Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dohm, Hedwig: Der Frauen Natur und Recht. Berlin, 1876.

Bild:
<< vorherige Seite

Metall sie gemacht ist; es ist mir einerlei, ob sie vor
vielen Jahren oder Jahrhunderten geprägt ist, oder
ob sie erst gestern die Münze verlassen hat."

Die theils poetische, theils rohe Ehrfurcht vor dem
Alterthum scheint unausrottbar. Das Leben in der
Tradition, die Glorification der Phrase, die die Ge-
wohnheit auf den Thron der Welt setzt, ist ein Fluch
der Menschheit. Dieser Wortdienst schläfert den mensch-
lichen Verstand ein, bis er nichts mehr vermag über
Leichtgläubigkeit, Trägheit und Stumpfheit, er höhlt
ihn aus, bis er aufhört, todte Worte von lebendigen
Gedanken zu unterscheiden und ein schwadronirender
Hanswurst ihm ebenso viel oder mehr gilt als der
wahre Denker.

Erworbene falsche Vorstellungen, Vorurtheile, wenn
sie Jahrhunderte oder gar Jahrtausende überdauert
haben, versteinern gleichsam und werden dann von den
Menschen Gesetzen gleich geachtet, die Gott selber auf
eherne Tafeln geschrieben. Und doch ist diese scheinbar
so unauslöschliche Schrift oft nichts als eine poetische
Fiktion aus den Kindheitstagen der Völker. Sie er-
lischt vor dem Hauch eines kühnen Wortes, sie wird
Staub vor dem Lichtschimmer eines wirklichen Ge-
dankens.

Glauben aber sollen wir nimmermehr an Dinge,

Metall sie gemacht ist; es ist mir einerlei, ob sie vor
vielen Jahren oder Jahrhunderten geprägt ist, oder
ob sie erst gestern die Münze verlassen hat.‟

Die theils poetische, theils rohe Ehrfurcht vor dem
Alterthum scheint unausrottbar. Das Leben in der
Tradition, die Glorification der Phrase, die die Ge-
wohnheit auf den Thron der Welt setzt, ist ein Fluch
der Menschheit. Dieser Wortdienst schläfert den mensch-
lichen Verstand ein, bis er nichts mehr vermag über
Leichtgläubigkeit, Trägheit und Stumpfheit, er höhlt
ihn aus, bis er aufhört, todte Worte von lebendigen
Gedanken zu unterscheiden und ein schwadronirender
Hanswurst ihm ebenso viel oder mehr gilt als der
wahre Denker.

Erworbene falsche Vorstellungen, Vorurtheile, wenn
sie Jahrhunderte oder gar Jahrtausende überdauert
haben, versteinern gleichsam und werden dann von den
Menschen Gesetzen gleich geachtet, die Gott selber auf
eherne Tafeln geschrieben. Und doch ist diese scheinbar
so unauslöschliche Schrift oft nichts als eine poetische
Fiktion aus den Kindheitstagen der Völker. Sie er-
lischt vor dem Hauch eines kühnen Wortes, sie wird
Staub vor dem Lichtschimmer eines wirklichen Ge-
dankens.

Glauben aber sollen wir nimmermehr an Dinge,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0038" n="30"/>
Metall sie gemacht ist; es ist mir einerlei, ob sie vor<lb/>
vielen Jahren oder Jahrhunderten geprägt ist, oder<lb/>
ob sie erst gestern die Münze verlassen hat.&#x201F;</p><lb/>
          <p>Die theils poetische, theils rohe Ehrfurcht vor dem<lb/>
Alterthum scheint unausrottbar. Das Leben in der<lb/>
Tradition, die Glorification der Phrase, die die Ge-<lb/>
wohnheit auf den Thron der Welt setzt, ist ein Fluch<lb/>
der Menschheit. Dieser Wortdienst schläfert den mensch-<lb/>
lichen Verstand ein, bis er nichts mehr vermag über<lb/>
Leichtgläubigkeit, Trägheit und Stumpfheit, er höhlt<lb/>
ihn aus, bis er aufhört, todte Worte von lebendigen<lb/>
Gedanken zu unterscheiden und ein schwadronirender<lb/>
Hanswurst ihm ebenso viel oder mehr gilt als der<lb/>
wahre Denker.</p><lb/>
          <p>Erworbene falsche Vorstellungen, Vorurtheile, wenn<lb/>
sie Jahrhunderte oder gar Jahrtausende überdauert<lb/>
haben, versteinern gleichsam und werden dann von den<lb/>
Menschen Gesetzen gleich geachtet, die Gott selber auf<lb/>
eherne Tafeln geschrieben. Und doch ist diese scheinbar<lb/>
so unauslöschliche Schrift oft nichts als eine poetische<lb/>
Fiktion aus den Kindheitstagen der Völker. Sie er-<lb/>
lischt vor dem Hauch eines kühnen Wortes, sie wird<lb/>
Staub vor dem Lichtschimmer eines wirklichen Ge-<lb/>
dankens.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">Glauben</hi> aber sollen wir nimmermehr an Dinge,<lb/>
&#x2003;
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[30/0038] Metall sie gemacht ist; es ist mir einerlei, ob sie vor vielen Jahren oder Jahrhunderten geprägt ist, oder ob sie erst gestern die Münze verlassen hat.‟ Die theils poetische, theils rohe Ehrfurcht vor dem Alterthum scheint unausrottbar. Das Leben in der Tradition, die Glorification der Phrase, die die Ge- wohnheit auf den Thron der Welt setzt, ist ein Fluch der Menschheit. Dieser Wortdienst schläfert den mensch- lichen Verstand ein, bis er nichts mehr vermag über Leichtgläubigkeit, Trägheit und Stumpfheit, er höhlt ihn aus, bis er aufhört, todte Worte von lebendigen Gedanken zu unterscheiden und ein schwadronirender Hanswurst ihm ebenso viel oder mehr gilt als der wahre Denker. Erworbene falsche Vorstellungen, Vorurtheile, wenn sie Jahrhunderte oder gar Jahrtausende überdauert haben, versteinern gleichsam und werden dann von den Menschen Gesetzen gleich geachtet, die Gott selber auf eherne Tafeln geschrieben. Und doch ist diese scheinbar so unauslöschliche Schrift oft nichts als eine poetische Fiktion aus den Kindheitstagen der Völker. Sie er- lischt vor dem Hauch eines kühnen Wortes, sie wird Staub vor dem Lichtschimmer eines wirklichen Ge- dankens. Glauben aber sollen wir nimmermehr an Dinge,  

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-04-07T16:13:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-04-07T16:13:32Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dohm_frauenfrage_1876
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dohm_frauenfrage_1876/38
Zitationshilfe: Dohm, Hedwig: Der Frauen Natur und Recht. Berlin, 1876, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dohm_frauenfrage_1876/38>, abgerufen am 09.11.2024.