwortung traten die ersten Entwürfe einer umfassenden Philosophie der Geschichte, die Schrift des Augustinus über den Gottesstaat und die Historien seines Schülers Orosius, hervor.
Ueber diesen Räthseln sann der christliche Geist, geschichtlich in seinem Wesen, zurückblickend auf nunmehr abgeschlossene Ge- stalten des geistigen Lebens, die innerlich vergangen waren, und zu universalhistorischer Betrachtung aufgeregt, da die Nacht der Barbarenherrschaft über das Imperium Romanum hereinzubrechen schien. So entstand die Lösung dieser Räthsel durch den Ge- danken einer inneren Entwicklung des Menschenge- schlechtes als einer Einheit in einer Stufenfolge, in welcher jede frühere Stufe die nothwendige Bedingung der spä- teren ist. Die Stufen sind nicht im Kausalzusammenhang als Wirkungen bedingt, sondern in dem Plane Gottes als Bestand- theile angelegt. Und der Gedanke des Fortgangs durch sie ver- bleibt in den Grenzen eines Schema, nach welchem der Fortschritt durch eine Anpassung der göttlichen Erziehung an die Zustände des Menschengeschlechts bewirkt wird. -- Tertullian betrachtet das Menschengeschlecht in Rücksicht seiner religiösen Erziehung als einen einzelnen Menschen, welcher in verschiedenen Lebensaltern lernend und voranschreitend die nothwendigen Stufen seiner Entwicklung durch- läuft. Der religiöse Fortgang im Menschengeschlecht zeigt nach ihm ein organisches Wachsthum. Das Bild des Organismus, welches als Leitfaden für das Verständniß des Verhältnisses der Theile zum Ganzen in der Gesellschaft verwandt worden war, wird von
minum plagisque grandinum saeva vel etiam parricidiis flagitiisque misera, per transacta retro saecula repperissem, ordinato breviter voluminis textu explicarem. Das war ein unheilvolles Vorbild für die Geschicht- schreibung des Mittelalters.
1) S. 319 ff.
Der einheitliche Zuſammenhang der Geſchichte.
eine Deutung der inneren Geſchichte der religiöſen und philoſo- phiſchen Ideen hervor, welche in dem geſchichtlichen chriſtlichen Bewußtſein ſchon angelegt war 1). Die letzte Frage zwang, das römiſche Imperium in den Kreis dieſer metaphyſiſchen Betrach- tung der Geſchichte zu ziehen, und zu ihrer Beantwortung traten die erſten Entwürfe einer umfaſſenden Philoſophie der Geſchichte, die Schrift des Auguſtinus über den Gottesſtaat und die Hiſtorien ſeines Schülers Oroſius, hervor.
Ueber dieſen Räthſeln ſann der chriſtliche Geiſt, geſchichtlich in ſeinem Weſen, zurückblickend auf nunmehr abgeſchloſſene Ge- ſtalten des geiſtigen Lebens, die innerlich vergangen waren, und zu univerſalhiſtoriſcher Betrachtung aufgeregt, da die Nacht der Barbarenherrſchaft über das Imperium Romanum hereinzubrechen ſchien. So entſtand die Löſung dieſer Räthſel durch den Ge- danken einer inneren Entwicklung des Menſchenge- ſchlechtes als einer Einheit in einer Stufenfolge, in welcher jede frühere Stufe die nothwendige Bedingung der ſpä- teren iſt. Die Stufen ſind nicht im Kauſalzuſammenhang als Wirkungen bedingt, ſondern in dem Plane Gottes als Beſtand- theile angelegt. Und der Gedanke des Fortgangs durch ſie ver- bleibt in den Grenzen eines Schema, nach welchem der Fortſchritt durch eine Anpaſſung der göttlichen Erziehung an die Zuſtände des Menſchengeſchlechts bewirkt wird. — Tertullian betrachtet das Menſchengeſchlecht in Rückſicht ſeiner religiöſen Erziehung als einen einzelnen Menſchen, welcher in verſchiedenen Lebensaltern lernend und voranſchreitend die nothwendigen Stufen ſeiner Entwicklung durch- läuft. Der religiöſe Fortgang im Menſchengeſchlecht zeigt nach ihm ein organiſches Wachsthum. Das Bild des Organismus, welches als Leitfaden für das Verſtändniß des Verhältniſſes der Theile zum Ganzen in der Geſellſchaft verwandt worden war, wird von
minum plagisque grandinum saeva vel etiam parricidiis flagitiisque misera, per transacta retro saecula repperissem, ordinato breviter voluminis textu explicarem. Das war ein unheilvolles Vorbild für die Geſchicht- ſchreibung des Mittelalters.
1) S. 319 ff.
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Der einheitliche Zuſammenhang der Geſchichte.
eine Deutung der inneren Geſchichte der religiöſen und philoſo-
phiſchen Ideen hervor, welche in dem geſchichtlichen chriſtlichen
Bewußtſein ſchon angelegt war 1). Die letzte Frage zwang, das
römiſche Imperium in den Kreis dieſer metaphyſiſchen Betrach-
tung der Geſchichte zu ziehen, und zu ihrer Beantwortung traten
die erſten Entwürfe einer umfaſſenden Philoſophie der Geſchichte,
die Schrift des Auguſtinus über den Gottesſtaat und die Hiſtorien
ſeines Schülers Oroſius, hervor.
Ueber dieſen Räthſeln ſann der chriſtliche Geiſt, geſchichtlich
in ſeinem Weſen, zurückblickend auf nunmehr abgeſchloſſene Ge-
ſtalten des geiſtigen Lebens, die innerlich vergangen waren, und
zu univerſalhiſtoriſcher Betrachtung aufgeregt, da die Nacht der
Barbarenherrſchaft über das Imperium Romanum hereinzubrechen
ſchien. So entſtand die Löſung dieſer Räthſel durch den Ge-
danken einer inneren Entwicklung des Menſchenge-
ſchlechtes als einer Einheit in einer Stufenfolge, in
welcher jede frühere Stufe die nothwendige Bedingung der ſpä-
teren iſt. Die Stufen ſind nicht im Kauſalzuſammenhang als
Wirkungen bedingt, ſondern in dem Plane Gottes als Beſtand-
theile angelegt. Und der Gedanke des Fortgangs durch ſie ver-
bleibt in den Grenzen eines Schema, nach welchem der Fortſchritt
durch eine Anpaſſung der göttlichen Erziehung an die Zuſtände des
Menſchengeſchlechts bewirkt wird. — Tertullian betrachtet das
Menſchengeſchlecht in Rückſicht ſeiner religiöſen Erziehung als einen
einzelnen Menſchen, welcher in verſchiedenen Lebensaltern lernend und
voranſchreitend die nothwendigen Stufen ſeiner Entwicklung durch-
läuft. Der religiöſe Fortgang im Menſchengeſchlecht zeigt nach ihm
ein organiſches Wachsthum. Das Bild des Organismus, welches
als Leitfaden für das Verſtändniß des Verhältniſſes der Theile
zum Ganzen in der Geſellſchaft verwandt worden war, wird von
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1) S. 319 ff.
4) minum plagisque grandinum saeva vel etiam parricidiis flagitiisque misera,
per transacta retro saecula repperissem, ordinato breviter voluminis
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ſchreibung des Mittelalters.
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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 427. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/450>, abgerufen am 26.06.2024.
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