lich ausgesehen haben soll. Aber davon erzählte er nie und schien ungern daran zu denken. Ueber- haupt hatte die Erinnerung an seinen Vater eine mit Grausen gemischte Zärtlichkeit in ihm zurück- gelassen, wie denn nichts so fesselt, wie die Liebe und Sorgfalt eines Wesens, das gegen alles Uebrige verhärtet scheint, und bei Friedrich wuchs dieses Gefühl mit den Jahren, durch das Gefühl mancher Zurücksetzung von Seiten Anderer. Es war ihm äußerst empfindlich, wenn, so lange er Kind war, Jemand des Verstorbenen nicht allzu löblich ge- dachte; ein Kummer, den ihm das Zartgefühl der Nachbarn nicht ersparte. Es ist gewöhnlich in jenen Gegenden, den Verunglückten die Ruhe im Grabe abzusprechen. Der alte Mergel war das Gespenst des Brederholzes geworden; einen Betrunkenen führte er als Irrlicht bei einem Haar in den Zellerkolk (Teich); die Hirtenknaben, wenn sie Nachts bei ihren Feuern kauerten und die Eulen in den Gründen schrieen, hörten zuweilen in abgebrochenen Tönen ganz deutlich dazwischen sein: "Hör mal an, fein's Liseken," und ein unprivilegirter Holzhauer, der unter der breiten Eiche eingeschlafen und dem es darüber Nacht geworden war, hatte beim Erwachen sein geschwollenes blaues Gesicht durch die Zweige lauschen sehen. Friedrich mußte von andern Knaben Vieles darüber hören; dann heulte er, schlug um
lich ausgeſehen haben ſoll. Aber davon erzählte er nie und ſchien ungern daran zu denken. Ueber- haupt hatte die Erinnerung an ſeinen Vater eine mit Grauſen gemiſchte Zärtlichkeit in ihm zurück- gelaſſen, wie denn nichts ſo feſſelt, wie die Liebe und Sorgfalt eines Weſens, das gegen alles Uebrige verhärtet ſcheint, und bei Friedrich wuchs dieſes Gefühl mit den Jahren, durch das Gefühl mancher Zurückſetzung von Seiten Anderer. Es war ihm äußerſt empfindlich, wenn, ſo lange er Kind war, Jemand des Verſtorbenen nicht allzu löblich ge- dachte; ein Kummer, den ihm das Zartgefühl der Nachbarn nicht erſparte. Es iſt gewöhnlich in jenen Gegenden, den Verunglückten die Ruhe im Grabe abzuſprechen. Der alte Mergel war das Geſpenſt des Brederholzes geworden; einen Betrunkenen führte er als Irrlicht bei einem Haar in den Zellerkolk (Teich); die Hirtenknaben, wenn ſie Nachts bei ihren Feuern kauerten und die Eulen in den Gründen ſchrieen, hörten zuweilen in abgebrochenen Tönen ganz deutlich dazwiſchen ſein: „Hör mal an, fein’s Liſeken,“ und ein unprivilegirter Holzhauer, der unter der breiten Eiche eingeſchlafen und dem es darüber Nacht geworden war, hatte beim Erwachen ſein geſchwollenes blaues Geſicht durch die Zweige lauſchen ſehen. Friedrich mußte von andern Knaben Vieles darüber hören; dann heulte er, ſchlug um
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lich ausgeſehen haben ſoll. Aber davon erzählte er
nie und ſchien ungern daran zu denken. Ueber-
haupt hatte die Erinnerung an ſeinen Vater eine
mit Grauſen gemiſchte Zärtlichkeit in ihm zurück-
gelaſſen, wie denn nichts ſo feſſelt, wie die Liebe
und Sorgfalt eines Weſens, das gegen alles Uebrige
verhärtet ſcheint, und bei Friedrich wuchs dieſes
Gefühl mit den Jahren, durch das Gefühl mancher
Zurückſetzung von Seiten Anderer. Es war ihm
äußerſt empfindlich, wenn, ſo lange er Kind war,
Jemand des Verſtorbenen nicht allzu löblich ge-
dachte; ein Kummer, den ihm das Zartgefühl der
Nachbarn nicht erſparte. Es iſt gewöhnlich in jenen
Gegenden, den Verunglückten die Ruhe im Grabe
abzuſprechen. Der alte Mergel war das Geſpenſt
des Brederholzes geworden; einen Betrunkenen führte
er als Irrlicht bei einem Haar in den Zellerkolk
(Teich); die Hirtenknaben, wenn ſie Nachts bei ihren
Feuern kauerten und die Eulen in den Gründen
ſchrieen, hörten zuweilen in abgebrochenen Tönen
ganz deutlich dazwiſchen ſein: „Hör mal an, fein’s
Liſeken,“ und ein unprivilegirter Holzhauer, der
unter der breiten Eiche eingeſchlafen und dem es
darüber Nacht geworden war, hatte beim Erwachen
ſein geſchwollenes blaues Geſicht durch die Zweige
lauſchen ſehen. Friedrich mußte von andern Knaben
Vieles darüber hören; dann heulte er, ſchlug um
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schü… [mehr]
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schücking aus dem Nachlass Annette von Droste-Hülshoffs herausgegeben, enthalten mehrere Texte, die zum Teil zu Lebzeiten der Autorin bereits andernorts veröffentlicht worden waren. Beispielsweise erschien Droste-Hülshoffs Novelle "Die Judenbuche" zuerst 1842 im "Morgenblatt für gebildete Leser"; die "Westfälischen Schilderungen" erschienen 1845 in den "Historisch-politischen Blättern für das katholische Deutschland". Einzelne Gedichte sind in Journalen und Jahrbüchern erschienen, andere wurden aus dem Nachlass erstmals in der hier digitalisierten Edition von Levin Schücking veröffentlicht (z.B. die Gedichte "Der Nachtwanderer", "Doppeltgänger" und "Halt fest!"). In den meisten Fällen handelt es sich somit nicht um Erstveröffentlichungen der Texte, wohl aber um die erste Publikation in Buchform, weshalb die Nachlassedition für das DTA herangezogen wurde.
Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/173>, abgerufen am 23.11.2024.
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