auch seine Kleider waren nicht dieselben, nein, das war ihr Kind nicht! und dennoch -- "Friedrich, Friedrich!" rief sie.
In der Schlafkammer klappte eine Schrank- thür und der Gerufene trat hervor, in der einen Hand eine sogenannte Holzschenvioline, d. h. einen alten Holzschuh, mit drei bis vier zerschabten Gei- gensaiten überspannt, in der andern einen Bogen, ganz des Instrumentes würdig. So ging er gerade auf sein verkümmertes Spiegelbild zu, seinerseits mit einer Haltung bewußter Würde und Selbst- ständigkeit, die in diesem Augenblicke den Unterschied zwischen beiden sonst merkwürdig ähnlichen Knaben stark hervortreten ließ.
"Da, Johannes!" sagte er und reichte ihm mit einer Gönnermiene das Kunstwerk; "da ist die Violine, die ich dir versprochen habe."
"Mein Spielen ist vorbei, ich muß jetzt Geld verdienen." -- Johannes warf noch einmal einen scheuen Blick auf Margreth, streckte dann langsam seine Hand aus, bis er das Dargebotene fest er- griffen hatte, und brachte es wie verstohlen unter die Flügel seines armseligen Jäckchens.
Margreth stand ganz still und ließ die Kinder gewähren. Ihre Gedanken hatten eine andere, sehr ernste Richtung genommen, und sie blickte mit un- ruhigem Auge von Einem auf den Andern. Der
auch ſeine Kleider waren nicht dieſelben, nein, das war ihr Kind nicht! und dennoch — „Friedrich, Friedrich!“ rief ſie.
In der Schlafkammer klappte eine Schrank- thür und der Gerufene trat hervor, in der einen Hand eine ſogenannte Holzſchenvioline, d. h. einen alten Holzſchuh, mit drei bis vier zerſchabten Gei- genſaiten überſpannt, in der andern einen Bogen, ganz des Inſtrumentes würdig. So ging er gerade auf ſein verkümmertes Spiegelbild zu, ſeinerſeits mit einer Haltung bewußter Würde und Selbſt- ſtändigkeit, die in dieſem Augenblicke den Unterſchied zwiſchen beiden ſonſt merkwürdig ähnlichen Knaben ſtark hervortreten ließ.
„Da, Johannes!“ ſagte er und reichte ihm mit einer Gönnermiene das Kunſtwerk; „da iſt die Violine, die ich dir verſprochen habe.“
„Mein Spielen iſt vorbei, ich muß jetzt Geld verdienen.“ — Johannes warf noch einmal einen ſcheuen Blick auf Margreth, ſtreckte dann langſam ſeine Hand aus, bis er das Dargebotene feſt er- griffen hatte, und brachte es wie verſtohlen unter die Flügel ſeines armſeligen Jäckchens.
Margreth ſtand ganz ſtill und ließ die Kinder gewähren. Ihre Gedanken hatten eine andere, ſehr ernſte Richtung genommen, und ſie blickte mit un- ruhigem Auge von Einem auf den Andern. Der
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auch ſeine Kleider waren nicht dieſelben, nein, das
war ihr Kind nicht! und dennoch — „Friedrich,
Friedrich!“ rief ſie.
In der Schlafkammer klappte eine Schrank-
thür und der Gerufene trat hervor, in der einen
Hand eine ſogenannte Holzſchenvioline, d. h. einen
alten Holzſchuh, mit drei bis vier zerſchabten Gei-
genſaiten überſpannt, in der andern einen Bogen,
ganz des Inſtrumentes würdig. So ging er gerade
auf ſein verkümmertes Spiegelbild zu, ſeinerſeits
mit einer Haltung bewußter Würde und Selbſt-
ſtändigkeit, die in dieſem Augenblicke den Unterſchied
zwiſchen beiden ſonſt merkwürdig ähnlichen Knaben
ſtark hervortreten ließ.
„Da, Johannes!“ ſagte er und reichte ihm
mit einer Gönnermiene das Kunſtwerk; „da iſt die
Violine, die ich dir verſprochen habe.“
„Mein Spielen iſt vorbei, ich muß jetzt Geld
verdienen.“ — Johannes warf noch einmal einen
ſcheuen Blick auf Margreth, ſtreckte dann langſam
ſeine Hand aus, bis er das Dargebotene feſt er-
griffen hatte, und brachte es wie verſtohlen unter
die Flügel ſeines armſeligen Jäckchens.
Margreth ſtand ganz ſtill und ließ die Kinder
gewähren. Ihre Gedanken hatten eine andere, ſehr
ernſte Richtung genommen, und ſie blickte mit un-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schü… [mehr]
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schücking aus dem Nachlass Annette von Droste-Hülshoffs herausgegeben, enthalten mehrere Texte, die zum Teil zu Lebzeiten der Autorin bereits andernorts veröffentlicht worden waren. Beispielsweise erschien Droste-Hülshoffs Novelle "Die Judenbuche" zuerst 1842 im "Morgenblatt für gebildete Leser"; die "Westfälischen Schilderungen" erschienen 1845 in den "Historisch-politischen Blättern für das katholische Deutschland". Einzelne Gedichte sind in Journalen und Jahrbüchern erschienen, andere wurden aus dem Nachlass erstmals in der hier digitalisierten Edition von Levin Schücking veröffentlicht (z.B. die Gedichte "Der Nachtwanderer", "Doppeltgänger" und "Halt fest!"). In den meisten Fällen handelt es sich somit nicht um Erstveröffentlichungen der Texte, wohl aber um die erste Publikation in Buchform, weshalb die Nachlassedition für das DTA herangezogen wurde.
Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/183>, abgerufen am 16.07.2024.
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