Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dohm, Hedwig: Der Frauen Natur und Recht. Berlin, 1876.

Bild:
<< vorherige Seite

Nicht nur im Alterthum, auch im Feudalstaat war
die Geburt einer Tochter ein Trübsal. Ludwig VII.,
König von Frankreich, sagt in einem Erlaß: "Erschreckt
von der großen Anzahl unserer Mädchen, wollen wir
inbrünstig zu Gott beten, daß er uns mehr Kinder
eines besseren Geschlechts schenke (des enfants d'un
sexe meilleur
)." Und er bewilligte ein jährliches Ge-
schenk demjenigen, welcher ihm die Geburt eines Sohnes
anzeigen würde.

Die Geschichte erzählt, daß der Zorn Ludwigs,
als man ihm zu Nogent le Rotron sein erstes Kind,
ein Mädchen, zeigte, so groß gewesen sei, daß er sofort
nach Paris zurückreiste, jede öffentliche Lustbarkeit ver-
bot, das Kind in das Schloß von Linieres einsperren
ließ und es während vier Jahre seiner Mutter beraubte.

Lange Zeit haftete dem Mann, dem seine Gattin
nur Töchter gebar, eine gewisse Lächerlichkeit an; man
hielt ihn für einen Schwächling. Der bretonische
Bauer, dessen Frau mit einer Tochter niederkommt,
sagt noch heut: "Meine Frau hat falsche Wochen ge-
halten (a fait une fausse couche)."

Das wäre die Fürsorge der Männer in barbarischen
und halbcivilisirten Ländern für das weibliche Geschöpf
in der Wiege.

Das junge Mädchen. Die Thatsache, daß bei

Nicht nur im Alterthum, auch im Feudalstaat war
die Geburt einer Tochter ein Trübsal. Ludwig VII.,
König von Frankreich, sagt in einem Erlaß: „Erschreckt
von der großen Anzahl unserer Mädchen, wollen wir
inbrünstig zu Gott beten, daß er uns mehr Kinder
eines besseren Geschlechts schenke (des enfants d'un
sexe meilleur
).‟ Und er bewilligte ein jährliches Ge-
schenk demjenigen, welcher ihm die Geburt eines Sohnes
anzeigen würde.

Die Geschichte erzählt, daß der Zorn Ludwigs,
als man ihm zu Nogent le Rotron sein erstes Kind,
ein Mädchen, zeigte, so groß gewesen sei, daß er sofort
nach Paris zurückreiste, jede öffentliche Lustbarkeit ver-
bot, das Kind in das Schloß von Linières einsperren
ließ und es während vier Jahre seiner Mutter beraubte.

Lange Zeit haftete dem Mann, dem seine Gattin
nur Töchter gebar, eine gewisse Lächerlichkeit an; man
hielt ihn für einen Schwächling. Der bretonische
Bauer, dessen Frau mit einer Tochter niederkommt,
sagt noch heut: „Meine Frau hat falsche Wochen ge-
halten (a fait une fausse couche).‟

Das wäre die Fürsorge der Männer in barbarischen
und halbcivilisirten Ländern für das weibliche Geschöpf
in der Wiege.

Das junge Mädchen. Die Thatsache, daß bei

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0085" n="77"/>
        <p>Nicht nur im Alterthum, auch im Feudalstaat war<lb/>
die Geburt einer Tochter ein Trübsal. Ludwig <hi rendition="#aq">VII</hi>.,<lb/>
König von Frankreich, sagt in einem Erlaß: &#x201E;Erschreckt<lb/>
von der großen Anzahl unserer Mädchen, wollen wir<lb/>
inbrünstig zu Gott beten, daß er uns mehr Kinder<lb/>
eines besseren Geschlechts schenke (<hi rendition="#aq">des enfants d'un<lb/>
sexe meilleur</hi>).&#x201F; Und er bewilligte ein jährliches Ge-<lb/>
schenk demjenigen, welcher ihm die Geburt eines Sohnes<lb/>
anzeigen würde.</p><lb/>
        <p>Die Geschichte erzählt, daß der Zorn Ludwigs,<lb/>
als man ihm zu Nogent le Rotron sein erstes Kind,<lb/>
ein Mädchen, zeigte, so groß gewesen sei, daß er sofort<lb/>
nach Paris zurückreiste, jede öffentliche Lustbarkeit ver-<lb/>
bot, das Kind in das Schloß von Linières einsperren<lb/>
ließ und es während vier Jahre seiner Mutter beraubte.</p><lb/>
        <p>Lange Zeit haftete dem Mann, dem seine Gattin<lb/>
nur Töchter gebar, eine gewisse Lächerlichkeit an; man<lb/>
hielt ihn für einen Schwächling. Der bretonische<lb/>
Bauer, dessen Frau mit einer Tochter niederkommt,<lb/>
sagt noch heut: &#x201E;Meine Frau hat falsche Wochen ge-<lb/>
halten (<hi rendition="#aq">a fait une fausse couche</hi>).&#x201F;</p><lb/>
        <p>Das wäre die Fürsorge der Männer in barbarischen<lb/>
und halbcivilisirten Ländern für das weibliche Geschöpf<lb/>
in der Wiege.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#g">Das junge Mädchen</hi>. Die Thatsache, daß bei<lb/>
&#x2003;
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[77/0085] Nicht nur im Alterthum, auch im Feudalstaat war die Geburt einer Tochter ein Trübsal. Ludwig VII., König von Frankreich, sagt in einem Erlaß: „Erschreckt von der großen Anzahl unserer Mädchen, wollen wir inbrünstig zu Gott beten, daß er uns mehr Kinder eines besseren Geschlechts schenke (des enfants d'un sexe meilleur).‟ Und er bewilligte ein jährliches Ge- schenk demjenigen, welcher ihm die Geburt eines Sohnes anzeigen würde. Die Geschichte erzählt, daß der Zorn Ludwigs, als man ihm zu Nogent le Rotron sein erstes Kind, ein Mädchen, zeigte, so groß gewesen sei, daß er sofort nach Paris zurückreiste, jede öffentliche Lustbarkeit ver- bot, das Kind in das Schloß von Linières einsperren ließ und es während vier Jahre seiner Mutter beraubte. Lange Zeit haftete dem Mann, dem seine Gattin nur Töchter gebar, eine gewisse Lächerlichkeit an; man hielt ihn für einen Schwächling. Der bretonische Bauer, dessen Frau mit einer Tochter niederkommt, sagt noch heut: „Meine Frau hat falsche Wochen ge- halten (a fait une fausse couche).‟ Das wäre die Fürsorge der Männer in barbarischen und halbcivilisirten Ländern für das weibliche Geschöpf in der Wiege. Das junge Mädchen. Die Thatsache, daß bei  

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-04-07T16:13:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-04-07T16:13:32Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dohm_frauenfrage_1876
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dohm_frauenfrage_1876/85
Zitationshilfe: Dohm, Hedwig: Der Frauen Natur und Recht. Berlin, 1876, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dohm_frauenfrage_1876/85>, abgerufen am 05.05.2024.