kennst du das Holz da vor uns?" -- "Das ist das Brederholz." -- "Weißt du auch, was darin vorgefallen ist?" -- Friedrich schwieg. Indessen kamen sie der düstern Schlucht immer näher.
"Betet die Mutter noch so viel?" hob Simon wieder an. -- "Ja, jeden Abend zwei Rosenkränze." -- "So? und du betest mit?" -- Der Knabe lachte halb verlegen mit einem durchtriebenen Seiten- blick. -- "Die Mutter betet in der Dämmerung vor dem Essen den einen Rosenkranz, dann bin ich noch nicht wieder da mit den Kühen, und den an- dern im Bette, dann schlaf ich gewöhnlich ein." -- "So, so, Geselle!" -- Diese letzten Worte wurden unter dem Schirme einer weiten Buche gesprochen, die den Eingang der Schlucht überwölbte. Es war jetzt ganz finster; das erste Mondviertel stand am Himmel, aber seine schwachen Schimmer dienten nur dazu, den Gegenständen, die sie zuweilen durch eine Lücke der Zweige berührten, ein fremdartiges An- sehen zu geben. Friedrich hielt sich dicht hinter seinem Ohm; sein Odem ging schnell, und wer seine Züge hätte unterscheiden können, würde den Aus- druck einer ungeheuren, doch mehr phantastischen als furchtsamen Spannung darin wahrgenommen haben. So schritten Beide rüstig voran, Simon mit dem festen Schritt des abgehärteten Wanderers, Friedrich schwankend und wie im Traum. Es kam
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kennſt du das Holz da vor uns?“ — „Das iſt das Brederholz.“ — „Weißt du auch, was darin vorgefallen iſt?“ — Friedrich ſchwieg. Indeſſen kamen ſie der düſtern Schlucht immer näher.
„Betet die Mutter noch ſo viel?“ hob Simon wieder an. — „Ja, jeden Abend zwei Roſenkränze.“ — „So? und du beteſt mit?“ — Der Knabe lachte halb verlegen mit einem durchtriebenen Seiten- blick. — „Die Mutter betet in der Dämmerung vor dem Eſſen den einen Roſenkranz, dann bin ich noch nicht wieder da mit den Kühen, und den an- dern im Bette, dann ſchlaf ich gewöhnlich ein.“ — „So, ſo, Geſelle!“ — Dieſe letzten Worte wurden unter dem Schirme einer weiten Buche geſprochen, die den Eingang der Schlucht überwölbte. Es war jetzt ganz finſter; das erſte Mondviertel ſtand am Himmel, aber ſeine ſchwachen Schimmer dienten nur dazu, den Gegenſtänden, die ſie zuweilen durch eine Lücke der Zweige berührten, ein fremdartiges An- ſehen zu geben. Friedrich hielt ſich dicht hinter ſeinem Ohm; ſein Odem ging ſchnell, und wer ſeine Züge hätte unterſcheiden können, würde den Aus- druck einer ungeheuren, doch mehr phantaſtiſchen als furchtſamen Spannung darin wahrgenommen haben. So ſchritten Beide rüſtig voran, Simon mit dem feſten Schritt des abgehärteten Wanderers, Friedrich ſchwankend und wie im Traum. Es kam
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kennſt du das Holz da vor uns?“ — „Das iſt
das Brederholz.“ — „Weißt du auch, was darin
vorgefallen iſt?“ — Friedrich ſchwieg. Indeſſen
kamen ſie der düſtern Schlucht immer näher.
„Betet die Mutter noch ſo viel?“ hob Simon
wieder an. — „Ja, jeden Abend zwei Roſenkränze.“
— „So? und du beteſt mit?“ — Der Knabe
lachte halb verlegen mit einem durchtriebenen Seiten-
blick. — „Die Mutter betet in der Dämmerung
vor dem Eſſen den einen Roſenkranz, dann bin ich
noch nicht wieder da mit den Kühen, und den an-
dern im Bette, dann ſchlaf ich gewöhnlich ein.“ —
„So, ſo, Geſelle!“ — Dieſe letzten Worte wurden
unter dem Schirme einer weiten Buche geſprochen,
die den Eingang der Schlucht überwölbte. Es war
jetzt ganz finſter; das erſte Mondviertel ſtand am
Himmel, aber ſeine ſchwachen Schimmer dienten nur
dazu, den Gegenſtänden, die ſie zuweilen durch eine
Lücke der Zweige berührten, ein fremdartiges An-
ſehen zu geben. Friedrich hielt ſich dicht hinter
ſeinem Ohm; ſein Odem ging ſchnell, und wer ſeine
Züge hätte unterſcheiden können, würde den Aus-
druck einer ungeheuren, doch mehr phantaſtiſchen
als furchtſamen Spannung darin wahrgenommen
haben. So ſchritten Beide rüſtig voran, Simon
mit dem feſten Schritt des abgehärteten Wanderers,
Friedrich ſchwankend und wie im Traum. Es kam
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schü… [mehr]
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schücking aus dem Nachlass Annette von Droste-Hülshoffs herausgegeben, enthalten mehrere Texte, die zum Teil zu Lebzeiten der Autorin bereits andernorts veröffentlicht worden waren. Beispielsweise erschien Droste-Hülshoffs Novelle "Die Judenbuche" zuerst 1842 im "Morgenblatt für gebildete Leser"; die "Westfälischen Schilderungen" erschienen 1845 in den "Historisch-politischen Blättern für das katholische Deutschland". Einzelne Gedichte sind in Journalen und Jahrbüchern erschienen, andere wurden aus dem Nachlass erstmals in der hier digitalisierten Edition von Levin Schücking veröffentlicht (z.B. die Gedichte "Der Nachtwanderer", "Doppeltgänger" und "Halt fest!"). In den meisten Fällen handelt es sich somit nicht um Erstveröffentlichungen der Texte, wohl aber um die erste Publikation in Buchform, weshalb die Nachlassedition für das DTA herangezogen wurde.
Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/179>, abgerufen am 20.05.2024.
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