Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

Bild:
<< vorherige Seite
Im Antlitz lag so tiefer Seelenschlaf
Wie nie bei Kranken ich noch Irren traf;
Die Stirn -- ein Gletscher klar im Alpenthal,
Durchkältend uns mit dem gefrornen Strahl;
Dies Auge, seltsam regungslos und doch,
Erloschen gleich, voll todten Lichtes noch.
Nicht Wahnsinn war's, doch Schlimm'res was ich sah;
Und mich bezwang's, daß ich vergaß was nah.
Zudem da dämmernd, dämmernd, halb gefühlt,
Wie Wetterleuchten die Erinn'rung spielt.
Dies Antlitz ist -- und doch ein Andres ganz,
Ich hab's gesehn, es war im höchsten Glanz.
Und wo? Und wo? Halt an! Wie fuhr ich auf!
Mein Führer zupfte an der Binde Knoten.
Ward der gelös't und frei des Blutes Lauf,
Gewiß nichts Gutes ward mir dann geboten!
Was wär' ich jetzt? Ein Schattenbild deß dann
Gedenkt noch hier und dort ein alter Mann.
Und du mein Sohn? Was die Atome sind;
Sonst andrer Mann, und andren Mannes Kind. --
Ach, alles Leben ist wie Schaum und Duft!
Und doch hat jede Stunde ihre Pein.
Die Enkel treten meiner Freunde Gruft;
Wo bist du, Eduard? ich bin allein --
Ach Gott! mich quälen meine Träumerei'n."
Hier folgt ein Blatt, bekritzelt und zerpflückt,
Quer über'n Raum die wilden Schnörkel fahren,
Mitunter Striche, durch's Papier gedrückt,
Gepreßter Finger Zucken offenbaren.
Der Jüngling seufzt, und wendet rasch das Blatt.
Im Antlitz lag ſo tiefer Seelenſchlaf
Wie nie bei Kranken ich noch Irren traf;
Die Stirn — ein Gletſcher klar im Alpenthal,
Durchkältend uns mit dem gefrornen Strahl;
Dies Auge, ſeltſam regungslos und doch,
Erloſchen gleich, voll todten Lichtes noch.
Nicht Wahnſinn war's, doch Schlimm'res was ich ſah;
Und mich bezwang's, daß ich vergaß was nah.
Zudem da dämmernd, dämmernd, halb gefühlt,
Wie Wetterleuchten die Erinn'rung ſpielt.
Dies Antlitz iſt — und doch ein Andres ganz,
Ich hab's geſehn, es war im höchſten Glanz.
Und wo? Und wo? Halt an! Wie fuhr ich auf!
Mein Führer zupfte an der Binde Knoten.
Ward der gelöſ't und frei des Blutes Lauf,
Gewiß nichts Gutes ward mir dann geboten!
Was wär' ich jetzt? Ein Schattenbild deß dann
Gedenkt noch hier und dort ein alter Mann.
Und du mein Sohn? Was die Atome ſind;
Sonſt andrer Mann, und andren Mannes Kind. —
Ach, alles Leben iſt wie Schaum und Duft!
Und doch hat jede Stunde ihre Pein.
Die Enkel treten meiner Freunde Gruft;
Wo biſt du, Eduard? ich bin allein —
Ach Gott! mich quälen meine Träumerei'n.“
Hier folgt ein Blatt, bekritzelt und zerpflückt,
Quer über'n Raum die wilden Schnörkel fahren,
Mitunter Striche, durch's Papier gedrückt,
Gepreßter Finger Zucken offenbaren.
