nicht für den Unterthan und Soldaten, sondern für die, denen die Regierung des Staats anvertrauet worden. Fast bey jedem Kriege sucht jede Parthey die Welt zu überreden, daß sie der angegriffene Theil sey. Es läßt sich auch der Fall denken, daß beyde Recht haben; aber gewöhnlich ist die Frage zu ver- wickelt, als daß sie von dem großen Haufen der Un- terthanen entschieden werden könnte. Die Geschich- te enthält Beyspiele, daß ein Krieg, dem ersten An- blick nach das Ansehn eines offensiven haben und doch ein sehr abgedrungener und im strengsten Sinn defensiv seyn könne. Man hat also Recht, auch von den Inden ganz unbeschränkte Kriegsdienste zu fo- dern. Itzt können sie dieselben freylich nicht leisten, weil die Unterdrückung, in der sie so lange gelebt, den kriegerischen Geist und persönlichen Muth bey ihnen erstickt und ihre religiösen Spekulationen auf so ungesellige Paradoxen geleitet hat. Sie hatten seit anderthalb Jahrtausenden kein Vaterland, wie konnten sie also für dasselbe fechten und sterben? Aber ich bin überzeugt, daß sie dieses mit gleicher Fähig- keit und Treue, wie alle andere, thun werden, sobald man ihnen ein Vaterland gegeben hat. Die Bey- spiele, die ich aus der ältern Geschichte angeführt, sind deutlich und ich sehe nicht warum die Juden
nicht
nicht fuͤr den Unterthan und Soldaten, ſondern fuͤr die, denen die Regierung des Staats anvertrauet worden. Faſt bey jedem Kriege ſucht jede Parthey die Welt zu uͤberreden, daß ſie der angegriffene Theil ſey. Es laͤßt ſich auch der Fall denken, daß beyde Recht haben; aber gewoͤhnlich iſt die Frage zu ver- wickelt, als daß ſie von dem großen Haufen der Un- terthanen entſchieden werden koͤnnte. Die Geſchich- te enthaͤlt Beyſpiele, daß ein Krieg, dem erſten An- blick nach das Anſehn eines offenſiven haben und doch ein ſehr abgedrungener und im ſtrengſten Sinn defenſiv ſeyn koͤnne. Man hat alſo Recht, auch von den Inden ganz unbeſchraͤnkte Kriegsdienſte zu fo- dern. Itzt koͤnnen ſie dieſelben freylich nicht leiſten, weil die Unterdruͤckung, in der ſie ſo lange gelebt, den kriegeriſchen Geiſt und perſoͤnlichen Muth bey ihnen erſtickt und ihre religioͤſen Spekulationen auf ſo ungeſellige Paradoxen geleitet hat. Sie hatten ſeit anderthalb Jahrtauſenden kein Vaterland, wie konnten ſie alſo fuͤr daſſelbe fechten und ſterben? Aber ich bin uͤberzeugt, daß ſie dieſes mit gleicher Faͤhig- keit und Treue, wie alle andere, thun werden, ſobald man ihnen ein Vaterland gegeben hat. Die Bey- ſpiele, die ich aus der aͤltern Geſchichte angefuͤhrt, ſind deutlich und ich ſehe nicht warum die Juden
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nicht fuͤr den Unterthan und Soldaten, ſondern fuͤr
die, denen die Regierung des Staats anvertrauet
worden. Faſt bey jedem Kriege ſucht jede Parthey
die Welt zu uͤberreden, daß ſie der angegriffene Theil
ſey. Es laͤßt ſich auch der Fall denken, daß beyde
Recht haben; aber gewoͤhnlich iſt die Frage zu ver-
wickelt, als daß ſie von dem großen Haufen der Un-
terthanen entſchieden werden koͤnnte. Die Geſchich-
te enthaͤlt Beyſpiele, daß ein Krieg, dem erſten An-
blick nach das Anſehn eines offenſiven haben und
doch ein ſehr abgedrungener und im ſtrengſten Sinn
defenſiv ſeyn koͤnne. Man hat alſo Recht, auch von
den Inden ganz unbeſchraͤnkte Kriegsdienſte zu fo-
dern. Itzt koͤnnen ſie dieſelben freylich nicht leiſten,
weil die Unterdruͤckung, in der ſie ſo lange gelebt,
den kriegeriſchen Geiſt und perſoͤnlichen Muth bey
ihnen erſtickt und ihre religioͤſen Spekulationen auf
ſo ungeſellige Paradoxen geleitet hat. Sie hatten
ſeit anderthalb Jahrtauſenden kein Vaterland, wie
konnten ſie alſo fuͤr daſſelbe fechten und ſterben? Aber
ich bin uͤberzeugt, daß ſie dieſes mit gleicher Faͤhig-
keit und Treue, wie alle andere, thun werden, ſobald
man ihnen ein Vaterland gegeben hat. Die Bey-
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Dohm, Christian Conrad Wilhelm von: Über die bürgerliche Verbesserung der Juden. T. 2. Berlin u. a., 1783, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dohm_juden02_1783/245>, abgerufen am 24.11.2024.
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