Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860.reichte ihr die Hand: "Du bist alt geworden, "Aber ich höre, dein Junge ist schlau und Welcher Mutter geht das Herz nicht auf, reichte ihr die Hand: „Du biſt alt geworden, „Aber ich höre, dein Junge iſt ſchlau und Welcher Mutter geht das Herz nicht auf, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0175" n="159"/> reichte ihr die Hand: „Du biſt alt geworden,<lb/> Margreth!“ — Margreth ſeufzte: „Es iſt mir<lb/> derweil oft bitterlich gegangen mit allerlei Schick-<lb/> ſalen.“ — „Ja, Mädchen, zu ſpät gefreit, hat<lb/> immer gereut! Jetzt biſt du alt und das Kind iſt<lb/> klein. Jedes Ding hat ſeine Zeit. Aber wenn ein<lb/> altes Haus brennt, dann hilft kein Löſchen.“ Ueber<lb/> Margreths vergrämtes Geſicht flog eine Flamme, ſo<lb/> roth wie Blut.</p><lb/> <p>„Aber ich höre, dein Junge iſt ſchlau und<lb/> gewichſt,“ fuhr Simon fort. — „Ei nun ſo ziem-<lb/> lich, und dabei fromm.“ — „Hum, ’s hat mal Einer<lb/> eine Kuh geſtohlen, der hieß auch Fromm. Aber<lb/> er iſt ſtill und nachdenklich, nicht wahr? er läuft<lb/> nicht mit den andern Buben?“ — „Er iſt ein<lb/> eigenes Kind,“ ſagte Margreth wie für ſich; „es iſt<lb/> nicht gut.“ Simon lachte hell auf: „Dein Junge<lb/> iſt ſcheu, weil ihn die andern ein paarmal gut<lb/> durchgedroſchen haben. Das wird ihnen der Burſche<lb/> ſchon wieder bezahlen. Hülsmeyer war neulich bei<lb/> mir, der ſagte, es ſei ein Junge wie ’n Reh.“</p><lb/> <p>Welcher Mutter geht das Herz nicht auf,<lb/> wenn ſie ihr Kind loben hört? Der armen Mar-<lb/> greth ward ſelten ſo wohl, Jedermann nannte ihren<lb/> Jungen tückiſch und verſchloſſen. Die Thränen<lb/> traten ihr in die Augen. „Ja, Gottlob, er hat<lb/> gerade Glieder.“ — „Wie ſieht er aus?“ fuhr<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [159/0175]
reichte ihr die Hand: „Du biſt alt geworden,
Margreth!“ — Margreth ſeufzte: „Es iſt mir
derweil oft bitterlich gegangen mit allerlei Schick-
ſalen.“ — „Ja, Mädchen, zu ſpät gefreit, hat
immer gereut! Jetzt biſt du alt und das Kind iſt
klein. Jedes Ding hat ſeine Zeit. Aber wenn ein
altes Haus brennt, dann hilft kein Löſchen.“ Ueber
Margreths vergrämtes Geſicht flog eine Flamme, ſo
roth wie Blut.
„Aber ich höre, dein Junge iſt ſchlau und
gewichſt,“ fuhr Simon fort. — „Ei nun ſo ziem-
lich, und dabei fromm.“ — „Hum, ’s hat mal Einer
eine Kuh geſtohlen, der hieß auch Fromm. Aber
er iſt ſtill und nachdenklich, nicht wahr? er läuft
nicht mit den andern Buben?“ — „Er iſt ein
eigenes Kind,“ ſagte Margreth wie für ſich; „es iſt
nicht gut.“ Simon lachte hell auf: „Dein Junge
iſt ſcheu, weil ihn die andern ein paarmal gut
durchgedroſchen haben. Das wird ihnen der Burſche
ſchon wieder bezahlen. Hülsmeyer war neulich bei
mir, der ſagte, es ſei ein Junge wie ’n Reh.“
Welcher Mutter geht das Herz nicht auf,
wenn ſie ihr Kind loben hört? Der armen Mar-
greth ward ſelten ſo wohl, Jedermann nannte ihren
Jungen tückiſch und verſchloſſen. Die Thränen
traten ihr in die Augen. „Ja, Gottlob, er hat
gerade Glieder.“ — „Wie ſieht er aus?“ fuhr
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