mehr ganz, und man sah ihn noch bis spät in die Nacht vor der Thürschwelle liegen, einen abgebro- chenen Flaschenhals von Zeit zu Zeit zum Munde führend und sich Gesicht und Hände jämmerlich zerschneidend. Die junge Frau blieb bei ihren Eltern, wo sie bald verkümmerte und starb. Ob nun den Mergel Reue quälte oder Scham, genug, er schien der Trostmittel immer bedürftiger und fing bald an, den gänzlich verkommenen Subjekten zugezählt zu werden.
Die Wirthschaft verfiel; fremde Mägde brachten Schimpf und Schaden; so vergieng Jahr auf Jahr. Mergel war und blieb ein verlegener und zuletzt ziemlich armseliger Wittwer, bis er mit einem- male wieder als Bräutigam auftrat. War die Sache an und für sich unerwartet, so trug die Persönlichkeit der Braut noch dazu bei, die Ver- wunderung zu erhöhen. Margareth Semmler war eine brave, anständige Person, so in den Vierzigen, in ihrer Jugend eine Dorfschönheit und noch jetzt sehr klug und wirthlich geachtet, dabei nicht unver- mögend; und so mußte es Jedem unbegreiflich sein, was sie zu diesem Schritte getrieben. Wir glauben den Grund eben in dieser ihrer selbstbewußten Voll- kommenheit zu finden. Am Abend vor der Hochzeit soll sie gesagt haben: "Eine Frau die von ihrem Manne übel behandelt wird, ist dumm oder taugt
mehr ganz, und man ſah ihn noch bis ſpät in die Nacht vor der Thürſchwelle liegen, einen abgebro- chenen Flaſchenhals von Zeit zu Zeit zum Munde führend und ſich Geſicht und Hände jämmerlich zerſchneidend. Die junge Frau blieb bei ihren Eltern, wo ſie bald verkümmerte und ſtarb. Ob nun den Mergel Reue quälte oder Scham, genug, er ſchien der Troſtmittel immer bedürftiger und fing bald an, den gänzlich verkommenen Subjekten zugezählt zu werden.
Die Wirthſchaft verfiel; fremde Mägde brachten Schimpf und Schaden; ſo vergieng Jahr auf Jahr. Mergel war und blieb ein verlegener und zuletzt ziemlich armſeliger Wittwer, bis er mit einem- male wieder als Bräutigam auftrat. War die Sache an und für ſich unerwartet, ſo trug die Perſönlichkeit der Braut noch dazu bei, die Ver- wunderung zu erhöhen. Margareth Semmler war eine brave, anſtändige Perſon, ſo in den Vierzigen, in ihrer Jugend eine Dorfſchönheit und noch jetzt ſehr klug und wirthlich geachtet, dabei nicht unver- mögend; und ſo mußte es Jedem unbegreiflich ſein, was ſie zu dieſem Schritte getrieben. Wir glauben den Grund eben in dieſer ihrer ſelbſtbewußten Voll- kommenheit zu finden. Am Abend vor der Hochzeit ſoll ſie geſagt haben: „Eine Frau die von ihrem Manne übel behandelt wird, iſt dumm oder taugt
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mehr ganz, und man ſah ihn noch bis ſpät in die
Nacht vor der Thürſchwelle liegen, einen abgebro-
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führend und ſich Geſicht und Hände jämmerlich
zerſchneidend. Die junge Frau blieb bei ihren
Eltern, wo ſie bald verkümmerte und ſtarb. Ob
nun den Mergel Reue quälte oder Scham, genug,
er ſchien der Troſtmittel immer bedürftiger und
fing bald an, den gänzlich verkommenen Subjekten
zugezählt zu werden.
Die Wirthſchaft verfiel; fremde Mägde brachten
Schimpf und Schaden; ſo vergieng Jahr auf
Jahr. Mergel war und blieb ein verlegener und
zuletzt ziemlich armſeliger Wittwer, bis er mit einem-
male wieder als Bräutigam auftrat. War die
Sache an und für ſich unerwartet, ſo trug die
Perſönlichkeit der Braut noch dazu bei, die Ver-
wunderung zu erhöhen. Margareth Semmler war
eine brave, anſtändige Perſon, ſo in den Vierzigen,
in ihrer Jugend eine Dorfſchönheit und noch jetzt
ſehr klug und wirthlich geachtet, dabei nicht unver-
mögend; und ſo mußte es Jedem unbegreiflich ſein,
was ſie zu dieſem Schritte getrieben. Wir glauben
den Grund eben in dieſer ihrer ſelbſtbewußten Voll-
kommenheit zu finden. Am Abend vor der Hochzeit
ſoll ſie geſagt haben: „Eine Frau die von ihrem
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schü… [mehr]
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schücking aus dem Nachlass Annette von Droste-Hülshoffs herausgegeben, enthalten mehrere Texte, die zum Teil zu Lebzeiten der Autorin bereits andernorts veröffentlicht worden waren. Beispielsweise erschien Droste-Hülshoffs Novelle "Die Judenbuche" zuerst 1842 im "Morgenblatt für gebildete Leser"; die "Westfälischen Schilderungen" erschienen 1845 in den "Historisch-politischen Blättern für das katholische Deutschland". Einzelne Gedichte sind in Journalen und Jahrbüchern erschienen, andere wurden aus dem Nachlass erstmals in der hier digitalisierten Edition von Levin Schücking veröffentlicht (z.B. die Gedichte "Der Nachtwanderer", "Doppeltgänger" und "Halt fest!"). In den meisten Fällen handelt es sich somit nicht um Erstveröffentlichungen der Texte, wohl aber um die erste Publikation in Buchform, weshalb die Nachlassedition für das DTA herangezogen wurde.
Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/166>, abgerufen am 23.11.2024.
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