reichte ihr die Hand: "Du bist alt geworden, Margreth!" -- Margreth seufzte: "Es ist mir derweil oft bitterlich gegangen mit allerlei Schick- salen." -- "Ja, Mädchen, zu spät gefreit, hat immer gereut! Jetzt bist du alt und das Kind ist klein. Jedes Ding hat seine Zeit. Aber wenn ein altes Haus brennt, dann hilft kein Löschen." Ueber Margreths vergrämtes Gesicht flog eine Flamme, so roth wie Blut.
"Aber ich höre, dein Junge ist schlau und gewichst," fuhr Simon fort. -- "Ei nun so ziem- lich, und dabei fromm." -- "Hum, 's hat mal Einer eine Kuh gestohlen, der hieß auch Fromm. Aber er ist still und nachdenklich, nicht wahr? er läuft nicht mit den andern Buben?" -- "Er ist ein eigenes Kind," sagte Margreth wie für sich; "es ist nicht gut." Simon lachte hell auf: "Dein Junge ist scheu, weil ihn die andern ein paarmal gut durchgedroschen haben. Das wird ihnen der Bursche schon wieder bezahlen. Hülsmeyer war neulich bei mir, der sagte, es sei ein Junge wie 'n Reh."
Welcher Mutter geht das Herz nicht auf, wenn sie ihr Kind loben hört? Der armen Mar- greth ward selten so wohl, Jedermann nannte ihren Jungen tückisch und verschlossen. Die Thränen traten ihr in die Augen. "Ja, Gottlob, er hat gerade Glieder." -- "Wie sieht er aus?" fuhr
reichte ihr die Hand: „Du biſt alt geworden, Margreth!“ — Margreth ſeufzte: „Es iſt mir derweil oft bitterlich gegangen mit allerlei Schick- ſalen.“ — „Ja, Mädchen, zu ſpät gefreit, hat immer gereut! Jetzt biſt du alt und das Kind iſt klein. Jedes Ding hat ſeine Zeit. Aber wenn ein altes Haus brennt, dann hilft kein Löſchen.“ Ueber Margreths vergrämtes Geſicht flog eine Flamme, ſo roth wie Blut.
„Aber ich höre, dein Junge iſt ſchlau und gewichſt,“ fuhr Simon fort. — „Ei nun ſo ziem- lich, und dabei fromm.“ — „Hum, ’s hat mal Einer eine Kuh geſtohlen, der hieß auch Fromm. Aber er iſt ſtill und nachdenklich, nicht wahr? er läuft nicht mit den andern Buben?“ — „Er iſt ein eigenes Kind,“ ſagte Margreth wie für ſich; „es iſt nicht gut.“ Simon lachte hell auf: „Dein Junge iſt ſcheu, weil ihn die andern ein paarmal gut durchgedroſchen haben. Das wird ihnen der Burſche ſchon wieder bezahlen. Hülsmeyer war neulich bei mir, der ſagte, es ſei ein Junge wie ’n Reh.“
Welcher Mutter geht das Herz nicht auf, wenn ſie ihr Kind loben hört? Der armen Mar- greth ward ſelten ſo wohl, Jedermann nannte ihren Jungen tückiſch und verſchloſſen. Die Thränen traten ihr in die Augen. „Ja, Gottlob, er hat gerade Glieder.“ — „Wie ſieht er aus?“ fuhr
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reichte ihr die Hand: „Du biſt alt geworden,
Margreth!“ — Margreth ſeufzte: „Es iſt mir
derweil oft bitterlich gegangen mit allerlei Schick-
ſalen.“ — „Ja, Mädchen, zu ſpät gefreit, hat
immer gereut! Jetzt biſt du alt und das Kind iſt
klein. Jedes Ding hat ſeine Zeit. Aber wenn ein
altes Haus brennt, dann hilft kein Löſchen.“ Ueber
Margreths vergrämtes Geſicht flog eine Flamme, ſo
roth wie Blut.
„Aber ich höre, dein Junge iſt ſchlau und
gewichſt,“ fuhr Simon fort. — „Ei nun ſo ziem-
lich, und dabei fromm.“ — „Hum, ’s hat mal Einer
eine Kuh geſtohlen, der hieß auch Fromm. Aber
er iſt ſtill und nachdenklich, nicht wahr? er läuft
nicht mit den andern Buben?“ — „Er iſt ein
eigenes Kind,“ ſagte Margreth wie für ſich; „es iſt
nicht gut.“ Simon lachte hell auf: „Dein Junge
iſt ſcheu, weil ihn die andern ein paarmal gut
durchgedroſchen haben. Das wird ihnen der Burſche
ſchon wieder bezahlen. Hülsmeyer war neulich bei
mir, der ſagte, es ſei ein Junge wie ’n Reh.“
Welcher Mutter geht das Herz nicht auf,
wenn ſie ihr Kind loben hört? Der armen Mar-
greth ward ſelten ſo wohl, Jedermann nannte ihren
Jungen tückiſch und verſchloſſen. Die Thränen
traten ihr in die Augen. „Ja, Gottlob, er hat
gerade Glieder.“ — „Wie ſieht er aus?“ fuhr
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schü… [mehr]
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schücking aus dem Nachlass Annette von Droste-Hülshoffs herausgegeben, enthalten mehrere Texte, die zum Teil zu Lebzeiten der Autorin bereits andernorts veröffentlicht worden waren. Beispielsweise erschien Droste-Hülshoffs Novelle "Die Judenbuche" zuerst 1842 im "Morgenblatt für gebildete Leser"; die "Westfälischen Schilderungen" erschienen 1845 in den "Historisch-politischen Blättern für das katholische Deutschland". Einzelne Gedichte sind in Journalen und Jahrbüchern erschienen, andere wurden aus dem Nachlass erstmals in der hier digitalisierten Edition von Levin Schücking veröffentlicht (z.B. die Gedichte "Der Nachtwanderer", "Doppeltgänger" und "Halt fest!"). In den meisten Fällen handelt es sich somit nicht um Erstveröffentlichungen der Texte, wohl aber um die erste Publikation in Buchform, weshalb die Nachlassedition für das DTA herangezogen wurde.
Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/175>, abgerufen am 16.07.2024.
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