Die Fenster klirren, alle Zellen Beleben sich, und vorgeduckt Aus jeder Thür ein Mönchlein guckt.
Und wie das Knäbchen sie erschau'n, Das Kindchen unter ihrem Dache, Da ist's, als ob die Sonne, traun! Auf jedem Angesicht erwache. Und alle eilen, wie bethört, Ihm irgend Gutes zuzufügen; Auf die Geschichte keiner hört. Das ist das heilige Vergnügen, Das ist die unverstandne Macht, So über Kindes Leben wacht! Der Infirmier * mit leiser Hand Die Glieder rührt, ob sie auch schwellen, Die Schuh ihm von den Füßchen zieht, Und heimlich, an der Zellenwand, Ein alterschwacher Mönch sich müht Den kleinen Korb herabzustellen, Darin nach seiner thör'gen Art Er gute Bissen aufgespart. Dem Pater Koch nicht schnell genug Das Reisig will die Flamme zollen. Dort Einer bringt ein warmes Tuch; Doch -- horch! die Gitterpforten rollen. -- "Der Prior!" läuft's von Mund zu Mund. Mit freud'gem Funkeln lauscht der Hund,
* Infirmier, Krankenwärter.
Die Fenſter klirren, alle Zellen Beleben ſich, und vorgeduckt Aus jeder Thür ein Mönchlein guckt.
Und wie das Knäbchen ſie erſchau'n, Das Kindchen unter ihrem Dache, Da iſt's, als ob die Sonne, traun! Auf jedem Angeſicht erwache. Und alle eilen, wie bethört, Ihm irgend Gutes zuzufügen; Auf die Geſchichte keiner hört. Das iſt das heilige Vergnügen, Das iſt die unverſtandne Macht, So über Kindes Leben wacht! Der Infirmier * mit leiſer Hand Die Glieder rührt, ob ſie auch ſchwellen, Die Schuh ihm von den Füßchen zieht, Und heimlich, an der Zellenwand, Ein alterſchwacher Mönch ſich müht Den kleinen Korb herabzuſtellen, Darin nach ſeiner thör'gen Art Er gute Biſſen aufgeſpart. Dem Pater Koch nicht ſchnell genug Das Reiſig will die Flamme zollen. Dort Einer bringt ein warmes Tuch; Doch — horch! die Gitterpforten rollen. — „Der Prior!“ läuft's von Mund zu Mund. Mit freud'gem Funkeln lauſcht der Hund,
* Infirmier, Krankenwärter.
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Die Fenſter klirren, alle Zellen
Beleben ſich, und vorgeduckt
Aus jeder Thür ein Mönchlein guckt.
Und wie das Knäbchen ſie erſchau'n,
Das Kindchen unter ihrem Dache,
Da iſt's, als ob die Sonne, traun!
Auf jedem Angeſicht erwache.
Und alle eilen, wie bethört,
Ihm irgend Gutes zuzufügen;
Auf die Geſchichte keiner hört.
Das iſt das heilige Vergnügen,
Das iſt die unverſtandne Macht,
So über Kindes Leben wacht!
Der Infirmier * mit leiſer Hand
Die Glieder rührt, ob ſie auch ſchwellen,
Die Schuh ihm von den Füßchen zieht,
Und heimlich, an der Zellenwand,
Ein alterſchwacher Mönch ſich müht
Den kleinen Korb herabzuſtellen,
Darin nach ſeiner thör'gen Art
Er gute Biſſen aufgeſpart.
Dem Pater Koch nicht ſchnell genug
Das Reiſig will die Flamme zollen.
Dort Einer bringt ein warmes Tuch;
Doch — horch! die Gitterpforten rollen. —
„Der Prior!“ läuft's von Mund zu Mund.
Mit freud'gem Funkeln lauſcht der Hund,
* Infirmier, Krankenwärter.
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Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 434. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/448>, abgerufen am 22.11.2024.
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