Im Antlitz lag so tiefer Seelenschlaf Wie nie bei Kranken ich noch Irren traf; Die Stirn -- ein Gletscher klar im Alpenthal, Durchkältend uns mit dem gefrornen Strahl; Dies Auge, seltsam regungslos und doch, Erloschen gleich, voll todten Lichtes noch. Nicht Wahnsinn war's, doch Schlimm'res was ich sah; Und mich bezwang's, daß ich vergaß was nah. Zudem da dämmernd, dämmernd, halb gefühlt, Wie Wetterleuchten die Erinn'rung spielt. Dies Antlitz ist -- und doch ein Andres ganz, Ich hab's gesehn, es war im höchsten Glanz. Und wo? Und wo? Halt an! Wie fuhr ich auf! Mein Führer zupfte an der Binde Knoten. Ward der gelös't und frei des Blutes Lauf, Gewiß nichts Gutes ward mir dann geboten! Was wär' ich jetzt? Ein Schattenbild deß dann Gedenkt noch hier und dort ein alter Mann. Und du mein Sohn? Was die Atome sind; Sonst andrer Mann, und andren Mannes Kind. -- Ach, alles Leben ist wie Schaum und Duft! Und doch hat jede Stunde ihre Pein. Die Enkel treten meiner Freunde Gruft; Wo bist du, Eduard? ich bin allein -- Ach Gott! mich quälen meine Träumerei'n."
Hier folgt ein Blatt, bekritzelt und zerpflückt, Quer über'n Raum die wilden Schnörkel fahren, Mitunter Striche, durch's Papier gedrückt, Gepreßter Finger Zucken offenbaren. Der Jüngling seufzt, und wendet rasch das Blatt.
Im Antlitz lag ſo tiefer Seelenſchlaf Wie nie bei Kranken ich noch Irren traf; Die Stirn — ein Gletſcher klar im Alpenthal, Durchkältend uns mit dem gefrornen Strahl; Dies Auge, ſeltſam regungslos und doch, Erloſchen gleich, voll todten Lichtes noch. Nicht Wahnſinn war's, doch Schlimm'res was ich ſah; Und mich bezwang's, daß ich vergaß was nah. Zudem da dämmernd, dämmernd, halb gefühlt, Wie Wetterleuchten die Erinn'rung ſpielt. Dies Antlitz iſt — und doch ein Andres ganz, Ich hab's geſehn, es war im höchſten Glanz. Und wo? Und wo? Halt an! Wie fuhr ich auf! Mein Führer zupfte an der Binde Knoten. Ward der gelöſ't und frei des Blutes Lauf, Gewiß nichts Gutes ward mir dann geboten! Was wär' ich jetzt? Ein Schattenbild deß dann Gedenkt noch hier und dort ein alter Mann. Und du mein Sohn? Was die Atome ſind; Sonſt andrer Mann, und andren Mannes Kind. — Ach, alles Leben iſt wie Schaum und Duft! Und doch hat jede Stunde ihre Pein. Die Enkel treten meiner Freunde Gruft; Wo biſt du, Eduard? ich bin allein — Ach Gott! mich quälen meine Träumerei'n.“
Hier folgt ein Blatt, bekritzelt und zerpflückt, Quer über'n Raum die wilden Schnörkel fahren, Mitunter Striche, durch's Papier gedrückt, Gepreßter Finger Zucken offenbaren. Der Jüngling ſeufzt, und wendet raſch das Blatt.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><lgtype="poem"><pbfacs="#f0482"n="468"/><lgn="9"><l>Im Antlitz lag ſo tiefer Seelenſchlaf</l><lb/><l>Wie nie bei Kranken ich noch Irren traf;</l><lb/><l>Die Stirn — ein Gletſcher klar im Alpenthal,</l><lb/><l>Durchkältend uns mit dem gefrornen Strahl;</l><lb/><l>Dies Auge, ſeltſam regungslos und doch,</l><lb/><l>Erloſchen gleich, voll todten Lichtes noch.