Der Jüngling ſeufzt, und wendet raſch das Blatt.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0482" n="468"/>
            <lg n="9">
              <l>Im Antlitz lag &#x017F;o tiefer Seelen&#x017F;chlaf</l><lb/>
              <l>Wie nie bei Kranken ich noch Irren traf;</l><lb/>
              <l>Die Stirn &#x2014; ein Glet&#x017F;cher klar im Alpenthal,</l><lb/>
              <l>Durchkältend uns mit dem gefrornen Strahl;</l><lb/>
              <l>Dies Auge, &#x017F;elt&#x017F;am regungslos und doch,</l><lb/>
              <l>Erlo&#x017F;chen gleich, voll todten Lichtes noch.</l><lb/>
              <l>Nicht Wahn&#x017F;inn war's, doch Schlimm'res was ich &#x017F;ah;</l><lb/>
              <l>Und mich bezwang's, daß ich vergaß was nah.</l><lb/>
              <l>Zudem da dämmernd, dämmernd, halb gefühlt,</l><lb/>
              <l>Wie Wetterleuchten die Erinn'rung &#x017F;pielt.</l><lb/>
              <l>Dies Antlitz i&#x017F;t &#x2014; und doch ein Andres ganz,</l><lb/>
              <l>Ich hab's ge&#x017F;ehn, es war im höch&#x017F;ten Glanz.</l><lb/>
              <l>Und wo? Und wo? Halt an! Wie fuhr ich auf!</l><lb/>
              <l>Mein Führer zupfte an der Binde Knoten.</l><lb/>
              <l>Ward der gelö&#x017F;'t und frei des Blutes Lauf,</l><lb/>
              <l>Gewiß nichts Gutes ward mir dann geboten!</l><lb/>
              <l>Was wär' ich jetzt? Ein Schattenbild deß dann</l><lb/>
              <l>Gedenkt noch hier und dort ein alter Mann.</l><lb/>
              <l>Und du mein Sohn? Was die Atome &#x017F;ind;</l><lb/>
              <l>Son&#x017F;t andrer Mann, und andren Mannes Kind. &#x2014;</l><lb/>
              <l>Ach, alles Leben i&#x017F;t wie Schaum und Duft!</l><lb/>
              <l>Und doch hat jede Stunde ihre Pein.</l><lb/>
              <l>Die Enkel treten meiner Freunde Gruft;</l><lb/>
              <l>Wo bi&#x017F;t du, Eduard? ich bin allein &#x2014;</l><lb/>
              <l>Ach Gott! mich quälen meine Träumerei'n.&#x201C;</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="10">
              <l>Hier folgt ein Blatt, bekritzelt und zerpflückt,</l><lb/>
              <l>Quer über'n Raum die wilden Schnörkel fahren,</l><lb/>
              <l>Mitunter Striche, durch's Papier gedrückt,</l><lb/>
              <l>Gepreßter Finger Zucken offenbaren.</l><lb/>
              <l>Der Jüngling &#x017F;eufzt, und wendet ra&#x017F;ch das Blatt.</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[468/0482] Im Antlitz lag ſo tiefer Seelenſchlaf Wie nie bei Kranken ich noch Irren traf; Die Stirn — ein Gletſcher klar im Alpenthal, Durchkältend uns mit dem gefrornen Strahl; Dies Auge, ſeltſam regungslos und doch, Erloſchen gleich, voll todten Lichtes noch. Nicht Wahnſinn war's, doch Schlimm'res was ich ſah; Und mich bezwang's, daß ich vergaß was nah. Zudem da dämmernd, dämmernd, halb gefühlt, Wie Wetterleuchten die Erinn'rung ſpielt. Dies Antlitz iſt — und doch ein Andres ganz, Ich hab's geſehn, es war im höchſten Glanz. Und wo? Und wo? Halt an! Wie fuhr ich auf! Mein Führer zupfte an der Binde Knoten. Ward der gelöſ't und frei des Blutes Lauf, Gewiß nichts Gutes ward mir dann geboten! Was wär' ich jetzt? Ein Schattenbild deß dann Gedenkt noch hier und dort ein alter Mann. Und du mein Sohn? Was die Atome ſind; Sonſt andrer Mann, und andren Mannes Kind. — Ach, alles Leben iſt wie Schaum und Duft! Und doch hat jede Stunde ihre Pein. Die Enkel treten meiner Freunde Gruft; Wo biſt du, Eduard? ich bin allein — Ach Gott! mich quälen meine Träumerei'n.“ Hier folgt ein Blatt, bekritzelt und zerpflückt, Quer über'n Raum die wilden Schnörkel fahren, Mitunter Striche, durch's Papier gedrückt, Gepreßter Finger Zucken offenbaren. Der Jüngling ſeufzt, und wendet raſch das Blatt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/482
Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 468. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/482>, abgerufen am 22.11.2024.