sehe nichts," sagte Herr von S. -- "Hierher müssen Sie treten, hierher, an diese Stelle!" -- Wirklich, dem war so: der Gutsherr erkannte seine eigenen abgetragenen Schuhe.
"Gott, es ist Johannes! -- Setzt die Leiter an! -- so -- nun herunter! -- sacht, sacht! laßt ihn nicht fallen! -- Lieber Himmel, die Würmer sind schon daran! Macht dennoch die Schlinge auf und die Halsbinde." Eine breite Narbe ward sicht- bar; der Gutsherr fuhr zurück.
"Mein Gott!" sagte er; er beugte sich wieder über die Leiche, betrachtete die Narbe mit großer Aufmerksamkeit und schwieg eine Weile in tiefer Erschütterung.
Dann wandte er sich zu dem Förster: "Es ist nicht recht, daß der Unschuldige für den Schul- digen leide; sage es nur allen Leuten: der da" -- er deutete auf den Todten -- "war Friedrich Mergel."
Die Leiche ward auf dem Schindanger ver- scharrt.
Dies hat sich nach allen Hauptumständen wirklich so begeben im September des Jahres 1788.
Die hebräische Schrift an dem Baume heißt:
"Wenn du dich diesem Orte nahest, so wird es dir ergehen, wie du mir gethan hast."
15*
ſehe nichts,“ ſagte Herr von S. — „Hierher müſſen Sie treten, hierher, an dieſe Stelle!“ — Wirklich, dem war ſo: der Gutsherr erkannte ſeine eigenen abgetragenen Schuhe.
„Gott, es iſt Johannes! — Setzt die Leiter an! — ſo — nun herunter! — ſacht, ſacht! laßt ihn nicht fallen! — Lieber Himmel, die Würmer ſind ſchon daran! Macht dennoch die Schlinge auf und die Halsbinde.“ Eine breite Narbe ward ſicht- bar; der Gutsherr fuhr zurück.
„Mein Gott!“ ſagte er; er beugte ſich wieder über die Leiche, betrachtete die Narbe mit großer Aufmerkſamkeit und ſchwieg eine Weile in tiefer Erſchütterung.
Dann wandte er ſich zu dem Förſter: „Es iſt nicht recht, daß der Unſchuldige für den Schul- digen leide; ſage es nur allen Leuten: der da“ — er deutete auf den Todten — „war Friedrich Mergel.“
Die Leiche ward auf dem Schindanger ver- ſcharrt.
Dies hat ſich nach allen Hauptumſtänden wirklich ſo begeben im September des Jahres 1788.
Die hebräiſche Schrift an dem Baume heißt:
„Wenn du dich dieſem Orte naheſt, ſo wird es dir ergehen, wie du mir gethan haſt.“
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ſehe nichts,“ ſagte Herr von S. — „Hierher müſſen
Sie treten, hierher, an dieſe Stelle!“ — Wirklich,
dem war ſo: der Gutsherr erkannte ſeine eigenen
abgetragenen Schuhe.
„Gott, es iſt Johannes! — Setzt die Leiter
an! — ſo — nun herunter! — ſacht, ſacht! laßt
ihn nicht fallen! — Lieber Himmel, die Würmer
ſind ſchon daran! Macht dennoch die Schlinge auf
und die Halsbinde.“ Eine breite Narbe ward ſicht-
bar; der Gutsherr fuhr zurück.
„Mein Gott!“ ſagte er; er beugte ſich wieder
über die Leiche, betrachtete die Narbe mit großer
Aufmerkſamkeit und ſchwieg eine Weile in tiefer
Erſchütterung.
Dann wandte er ſich zu dem Förſter: „Es
iſt nicht recht, daß der Unſchuldige für den Schul-
digen leide; ſage es nur allen Leuten: der da“ —
er deutete auf den Todten — „war Friedrich
Mergel.“
Die Leiche ward auf dem Schindanger ver-
ſcharrt.
Dies hat ſich nach allen Hauptumſtänden
wirklich ſo begeben im September des Jahres 1788.
Die hebräiſche Schrift an dem Baume heißt:
„Wenn du dich dieſem Orte naheſt, ſo wird
es dir ergehen, wie du mir gethan haſt.“
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schü… [mehr]
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schücking aus dem Nachlass Annette von Droste-Hülshoffs herausgegeben, enthalten mehrere Texte, die zum Teil zu Lebzeiten der Autorin bereits andernorts veröffentlicht worden waren. Beispielsweise erschien Droste-Hülshoffs Novelle "Die Judenbuche" zuerst 1842 im "Morgenblatt für gebildete Leser"; die "Westfälischen Schilderungen" erschienen 1845 in den "Historisch-politischen Blättern für das katholische Deutschland". Einzelne Gedichte sind in Journalen und Jahrbüchern erschienen, andere wurden aus dem Nachlass erstmals in der hier digitalisierten Edition von Levin Schücking veröffentlicht (z.B. die Gedichte "Der Nachtwanderer", "Doppeltgänger" und "Halt fest!"). In den meisten Fällen handelt es sich somit nicht um Erstveröffentlichungen der Texte, wohl aber um die erste Publikation in Buchform, weshalb die Nachlassedition für das DTA herangezogen wurde.
Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/243>, abgerufen am 15.08.2024.
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