Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860.Mondesaufgang. An des Balkones Gitter lehnte ich Und wartete, du mildes Licht, auf dich; Hoch über mir gleich trübem Eiskristalle Zerschmolzen schwamm des Firmamentes Halle; Grauschimmernd lag der See mit leisem Stöhnen, Zerfloßne Perlen, oder Wolkenthränen? Es rieselte, es dämmerte um mich; Du mildes Licht, ich wartete auf dich. Hoch stand ich, neben mir der Linden Kamm, Tief unter mir Gezweige, Ast und Stamm, Im Laube summte der Phalänen Reigen; Die Feuerfliege sah ich zieh'n und steigen, Und Blüten taumelten wie halb entschlafen; Mir war, als treibe hier ein Herz zum Hafen, Ein Herz, das übervoll von Glück und Leid Und Bildern seliger Vergangenheit. Mondesaufgang. An des Balkones Gitter lehnte ich Und wartete, du mildes Licht, auf dich; Hoch über mir gleich trübem Eiskriſtalle Zerſchmolzen ſchwamm des Firmamentes Halle; Grauſchimmernd lag der See mit leiſem Stöhnen, Zerfloßne Perlen, oder Wolkenthränen? Es rieſelte, es dämmerte um mich; Du mildes Licht, ich wartete auf dich. Hoch ſtand ich, neben mir der Linden Kamm, Tief unter mir Gezweige, Aſt und Stamm, Im Laube ſummte der Phalänen Reigen; Die Feuerfliege ſah ich zieh’n und ſteigen, Und Blüten taumelten wie halb entſchlafen; Mir war, als treibe hier ein Herz zum Hafen, Ein Herz, das übervoll von Glück und Leid Und Bildern ſeliger Vergangenheit. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0026" n="10"/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Mondesaufgang.</hi> </head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l><hi rendition="#in">A</hi>n des Balkones Gitter lehnte ich</l><lb/> <l>Und wartete, du mildes Licht, auf dich;</l><lb/> <l>Hoch über mir gleich trübem Eiskriſtalle</l><lb/> <l>Zerſchmolzen ſchwamm des Firmamentes Halle;</l><lb/> <l>Grauſchimmernd lag der See mit leiſem Stöhnen,</l><lb/> <l>Zerfloßne Perlen, oder Wolkenthränen?</l><lb/> <l>Es rieſelte, es dämmerte um mich;</l><lb/> <l>Du mildes Licht, ich wartete auf dich.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Hoch ſtand ich, neben mir der Linden Kamm,</l><lb/> <l>Tief unter mir Gezweige, Aſt und Stamm,</l><lb/> <l>Im Laube ſummte der Phalänen Reigen;</l><lb/> <l>Die Feuerfliege ſah ich zieh’n und ſteigen,</l><lb/> <l>Und Blüten taumelten wie halb entſchlafen;</l><lb/> <l>Mir war, als treibe hier ein Herz zum Hafen,</l><lb/> <l>Ein Herz, das übervoll von Glück und Leid</l><lb/> <l>Und Bildern ſeliger Vergangenheit.</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [10/0026]
Mondesaufgang.
An des Balkones Gitter lehnte ich
Und wartete, du mildes Licht, auf dich;
Hoch über mir gleich trübem Eiskriſtalle
Zerſchmolzen ſchwamm des Firmamentes Halle;
Grauſchimmernd lag der See mit leiſem Stöhnen,
Zerfloßne Perlen, oder Wolkenthränen?
Es rieſelte, es dämmerte um mich;
Du mildes Licht, ich wartete auf dich.
Hoch ſtand ich, neben mir der Linden Kamm,
Tief unter mir Gezweige, Aſt und Stamm,
Im Laube ſummte der Phalänen Reigen;
Die Feuerfliege ſah ich zieh’n und ſteigen,
Und Blüten taumelten wie halb entſchlafen;
Mir war, als treibe hier ein Herz zum Hafen,
Ein Herz, das übervoll von Glück und Leid
Und Bildern ſeliger Vergangenheit.
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