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Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860.

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Rocks wie Feuerflammen nachzogen. So hatte er
ziemlich das Ansehen eines feurigen Mannes, der
unter dem gestohlenen Sacke büßt; Friedrich ihm
nach, fein und schlank für sein Alter, mit zarten,
fast edlen Zügen und langen blonden Locken, die
besser gepflegt waren, als sein übriges Aeußeres er-
warten ließ; übrigens zerlumpt, sonnenverbrannt
und mit dem Ausdrucke der Vernachlässigung und
einer gewissen rohen Melancholie in den Zügen.
Dennoch war eine große Familienähnlichkeit Beider
nicht zu verkennen, und wie Friedrich so langsam
seinem Führer nachtrat, die Blicke fest auf denselben
geheftet, der ihn gerade durch das Seltsame seiner
Erscheinung anzog, erinnerte er unwillkürlich an
Jemand, der in einem Zauberspiegel das Bild seiner
Zukunft mit verstörter Aufmerksamkeit betrachtet.

Jetzt nahten die Beiden sich der Stelle des
Teutoburger Waldes, wo das Brederholz den Ab-
hang des Gebirges niedersteigt und einen sehr dun-
keln Grund ausfüllt. Bis jetzt war wenig gesprochen
worden. Simon schien nachdenkend, der Knabe zer-
streut, und Beide keuchten unter ihren Säcken.
Plötzlich fragte Simon: "Trinkst du gern Brannt-
wein?" -- Der Knabe antwortete nicht. "Ich frage,
trinkst du gern Branntwein? gibt dir die Mutter
zuweilen welchen?" -- "Die Mutter hat selbst
keinen," sagte Friedrich. -- "So, so, desto besser! --

Rocks wie Feuerflammen nachzogen. So hatte er
ziemlich das Anſehen eines feurigen Mannes, der
unter dem geſtohlenen Sacke büßt; Friedrich ihm
nach, fein und ſchlank für ſein Alter, mit zarten,
faſt edlen Zügen und langen blonden Locken, die
beſſer gepflegt waren, als ſein übriges Aeußeres er-
warten ließ; übrigens zerlumpt, ſonnenverbrannt
und mit dem Ausdrucke der Vernachläſſigung und
einer gewiſſen rohen Melancholie in den Zügen.
Dennoch war eine große Familienähnlichkeit Beider
nicht zu verkennen, und wie Friedrich ſo langſam
ſeinem Führer nachtrat, die Blicke feſt auf denſelben
geheftet, der ihn gerade durch das Seltſame ſeiner
Erſcheinung anzog, erinnerte er unwillkürlich an
Jemand, der in einem Zauberſpiegel das Bild ſeiner
Zukunft mit verſtörter Aufmerkſamkeit betrachtet.

Jetzt nahten die Beiden ſich der Stelle des
Teutoburger Waldes, wo das Brederholz den Ab-
hang des Gebirges niederſteigt und einen ſehr dun-
keln Grund ausfüllt. Bis jetzt war wenig geſprochen
worden. Simon ſchien nachdenkend, der Knabe zer-
ſtreut, und Beide keuchten unter ihren Säcken.
Plötzlich fragte Simon: „Trinkſt du gern Brannt-
wein?“ — Der Knabe antwortete nicht. „Ich frage,
trinkſt du gern Branntwein? gibt dir die Mutter
zuweilen welchen?“ — „Die Mutter hat ſelbſt
keinen,“ ſagte Friedrich. — „So, ſo, deſto beſſer! —

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[162/0178] Rocks wie Feuerflammen nachzogen. So hatte er ziemlich das Anſehen eines feurigen Mannes, der unter dem geſtohlenen Sacke büßt; Friedrich ihm nach, fein und ſchlank für ſein Alter, mit zarten, faſt edlen Zügen und langen blonden Locken, die beſſer gepflegt waren, als ſein übriges Aeußeres er- warten ließ; übrigens zerlumpt, ſonnenverbrannt und mit dem Ausdrucke der Vernachläſſigung und einer gewiſſen rohen Melancholie in den Zügen. Dennoch war eine große Familienähnlichkeit Beider nicht zu verkennen, und wie Friedrich ſo langſam ſeinem Führer nachtrat, die Blicke feſt auf denſelben geheftet, der ihn gerade durch das Seltſame ſeiner Erſcheinung anzog, erinnerte er unwillkürlich an Jemand, der in einem Zauberſpiegel das Bild ſeiner Zukunft mit verſtörter Aufmerkſamkeit betrachtet. Jetzt nahten die Beiden ſich der Stelle des Teutoburger Waldes, wo das Brederholz den Ab- hang des Gebirges niederſteigt und einen ſehr dun- keln Grund ausfüllt. Bis jetzt war wenig geſprochen worden. Simon ſchien nachdenkend, der Knabe zer- ſtreut, und Beide keuchten unter ihren Säcken. Plötzlich fragte Simon: „Trinkſt du gern Brannt- wein?“ — Der Knabe antwortete nicht. „Ich frage, trinkſt du gern Branntwein? gibt dir die Mutter zuweilen welchen?“ — „Die Mutter hat ſelbſt keinen,“ ſagte Friedrich. — „So, ſo, deſto beſſer! —

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Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/178>, abgerufen am 23.11.2024.