</l><lb/><l>Nicht Wahnſinn war's, doch Schlimm'res was ich ſah;</l><lb/><l>Und mich bezwang's, daß ich vergaß was nah.</l><lb/><l>Zudem da dämmernd, dämmernd, halb gefühlt,</l><lb/><l>Wie Wetterleuchten die Erinn'rung ſpielt.</l><lb/><l>Dies Antlitz iſt — und doch ein Andres ganz,</l><lb/><l>Ich hab's geſehn, es war im höchſten Glanz.</l><lb/><l>Und wo? Und wo? Halt an! Wie fuhr ich auf!</l><lb/><l>Mein Führer zupfte an der Binde Knoten.</l><lb/><l>Ward der gelöſ't und frei des Blutes Lauf,</l><lb/><l>Gewiß nichts Gutes ward mir dann geboten!</l><lb/><l>Was wär' ich jetzt? Ein Schattenbild deß dann</l><lb/><l>Gedenkt noch hier und dort ein alter Mann.</l><lb/><l>Und du mein Sohn? Was die Atome ſind;</l><lb/><l>Sonſt andrer Mann, und andren Mannes Kind. —</l><lb/><l>Ach, alles Leben iſt wie Schaum und Duft!</l><lb/><l>Und doch hat jede Stunde ihre Pein.</l><lb/><l>Die Enkel treten meiner Freunde Gruft;</l><lb/><l>Wo biſt du, Eduard? ich bin allein —</l><lb/><l>Ach Gott! mich quälen meine Träumerei'n.“</l><lb/></lg><lgn="10"><l>Hier folgt ein Blatt, bekritzelt und zerpflückt,</l><lb/><l>Quer über'n Raum die wilden Schnörkel fahren,</l><lb/><l>Mitunter Striche, durch's Papier gedrückt,</l><lb/><l>Gepreßter Finger Zucken offenbaren.</l><lb/><l>Der Jüngling ſeufzt, und wendet raſch das Blatt.</l><lb/></lg></lg></div></div></body></text></TEI>
[468/0482]
Im Antlitz lag ſo tiefer Seelenſchlaf
Wie nie bei Kranken ich noch Irren traf;
Die Stirn — ein Gletſcher klar im Alpenthal,
Durchkältend uns mit dem gefrornen Strahl;
Dies Auge, ſeltſam regungslos und doch,
Erloſchen gleich, voll todten Lichtes noch.
Nicht Wahnſinn war's, doch Schlimm'res was ich ſah;
Und mich bezwang's, daß ich vergaß was nah.
Zudem da dämmernd, dämmernd, halb gefühlt,
Wie Wetterleuchten die Erinn'rung ſpielt.
Dies Antlitz iſt — und doch ein Andres ganz,
Ich hab's geſehn, es war im höchſten Glanz.
Und wo? Und wo? Halt an! Wie fuhr ich auf!
Mein Führer zupfte an der Binde Knoten.
Ward der gelöſ't und frei des Blutes Lauf,
Gewiß nichts Gutes ward mir dann geboten!
Was wär' ich jetzt? Ein Schattenbild deß dann
Gedenkt noch hier und dort ein alter Mann.
Und du mein Sohn? Was die Atome ſind;
Sonſt andrer Mann, und andren Mannes Kind. —
Ach, alles Leben iſt wie Schaum und Duft!
Und doch hat jede Stunde ihre Pein.
Die Enkel treten meiner Freunde Gruft;
Wo biſt du, Eduard? ich bin allein —
Ach Gott! mich quälen meine Träumerei'n.“
Hier folgt ein Blatt, bekritzelt und zerpflückt,
Quer über'n Raum die wilden Schnörkel fahren,
Mitunter Striche, durch's Papier gedrückt,
Gepreßter Finger Zucken offenbaren.
Der Jüngling ſeufzt, und wendet raſch das Blatt.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 468. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/482>, abgerufen am 16.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.