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Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860.

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einziger Bruder, und die Verläumdung ist groß!
Aber halt Gott vor Augen und vergiß das täg-
liche Gebet nicht!"

Margreth legte das Gesicht an die Mauer und
weinte laut. Sie hatte manche harte Last getragen,
ihres Mannes üble Behandlung, noch schwerer
seinen Tod und es war eine bittere Stunde, als
die Wittwe das letzte Stück Ackerland einem Gläu-
biger zur Nutznießung überlassen mußte und der
Pflug vor ihrem Hause stille stand. Aber so war
ihr nie zu Muthe gewesen; dennoch, nachdem sie
einen Abend durchgeweint, eine Nacht durchwacht
hatte, war sie dahin gekommen, zu denken, ihr
Bruder Simon könne so gottlos nicht sein, der
Knabe gehöre gewiß nicht ihm, Aehnlichkeiten wollen
nichts beweisen. Hatte sie doch selbst vor 40 Jahren
ein Schwesterchen verloren, das genau dem fremden
Hechelkrämer glich. Was glaubt man nicht gern,
wenn man so wenig hat und durch Unglauben
dies wenige verlieren soll!

Von dieser Zeit an war Friedrich selten mehr
zu Hause. Simon schien alle wärmeren Gefühle,
deren er fähig war, dem Schwestersohn zugewendet
zu haben; wenigstens vermißte er ihn sehr und ließ
nicht nach mit Botschaften, wenn ein häusliches
Geschäft ihn auf einige Zeit bei der Mutter hielt.
Der Knabe war seitdem wie verwandelt, das träu-

einziger Bruder, und die Verläumdung iſt groß!
Aber halt Gott vor Augen und vergiß das täg-
liche Gebet nicht!“

Margreth legte das Geſicht an die Mauer und
weinte laut. Sie hatte manche harte Laſt getragen,
ihres Mannes üble Behandlung, noch ſchwerer
ſeinen Tod und es war eine bittere Stunde, als
die Wittwe das letzte Stück Ackerland einem Gläu-
biger zur Nutznießung überlaſſen mußte und der
Pflug vor ihrem Hauſe ſtille ſtand. Aber ſo war
ihr nie zu Muthe geweſen; dennoch, nachdem ſie
einen Abend durchgeweint, eine Nacht durchwacht
hatte, war ſie dahin gekommen, zu denken, ihr
Bruder Simon könne ſo gottlos nicht ſein, der
Knabe gehöre gewiß nicht ihm, Aehnlichkeiten wollen
nichts beweiſen. Hatte ſie doch ſelbſt vor 40 Jahren
ein Schweſterchen verloren, das genau dem fremden
Hechelkrämer glich. Was glaubt man nicht gern,
wenn man ſo wenig hat und durch Unglauben
dies wenige verlieren ſoll!

Von dieſer Zeit an war Friedrich ſelten mehr
zu Hauſe. Simon ſchien alle wärmeren Gefühle,
deren er fähig war, dem Schweſterſohn zugewendet
zu haben; wenigſtens vermißte er ihn ſehr und ließ
nicht nach mit Botſchaften, wenn ein häusliches
Geſchäft ihn auf einige Zeit bei der Mutter hielt.
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[171/0187] einziger Bruder, und die Verläumdung iſt groß! Aber halt Gott vor Augen und vergiß das täg- liche Gebet nicht!“ Margreth legte das Geſicht an die Mauer und weinte laut. Sie hatte manche harte Laſt getragen, ihres Mannes üble Behandlung, noch ſchwerer ſeinen Tod und es war eine bittere Stunde, als die Wittwe das letzte Stück Ackerland einem Gläu- biger zur Nutznießung überlaſſen mußte und der Pflug vor ihrem Hauſe ſtille ſtand. Aber ſo war ihr nie zu Muthe geweſen; dennoch, nachdem ſie einen Abend durchgeweint, eine Nacht durchwacht hatte, war ſie dahin gekommen, zu denken, ihr Bruder Simon könne ſo gottlos nicht ſein, der Knabe gehöre gewiß nicht ihm, Aehnlichkeiten wollen nichts beweiſen. Hatte ſie doch ſelbſt vor 40 Jahren ein Schweſterchen verloren, das genau dem fremden Hechelkrämer glich. Was glaubt man nicht gern, wenn man ſo wenig hat und durch Unglauben dies wenige verlieren ſoll! Von dieſer Zeit an war Friedrich ſelten mehr zu Hauſe. Simon ſchien alle wärmeren Gefühle, deren er fähig war, dem Schweſterſohn zugewendet zu haben; wenigſtens vermißte er ihn ſehr und ließ nicht nach mit Botſchaften, wenn ein häusliches Geſchäft ihn auf einige Zeit bei der Mutter hielt. Der Knabe war ſeitdem wie verwandelt, das träu-

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Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/187>, abgerufen am 27.11.2024.